PA: Klimaexpertinnen zur COP30: „Jetzt ist nicht die Zeit, um klimapolitische Ziele aufzuweichen“
Mit dem heutigen Beginn der 30. UN-Klimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém tritt die internationale Staatengemeinschaft in eine entscheidende Phase der Klimapolitik ein. Zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen zeigt sich: Die Welt hat sich zwar zum Teil in Richtung Klimaschutz in Bewegung gesetzt – jedoch viel zu langsam. Während globale Emissionen 2024 ein Rekordniveau erreichten, droht die 1,5 Grad-Grenze in den kommenden Jahren dauerhaft überschritten zu werden. Die diesjährige Konferenz ist somit ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der internationalen Klimapolitik. Die Staaten müssen zeigen, dass sie die wissenschaftlichen Warnungen ernst nehmen und ihre politischen Verpflichtungen nicht länger aufschieben.
„Das Abkommen von Paris wirkt, das zeigen die nach unten korrigierten Prognosen für globale Erwärmung und die Investitionen in klimafreundliche Technologien und Maßnahmen weltweit. Aber es wirkt zu wenig und zu langsam“, erklärt Dr.in Renate Christ, ehemalige Generalsekretärin des Weltklimarats (IPCC). Von der diesjährigen Klimakonferenz fordert sie entschlossenes Handeln: „Ambitioniertere nationale Programme und eine konsequente Umsetzung sind nötig“, so Christ.
Auch Univ.Prof.Dr.in Sigrid Stagl, Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Wissenschaftlerin des Jahres 2024, betont die Dringlichkeit wirkungsvollerer Maßnahmen: „Der aktuelle Emissionspfad ist nicht nachhaltig. Im Jahr 2024 stiegen die globalen Treibhausgasemissionen auf ein Rekordniveau von 57,7 GtCO₂e, während die Lücke zu den Zielen von 1,5-2°C weiterhin groß bleibt. Der politische Handlungsbedarf ist akut“.
Die COP30 fällt zugleich in eine Zeit des klimapolitischen Rückschritts. Erst vergangene Woche wurden die Bedingungen des EU-Klimaziels für 2040 abgeschwächt: Länder dürfen nun bis zu 5 Prozentpunkte der Emissionsreduktionen durch den Kauf von Klimazertifikaten in Drittstaaten ausgleichen. Zugleich wurde der neue Emissionshandel für Verkehr und Gebäude um ein Jahr nach hinten verschoben. Renate Christ warnt vor den Folgen dieses unentschlossenen Kurses: „Jetzt ist nicht die Zeit, um klimapolitische Ziele aufzuweichen. So ein Zick-zack Kurs verunsichert Investoren, Industrie und Bürger, bringt Wettbewerbsnachteile und schließlich höhere Kosten.“
Stagl hebt die Chancen einer zielstrebigen Klimapolitik hervor: „Wenn wir ambitioniert handeln, stärken erneuerbare Energien, Effizienz und belastbare physische bzw. soziale Infrastrukturen unsere Gesundheit, unsere Jobs, die Energiesicherheit und damit auch die Standortqualität – und das schneller als oft angenommen.“ Darüber hinaus betont die Expertin die Wirkung nationaler Maßnahmen: „Globale Klimaziele brauchen eine nationale Umsetzung, auch in der Alltagspolitik. Selbst in wohlhabenden Ländern wie Österreich oder Deutschland können geänderte Regeln in der öffentlichen Beschaffung konkrete Wirkung entfalten. Wenn Schulen, Spitäler und Kantinen konsequent auf Bio, Regionalität und faire Tierhaltung setzen, wird das Klima geschützt, die Gesundheit gefördert und die regionale Wertschöpfung gestärkt. Nachhaltigkeit darf nicht ausgehungert, sondern muss in den öffentlichen Auftrag integriert werden“.
Vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Ungleichheit betont Sigrid Stagl auch die Bedeutung von gerechter Steuerpolitik: „Ungleichheit ist einer der größten Treiber übermäßigen Ressourcenverbrauchs. Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit erreichen eine höhere Lebensqualität bei deutlich niedrigerem Energieeinsatz. Soziale Gerechtigkeit ist somit eine zentrale Bedingung für Klimasicherheit.“
Vor diesem Hintergrund stellt die COP30 eine entscheidende Weichenstellung für die kommenden Jahre der Klimapolitik dar. Die beiden Expertinnen fordern ein entschlossenes Vorgehen: nationale Programme müssen ambitioniert umgesetzt, internationale Zusagen eingehalten und soziale Gerechtigkeit konsequent verankert werden. Stagl resümiert: „Jeder Fortschritt zählt – jeder Zehntelgrad weniger Erwärmung bedeutet weniger Schäden, mehr Sicherheit und mehr Zukunftsspielraum. Es geht um kontinuierliches Handeln statt großer Versprechen.“
Über die Expertinnen:
Renate Christ: Renate Christ war über 10 Jahre Generalsekretärin des Weltklimarats IPCC. Sie hat die Klimakonvention vom Beginn in den 1990iger Jahren begleitet und aktiv als Verhandlerin und Beraterin mitgewirkt. Seit ihrer Pensionierung verfolgt sie die Entwicklungen in der internationalen Klimapolitik mit.
Sigrid Stagl (WU Wien): Sigrid Stagl ist Professorin für Umweltökonomie und -politik und Leiterin des Kompetenzzentrums Sustainability Transformation and Responsibility an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der European Environment Agency und Mitglied des Generalrats der OeNB. Im Jahr 2024 wurde sie österreichische Wissenschaftlerin des Jahres.
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