image_pdfimage_print
Alle Beiträge von isje

PA: Nachhaltige Stadtentwicklung aus vielen Perspektiven beleuchtet – das war die EZA-Tagung der Stadt Wien

Südwind und die Stadt Wien luden am 21. Oktober zum Talk mit fünf internationalen Expert*innen in den Wappensaal des Wiener Rathauses

Im gediegenen Ambiente des Wappensaales trafen am Freitag Botschafter*innen, Architekt*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Verwaltungsangestellte aus allen Bereichen der Stadt Wien und Interessierte zusammen, um mehr über zukunftsfähige Ideen und konkrete Fallbeispiele zu nachhaltigem Städtebau zu erfahren.

Ian Banerjee ist Stadtforscher der TU Wien und seit 20 Jahren auf der Suche nach Erfolgsgeschichten in der Stadtplanung, denn er weiß um die Wirkung eines guten Narrativs. Die größte transformative Kraft sieht er dabei in sozialen und digitalen Netzwerken – in Plattformen für partizipative Innovation. Dadurch kann Potential entfaltet werden, Lösungen mitzugestalten und sich direkt an der öffentlichen Verwaltung zu beteiligen.

Hannes Lagrelius führte in die Arbeit der World Blind Union (WBU) ein, für die er in Nairobi arbeitet. Die WBU ist die globale Interessenvertretung blinder und sehbeeinträchtigter Menschen mit Berater-Status bei den UN-Organen. Der Bedarf an integrativen und barrierefreien Infrastrukturen und Dienstleistungen wird weiter ansteigen – 2050 werden über zwei Milliarden Menschen mit Behinderungen in städtischen Gebieten wohnen. Lagrelius geht es um eine kontinuierliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Menschen mit Beeinträchtigungen.

Karin Küblböck, Ökonomin und Senior Researcherin bei der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung, stellte die konkrete Vorgangsweise partizipativer Stadtentwicklungsprozesse in zwei Städten in Indien und Jordanien vor. Für sie ist es essentiell, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausgebaut wird, damit Forderungen an die Politik gestellt werden können, die zielführend sind. Breites Wissen muss zusammenkommen, um die Herausforderungen in der konkreten Situation zu meistern. „Dazu muss die Wissenschaft aber auch lernen, das Wissen auf breiter Basis zu vermitteln“, so Küblböck.

Im Anschluss sprach Julian Baskin, Direktor für Stadtentwicklung bei Cities Alliances, einer globalen Partnerschaft, die städtische Armut bekämpft und Städte dabei unterstützt, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Baskin konzentrierte sich bei seiner Keynote auf Städte in Afrika, da der Kontinent fast so urbanisiert ist wie China und genauso viele Städte mit über einer Million Einwohner*innen aufweist wie Europa. Zentral für ihn ist, dass nachhaltige Stadtentwicklung auch mit der Schaffung von menschenwürdiger Arbeit einhergeht: „No one comes to a city looking for a toilet. They come looking for a job. This is essential.”

Als letzte Rednerin wurde Sarah Habersack live aus Brasilien zugeschalten. Sie leitet dort den strategischen Bereich „Urbaner Wandel“ für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). In ihren Beispielen zeigt sich, dass die Lösungen für Probleme innerhalb der Städte selbst zu finden sind und dass diese Lösungen immer häufiger in naturbasierten Ansätzen liegen. Für Habersack ist es zentral, dass städtische Verwaltung offen und partizipativ umgesetzt wird und die Rolle des öffentlichen Sektors als Manager und Mediator des digitalen Wandels in Städten darstellt. Darüber hinaus braucht es neue Formen der Führung und die Führungsspitze muss weiblicher und diverser werden, wenn sie die Probleme der Zukunft lösen möchte.

Auch wenn alle fünf Expert*innen aus ihrer jeweiligen Perspektive das Thema „Nachhaltige Städte – Leaving no one behind“ beleuchteten, gab es doch eine bemerkenswerte Einigkeit: Partizipation ist ein wesentlicher Faktor für nachhaltige Transformation in Städten. Es braucht demnach Räume, in denen möglichst diverse Gruppen miteinander reden, Gemeinsames bewirken und Verantwortung übernehmen.

Hier geht es zur Bildgalerie

Copyright: Cornelia Hartung

Kontakt und Rückfragehinweis:

Olivia Tischler
Regionalstelle Wien
Tel.: 01 / 405 55 15 – 327
E-Mail: olivia.tischler@suedwind.at

www.suedwind.at/wien

PA: Katar: Einen Monat vor WM weiterhin zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, Entschädigungsforderungen bleiben offen

Einen Monat vor dem Anpfiff der Fußball-WM sind Menschenrechtsverletzungen in Katar weiterhin weit verbreitet, so Amnesty International am 20.10. in einem neuen Bericht. Die katarischen Behörden müssen die versprochenen Arbeitsreformen im Anschluss an die WM und darüber hinaus einhalten, fordert die Menschenrechtsorganisation.

In einem kürzlich erschienen Statement fordern zahlreiche NGOs, darunter auch Amnesty International, die FIFA erneut auf, einen Entschädigungsfonds für Arbeitsmigrant*innen einzurichten. Bislang gibt es von Seiten der FIFA jedoch kein Bekenntnis, die Menschenrechtsverletzungen, die im Vorfeld der WM in Katar begangen wurden, angemessen zu entschädigen.

Die Überarbeitung des katarischen Arbeitssystems hat seit 2017 zu einigen merklichen Verbesserungen für die zwei Millionen im Land arbeitenden Arbeitsmigrant*innen geführt; Hunderttausende von ihnen arbeiten in Projekten, die für die Fußball-WM wichtig sind. Dennoch untergräbt ein Mangel an effektiver Umsetzung und Durchsetzung der Reformen die positiven Auswirkungen auf die Arbeitsmigrant*innen.

So sehen sich Tausende Arbeiter*innen auf Baustellen mit oder ohne WM-Bezug immer noch Problemen gegenüber wie verspäteten oder gar nicht gezahlten Löhnen, dem Wegfall von Ruhetagen, unsicheren Arbeitsbedingungen, Behinderungen bei einem Jobwechsel sowie wenigen Möglichkeiten, gegen all diese Verstöße rechtliche Schritte einleiten zu können. Tausende von Todesfällen von Arbeitsmigrant*innen sind weiterhin ungeklärt.

„Obwohl Katar in den vergangenen fünf Jahren wichtige Schritte in Richtung einer Verbesserung der Rechte der Arbeitsmigrant*innen gemacht hat, ist es ganz offensichtlich, dass man hier bei weitem noch nicht stehenbleiben kann. Tausende Arbeitsmigrant*innen befinden sich wegen legaler Schlupflöcher und unzureichender Reformumsetzungen immer noch in der allzu bekannten Spirale von Ausbeutung und Missbrauch“, sagt Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.

Amnesty International fordert die katarischen Behörden eindringlich auf, die Arbeitsschutzmaßnahmen zu verbessern und durchzusetzen, die Rechte der Arbeitsmigrant*innen zu stärken, fairen Lohn für die geleistete Arbeit zu zahlen und den Zugang zur Justiz und zu Entschädigungen zu ermöglichen.

„Trotz der großen und wachsenden Unterstützung von Fans, Fußballvereinen und Sponsor*innen für die Entschädigung von Arbeitsmigrant*innen, bewegt sich weder in Katar noch bei der FIFA etwas. In einem Monat beginnt die Fußball-WM und für Katar und die FIFA wird die Zeit, um noch das Richtige zu tun, schnell knapp“, sagt Steve Cockburn.

Weitreichende Menschenrechtsverstöße

Arbeitsmigrant*innen, die an Projekten mit und ohne WM-Bezug arbeiten, sehen sich in Katar weiterhin weitreichenden Menschenrechtsverstößen und Ausbeutung gegenüber. Viele Arbeitsmigrant*innen, besonders Hauspersonal in Privathaushalten und Mitarbeiter*innen im privaten Sicherheitssektor, arbeiten unter Bedingungen, die teilweise Zwangsarbeit gleichkommen.

Hausangestellte arbeiten typischerweise zwischen 14 und 18 Stunden am Tag, ohne einen wöchentlichen Ruhetag und sind in den Privathaushalten von der Außenwelt abgeschottet. Privaten Sicherheitsmitarbeiter*innen wird außerdem oft wiederholt der Ruhetag gestrichen und sie sind gezwungen, unter Androhung von Strafe zu arbeiten. Zu den angedrohten Strafen zählen willkürliche Lohnkürzungen und die Beschlagnahmung des Reisepasses, obwohl solche Praktiken gegen das katarische Recht verstoßen. Arbeitsmigrant*innen bleibt es weiter versagt, Gewerkschaften zu gründen oder sich solchen anzuschließen, obwohl dies ihnen unter internationalem Recht zusteht.

Ungeklärte Todesfälle

Nach wie vor ungeklärt sind Tausende von Todesfällen von Arbeitsmigrant*innen der letzten zehn Jahre und darüber hinaus, die sich teils auf WM-Baustellen sowie außerhalb zugetragen haben. Wahrscheinlich sind Hunderte dieser Fälle zurückzuführen auf das Arbeiten in der sengenden Hitze Katars. Die neuen gesetzliche Bestimmungen zum Schutz vor Hitze stellen eine Verbesserung dar, müssen aber weiter gestärkt werden, um sie internationalen Standards anzupassen und so für adäquaten Schutz der im Freien Arbeitenden zu sorgen.

Trotz klarer Beweise für Hitze als großes Gesundheitsrisiko haben die katarischen Behörden, obwohl es international so üblich wäre, bislang wenig getan, um die Todesfälle von Arbeitsmigrant*innen, die mit der Hitze in Verbindung stehen könnten, zu untersuchen, die Todesursache zu bestätigen oder Entschädigungen an die Angehörigen zu zahlen.

Weit verbreitet ist außerdem, dass zukünftige Arbeitsmigrant*innen erpresserische Vermittlungsgebühren zahlen, um sich so einen Job in Katar zu sichern. Gebühren von 1.000 bis 3.000 Euro sorgen dafür, dass viele Arbeitsmigrant*innen Monate oder gar Jahre brauchen, ihre Schulden abzubezahlen, wodurch sie in einer Spirale der Ausbeutung gefangen sind.

Wichtige Änderungen des Kafala-Systems – das eine komplette Abhängigkeit der Arbeitsmigrant*innen von ihren Arbeitgeber*innen mit sich brachte – bedeuten, dass nun die Mehrheit der Arbeitsmigrant*innen das Recht hat, auch ohne Erlaubnis ihrer Arbeitgebenden das Land verlassen und die Arbeitsstelle wechseln zu dürfen. Jedoch besteht für die Arbeitsmigrant*innen weiterhin die Gefahr, festgenommen oder des Landes verwiesen zu werden, falls ihr*e Arbeitgeber*in ihr Visum storniert, ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht erneuert oder sie bei den Behörden anzeigt wegen „unerlaubten Verlassens des Arbeitsplatzes“.

Die katarische Regierung meldet, sie habe seit Oktober 2020 über 300.000 Anträge auf Jobwechsel von Arbeitsmigrant*innen bewilligt. Dennoch hat Amnesty International mehrere Fälle aus den letzten Monaten dokumentiert, in denen Arbeitgeber*innen ihre Machtposition über das Stornieren von Visa, die Erneuerung von Aufenthaltsgenehmigungen und das Anzeigen wegen „unerlaubten Verlassens des Arbeitsplatzes“ ausgenutzt haben, um diejenigen auszubeuten und zu bestrafen, die sich über die Arbeitsbedingungen beschwerten oder die ihren Job wechseln wollten.

Hintergrund

Teil der seit 2017 durchgeführten Reformen in Katar sind ein Gesetz zur Regulierung der Arbeitsbedingungen von Hausangestellten, ein Fonds zur Entschädigung bei Lohndiebstahl sowie die Einführung eines Mindestlohns. Katar hat außerdem zwei wichtige Menschrechtsverträge ratifiziert, allerdings ohne das Recht der Arbeitsmigrant*innen anzuerkennen, sich einer Gewerkschaft anschließen zu dürfen.

Die für die Planung und Durchführung der Weltmeisterschaft zuständige katarische Behörde, das Supreme Committee for Delivery and Legacy, hat ebenfalls verbesserte Arbeitsstandards für Arbeiter*innen eingeführt. Allerdings gelten diese nur auf WM-Schauplätzen wie Stadien und betreffen nur einen kleinen Anteil der insgesamt an WM-Projekten beteiligten Arbeiter*innen sowie darüber hinaus nur 2% der gesamtem Arbeitsbevölkerung Katars.

Amnesty erkennt die Wichtigkeit dieser Reformen an, stellt mit dem vorliegenden Kurzbericht jedoch einen Aktionsplan vor, um weiterhin vorhandene Missstände in zehn Bereichen anzugehen.

Im vergangenen Monat zeigte eine durch Amnesty International in Auftrag gegebene internationale Umfrage eine große Zustimmung unter den Befragten und Fußballfans für die Zahlung von Entschädigungen an Arbeitsmigrant*innen, die im Vorlauf der WM 2022 Menschenrechtsverletzungen erlitten haben.

Die Ergebnisse der Umfrage unterstützen die #PayUpFIFA-Kampagne, die im Mai von einem Zusammenschluss aus Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International –, Fangruppen und Gewerkschaften ins Leben gerufen wurde und in der die FIFA und die katarischen Behörden aufgefordert werden, einen Fonds zur Entschädigung der Arbeiter*innen einzurichten und künftige Menschenrechtsverstöße zu verhindern.

Für Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: presse@amnesty.at

Interviewmöglichkeit: Prof. Jomo Kwame Sundaram

Auf Einladung des VIDC und der ÖFSE kommt der ehemalige UN-Vizedirektor (DESA) nach Wien und wird über die aktuelle Hungerkrise und Möglichkeiten eines „Non-Alignment Movement 2.0“ sprechen.

Extreme Preisausschläge auf den globalen Rohstoff- und Energiebörsen, Dürren in weiten Teilen Afrikas, Versorgungsengpässe mit Getreide und Düngemitteln im Gefolge des Ukraine-Kriegs, und Versorgungsengpässe mit medizinischen Gütern während der Covid-19 Krise – die globalen Turbulenzen der jüngsten Vergangenheit sind besorgniserregend. Vor allem werfen sie die fundamentale Frage auf, wie die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern in Zukunft sichergestellt werden kann.

Sind Nahrungsmittel- und Energiebörsen nützliche Instrumente zur Koordinierung von Angebot und Nachfrage oder führen sie zu Preisinstabilitäten und tragen damit zu Versorgungsunsicherheiten in Europa und zu Armut und Hunger in den Ländern des Globalen Südens zu Armut und Hunger bei? Wie sieht eine ‚neue Weltwirtschaftsordnung‘ aus, wie sie von Vertreter*innen der Idee eines ‚Non-Alignment Movement 2.0‘ gefordert werden?

Interviews:
Freitag, 21.10.2022 | 10.00 bis 12.00 Uhr (pro Interview sind max. 30 Minuten vorgesehen)
ORT: ÖFSE | Sensengasse 3 | 1090 Wien | Lageplan
Sprache: Englisch
Terminvereinbarungen bitte an: h.grohs@oefse.at

Jomo Kwame Sundaram
ist ein bekannter malaysischer Ökonom. Von 2005 bis 2012 war er stellvertretender UN-Generalsekretär in der UN-Hauptabteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA). Heute ist er leitender Berater am Khazanah Research Institute, Visiting Fellow an der Initiative for Policy Dialogue der Columbia University und außerordentlicher Professor an der International Islamic University (IIUM).
https://www.ksjomo.org/

Prof. Sundaram hält im Rahmen der Veranstaltung „Food for all? – What it takes to secure global supplies with nutrition and basic needs“ 20.10.2022 auch einen Vortrag
Weiter Informationen finden Sie hier: https://www.oefse.at/veranstaltungen/veranstaltung/event/show/Event/food-for-all/

Workshop: Klimajournalismus im Globalen Süden

Die Auswirkungen der Klimakrise sind in Ländern des Globalen Südens noch viel deutlicher zu spüren als im Westen – schon jetzt sind sie für zahlreiche Regionen existenzbedrohend. Was bedeutet es, Klimajournalist:in in einem Land wie Indien oder Ghana zu sein? Wie funktioniert die tagtägliche Arbeit, wie können Reporter:innen unabhängig und investigativ arbeiten? Und wie gefährlich ist es, kritische Beiträge über Regierungen und Konzerne zu veröffentlichen?

Darüber berichten die beiden preisgekrönten Klimajournalist:innen Bahar Dutt (Indien) und Mike Anane (Ghana) im Gespräch mit Sandra Walder, Leiterin des Klima-Teams der Austria Presse Agentur (APA) im Rahmen eines Workshops des FJUM.

Bahar Dutt ist eine der bekanntesten Klimajournalist:innen in Indien, sie arbeitete viele Jahre als Klimareporterin für den größten indischen Nachrichtensender CNN-News18 und gewann 14 nationale und internationale Preise für ihre Reportagen. Dutt ist Autorin der Bücher „Green Wars“ und „Rewilding India“, sie unterrichtet heute an der Shiv Nadar University in New Delhi über Journalismus und die Klimakrise.

Mike Anane arbeitet seit über 20 Jahren als unabhängiger Klimajournalist in Ghana. Er ist Preisträger des UN-Umweltprogramms Global 500 und Autor des Buchs „Covering the environment: A Guidebook on Environmental Journalism in Developing Countries“. Sein zentrales Thema ist der Elektromüll, der vorwiegend aus den USA und Europa in seine Heimat geschifft wird und einige Zonen nachhaltig zerstört hat.

Wann: Mittwoch, 19. Oktober 2022, 17-19 Uhr
Wo: Online (Zoom)
Zur Anmeldung

Dieser Workshop findet im Rahmen der Klimajournalismus-Akademie statt und ist von klimaaktiv, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG und ÖBB finanziert.

In Kooperation mit der ISJE.

Veranstaltungseinladung zu ÖFSE Development Lecture 20: Food for all? What it takes to secure global supplies with nutrition and basic needs

Extreme price volatilities in global commodity and energy markets, droughts in large parts of Africa, supply shortages of grain and fertilizers in the wake of the Ukraine war, as well as in medical goods during the Covid-19 crisis: Global turbulences are increasing.

Above all, they raise the fundamental question of how essential goods can be secured for all. Are commodity and energy exchanges and other market mechanisms useful instruments for coordinating supply and demand? Or do they lead to price instabilities and thus contribute to supply insecurities in Europe and to hunger in the countries of the Global South? What does it actually take to secure future supplies with food and energy other basic goods against the backdrop of the climate crisis? Which national and international policies are needed?

International experts will take a critical look at how global commodity markets work and discuss political solutions needed to ensure the provision of essential basic goods – not only but particularly in the Global South.

Keynote Speaker
Jomo Kwame Sundaram (former United Nations assistant secretary-general for economic development in the United Nations Department of Economic and Social Affairs (DESA) during 2005–2012, senior adviser at the Khazanah Research Institute, visiting fellow at the Initiative for Policy Dialogue, Columbia University, and an adjunct professor at the International Islamic University (IIUM))

Comments
Sofía Monsalve Suárez (Secretary General of FIAN International) and Faith Lumonya (Economic Justice and Climate Action Programme Officer at Akina Mama wa Afrika in Kampala, Uganda)

20.10.2022, 17:00 – 19:00
C3 – Centre for International Development
Alois Wagner Saal, Sensengasse 3, 1090 Wien

Programme (pdf)
Registration: registration@oefse.at
More Information

Conference Language: English
Conference Format: Hybrid event (physical conference and Zoom/Facebook event)

Interviewmöglichkeit: Brasilianische Menschenrechtsexpert*innen zu Gast in Innsbruck und Wien

Expert*innen Natália Suzuki und Carlos Eduardo Silva aus Brasilien über ihren Einsatz für Menschenrechte und faire, entwaldungsfreie Lieferketten.

Im Rahmen einer europaweiten Informationstour sind Natália Suzuki (Reporter Brasil) und Carlos Eduardo Silva (CONTAR) von 19. bis 21. Oktober in Innsbruck zu Gast. Neben einer öffentlichen Veranstaltung am Innsbrucker MCI am 19. Oktober und eines Roundtables mit Wissenschafter*innen der Universität Innsbruck am 20. Oktober, stehen die beiden Menschenrechtsexpert*innen für Interviews zu Verfügung. Am 14. Oktober halten sie einen Vortrag im LAI Wien.

Erst Anfang des Monats hat Brasilien gewählt. Luiz Inácio Lula da Silva hat die erste Runde der Präsidentenwahl knapp für sich entschieden, am 30. Oktober muss er gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro in die Stichwahl. Jetzt kommen auf Einladung der Menschenrechtsorganisation Südwind mit Carlos Eduardo Silva und Natalia Suzuki zwei ausgewiesene Expert*innen für Arbeitsrechte, Menschenrechte und faire Lieferketten nach Österreich, um über ihren Einsatz für die Abschaffung von Zwangsarbeit und Menschenrechte in globalisierten Lieferketten zu berichten. „Erst im Juli haben Einsatzkräfte in Brasilien über 300 Arbeiter*innen aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen befreit, darunter viele, die auf Kaffeeplantagen schuften mussten. Dabei kommt es zu Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen indigene und lokale Gemeinschaften“, erklärt Nina Marcher von Südwind Tirol.

Öffentliche Veranstaltungen:
Vortrag und Diskussion „Kaffee, Orangen, Soja: Moderne Sklavenarbeit in globalisierten Lieferketten“
Mi, 19. Oktober 2022, 18:00 Uhr
MCI II, Universitätsstr. 15/ 5. Stk., Raum Nr. 551/52 

Roundtable „Brasilien: Agrarfragen und ländlicher Raum“
Do, 20. Oktober 2022, 16:00 Uhr
Universität Innsbruck/Institut für Geographie, Innrain 52d/6. Stock, Raum 60635

Natália Suzuki ist die Koordinatorin des „Slavery no way!“-Programms der NGO Repórter Brasil. Sie ist Journalistin und Sozialwissenschaftlerin (Universität von São Paulo) sowie Expertin für Menschenrechte (Universität Bologna) und hat als Reporterin für die Nachrichtenagentur Carta Maior gearbeitet.

Carlos Eduardo Silva ist Rechtsanwalt und arbeitet seit 2005 mit Landarbeiter*innen. Derzeit ist er Berater der Nationalen Konföderation der Landarbeiter*innen und Angestellten (CONTAR). Seit 15 Jahren nimmt er an den Verhandlungen über kollektive Arbeitsverträge teil, insbesondere in den landwirtschaftlichen Exportlieferketten für Produkte wie Kaffee, Soja und Rindfleisch. Silva koordiniert zudem internationale Projekte zum Schutz der Menschenrechte in Lieferketten.

Mehr Informationen finden Sie hier: www.suedwind.at/tirol

Fotos von den Expert*innen zur Bewerbung hier zum Download:
Natália Suzuki
Carlos Eduardo Silva

Für Rückfragen und Interview-Vereinbarung: 
Caroline Sommeregger
Tel.: 0680 144 37 87
caroline.sommeregger@suedwind.at 

PA: Enthüllte Dokumente zeigen Anweisung, „gnadenlos“ gegen Demonstrierende vorzugehen

Der 30. September geht im Iran als „blutiger Freitag“ in die Geschichte ein. Amnesty International konnte bestätigen, dass in der Provinz Sistan und Belutschistan am 30. September mindestens 66 Menschen von iranischen Sicherheitskräften getötet wurden. 16 weitere Menschen starben bei getrennten Vorfällen.

Iranische Sicherheitskräfte töteten unrechtmäßig mindestens 66 Menschen, darunter auch Kinder, und verletzten Hunderte weitere Menschen bei der brutalen Niederschlagung der Proteste nach dem Freitagsgebet am 30. September in Zahedan in der Provinz Sistan und Belutschistan.

Laut Amnesty International haben die Sicherheitskräfte mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas auf Demonstrant*innen und Umstehende geschossen.

Bei weiteren Vorfällen wurden seitdem in Zahedan im Zuge der anhaltenden Niederschlagung von Protesten 16 weitere Menschen getötet.

Die gesammelten Beweise – Berichte von Aktivist*innen, Familienangehörigen der Opfer, Augenzeug*innen sowie Bilder und Videos der Proteste − deuten darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer in Zahedan sogar noch höher ausfällt.

Der 30. September, der im Iran als „blutiger Freitag“ bezeichnet wird, war der tödlichste Tag seit Beginn der Proteste im Iran vor fast drei Wochen. Die Proteste brachen aus, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini nach ihrer Verhaftung durch die iranische „Sittenpolizei“ in der Haft starb.

„Die iranischen Behörden haben wiederholt gezeigt, dass sie das Recht auf Leben völlig missachten und vor nichts zurückschrecken, um ihre Macht zu erhalten. Die gefühllose Gewalt, die von den iranischen Sicherheitskräften ausgeht, ist das Ergebnis einer systematischen Straflosigkeit und einer unzureichenden Reaktion der internationalen Gemeinschaft“, sagte Agnes Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.

„Die einzige Möglichkeit, die Straflosigkeit, die solche Handlungen begünstigt, zu durchbrechen, besteht darin, dass die UNO-Mitgliedsstaaten im Iran dringend einen unabhängigen Ermittlungs- und Rechenschaftsmechanismus für die schwersten Verbrechen nach internationalem Recht einrichten.

Die gesamte Presseaussendung im Original finden Sie hier.

Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: antonio.prokscha@amnesty.a

AVISO: Entwicklungspolitische Fachtagung. Nachhaltige Entwicklung findet STADT

Südwind lädt mit der Stadt Wien am 21. Oktober ab 16 Uhr zum Talk mit sechs internationalen Expert*innen in den Wappensaal des Wiener Rathauses.

Eine Stadt hat viele Aufgaben zu erfüllen, um ihren Einwohner*innen ein nachhaltiges Leben zu ermöglichen. Im Rahmen der Konferenz thematisieren wir die großen Herausforderungen, denen sich Städte aufgrund der raschen Urbanisierung stellen müssen. Soziale Ungleichheit wächst und Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Sicherheit bleiben häufig auf der Strecke. Besonders in den Slums, in denen weltweit rund 863 Millionen Menschen leben, fehlt es vor allem an leistbarem, angemessenem Wohnraum, an einer funktionierenden Wasser- und Energieversorgung, öffentlichem Nahverkehr, Schulen, sozialen und Gesundheitsdienstleistungen.

Städte und Siedlungen widerstandsfähig und nachhaltig zu gestalten, gewinnt enorm an Bedeutung und findet sich auch in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG 11). Die Fragen, Erkenntnisse und good-practices der Konferenz sollen uns anregen, Lösungen für eine ökologische und soziale Urbanisierung zu finden – für ein Gutes Leben für Alle!

Expert*innen:
Sarah Habersack – Leiterin des strategischen Bereichs „Urbaner Wandel“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Rio de Janeiro, Brasilien

Hannes Juhlin Lagrelius – Program Officer, Globales Programm für integrative und barrierefreie Stadtentwicklung, World Blind Union, Nairobi

Julian Baskin – Direktor für Stadtentwicklung, Cities Alliances, UNOPS, Belgien

Karin Küblböck – Ökonomin und Senior Researcher bei der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (ÖFSE), Österreich

Ian Banerjee – Stadtforscher der Technischen Universität Wien, Österreich

Anke Strüver – Professorin für Humangeographie an der Universität Graz, Österreich


Möglichkeit für Einzelinterviews: Auf Anfrage stehen die Expert*innen im Vorfeld der Tagung für Einzelinterviews zur Verfügung.

In Kooperation mit der ISJE.

Mehr Infos zum Programm der Tagung finden Sie hier bzw. im Anhang.

Ausklang mit Buffet. Eintritt ist frei.

Anmeldung unter: tagung@suedwind.at

Kontakt und Rückfragehinweis:
Olivia Tischler
Regionalstelle Wien
Tel.: 01 / 405 55 15 – 327
E-Mail: olivia.tischler@suedwind.at

www.suedwind.at/wien

PA: Ernst der Globalen Lage verlangt nach mehr Entwicklungshilfe

AG Globale Verantwortung appelliert angesichts globaler Krisen an Bundesregierung, 2023 ihr Budget für Entwicklungshilfeleistungen substanziell zu erhöhen

„Konflikte, Klimakrise, Gesundheitskrisen und steigende Armut beeinflussen unser aller Leben. Für Menschen in Ländern des Globalen Südens, die bereits extrem arm sind, ergeben diese multiplen Krisen jedoch eine lebensbedrohliche Spirale: Sie potenzieren sich und vergrößern Ungleichheiten sowie Hunger, treiben Menschen noch weiter in Armut und verschlechtern ihre Lebensbedingungen. Sie drohen ärmere Staaten politisch, wirtschaftlich und sozial zu destabilisieren“, beschreibt Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung, globale Zusammenhänge.

„Heute sind 300 Mio. Menschen von Humanitärer Hilfe abhängig; so viele wie nie zuvor. Und noch nie waren so viele Menschen extrem arm; in Kürze wird ihre Zahl auf eine Milliarde ansteigen. Es ist daher ein Gebot der Stunde, gerade in Ländern des Globalen Südens multiplen Krisen vorzubeugen, sie einzudämmen und zu bewältigen. Die Bundesregierung sollte das in ihrem Budget für 2023 berücksichtigen, auch im Interesse Österreichs“, wendet sich Vilim an die österreichische Regierungsspitze.

EZA wirkt dreifach gegen multiple Krisen

Österreichs Bundesregierung habe heuer den Auslandskatastrophenfonds und damit ihre Humanitäre Hilfe aufgestockt, begrüßt Vilim. „Das ist wichtig, denn so konnte die Regierung Hunderttausenden Menschen in akuter Not helfen, beispielsweise in der Ukraine oder in Pakistan. Das allein wird aber nicht ausreichen. Zusätzlich zum ‚Feuerlöschen‘, um ein Bild zu verwenden, braucht es in Krisenzeiten nämlich mehr Investitionen in dringend benötigte Entwicklungszusammenarbeit.“

Denn es sei vor allem bilaterale Entwicklungszusammenarbeit (EZA), die langfristige und nachhaltige Hilfe in ärmeren Ländern ermögliche, führt Vilim aus: „EZA kann Krisen vorbeugen, indem sie beispielsweise nachhaltige Nahrungsmittelproduktion fördert. Dadurch haben Menschen genügend zu essen und Staaten sind weniger von Importen und dem Weltmarkt abhängig. EZA kann aber auch die Folgen von Krisen eindämmen, indem sie beispielsweise die regionale Gesundheitsversorgung verbessert. Und EZA kann Krisen bewältigen. So könnten beispielsweise Wiederaufforstungsprogramme in Ländern wie Pakistan Böden vor Erosion bewahren, Menschen vor Überschwemmungen sowie Muren schützen und darüber hinaus den Wasserhaushalt verbessern.“

„Erst kürzlich hat eine Flutkatastrophe infolge der Klimakrise fast 1.400 Todesopfer und 13.000 Verletzte in Pakistan hinterlassen. Rund 33 Mio. Menschen sind seither obdachlos – eine Zahl, die zusammengerechnet jener der griechischen, portugiesischen und schwedischen Bevölkerung entspricht. Bis 2030 könnten weltweit 700 Mio. Menschen dazu gedrängt sein, wegen Wassermangels ihre Heimat zu verlassen“, verdeutlicht Vilim den Ernst der Lage.

Internationale Vereinbarungen und Regierungsprogramm geben Kurs für Budgeterhöhungen vor 

„Die Bundesregierung ist gut beraten, jetzt mehr in direkte Projekthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und präventive Maßnahmen, die Systeme und Menschen stärken, zu investieren. (…) Mit Blick auf das Budget 2023 appellieren wir daher an die Bundesregierung, die höhere Dotierung des Auslandskatastrophenfonds in den kommenden Jahren beizubehalten und die Mittel für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit wesentlich zu erhöhen. Nichts zu tun ist die Teuerste aller Optionen. Folgekosten von Krisen – menschliche wie finanzielle – sind immer höher.“

Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung

Ob in Wiederaufforstungs- und Wasserprogramme, in einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung oder (Aus-)Bildung, in nachhaltige Ernährungssysteme oder Klimaschutz: „Die Bundesregierung ist gut beraten, jetzt mehr in direkte Projekthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und präventive Maßnahmen, die Systeme und Menschen stärken, zu investieren“, betont Vilim. Den Kurs für Budgeterhöhungen gebe das international vereinbarte und im Regierungsprogramm festgelegte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungshilfeleistungen zur Verfügung zu stellen, vor. Vilim fügt hinzu, dass Österreich laut vorläufiger Zahlen der OECD im Jahr 2021 lediglich 0,31% seines BNE bereitgestellt habe.

„Mit Blick auf das Budget 2023 appellieren wir daher an die Bundesregierung, die höhere Dotierung des Auslandskatastrophenfonds in den kommenden Jahren beizubehalten und die Mittel für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit wesentlich zu erhöhen. Nichts zu tun ist die Teuerste aller Optionen. Folgekosten von Krisen – menschliche wie finanzielle – sind immer höher“, schließt Vilim.

Für Rückfragen:
Hannah Hauptmann, MA
Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Globale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Apollogasse 4/9, 1070 Wien
Tel: 01/522 44 22-15
Mobil: +43 699/17 20 42 07

PA: Brasilien am Scheideweg: Wandel oder ungarische Zustände?

Die Brasilianer*innen haben am Sonntag nicht nur die Wahl zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten. Das Land steht vielmehr an einem Scheideweg. Führt eine Wiederwahl Bolsonaros zu ungarischen Zuständen? Oder gelingt es Lula da Silva der Entwicklung des größten lateinamerikanischen Landes eine grundlegende Wendung zu geben? Dazu nehmen zwei renommierte Wissenschafter*innen und Brasilien-Expert*innen in der folgenden Pressemitteilung von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ Stellung.

Wien, 28.09.2022. Die beiden Kontrahenten stehen sich zwar zum ersten Mal direkt bei einer Wahl gegenüber, ihre konträren politischen Zielsetzungen sind aber in der politischen Praxis schon vorher kollidiert, wie ein Blick in die jüngste brasilianische Geschichte zeigt.

Die beiden Regierungen von Ex-Präsident Lula da Silva (2003-2011) haben die brasilianische Gesellschaft, die von jahrhundertelanger Sklaverei und von tiefer sozialer und ethnischer Ungleichheit geprägt ist, eine Spur gerechter gemacht. Durch Quotenregelungen an Universitäten und im öffentlichen Dienst, durch neue Lehrpläne, die afrobrasilianische Geschichte in den Unterricht einbeziehen müssen, wurden Sklaverei und struktureller Rassismus stärker thematisiert. Zumindest wurde der nationale Mythos der sogenannten „Rassendemokratie“, des vermeintlich harmonischen Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer Gruppen, erstmals kritisch hinterfragt. Die Sozialtransferprogramme der Regierungen Fernando Henrique Cardoso, Lula und Dilma Rousseff kamen vor der Finanzkrise von 2013 etwa 40 Millionen Menschen zugute. Waren 1998 noch über 90 Prozent der Studierenden „weiß“, so konnten seitdem erstmals viele junge Brasilianerinnen und Brasilianer aus unterprivilegierten Schichten wie Schwarze und Indigene, studieren, besser bezahlte Jobs bekommen und den verfassungsmäßigen Schutz ihrer kulturellen Eigenständigkeit erfolgreicher einmahnen.

Ursula Prutsch, Professorin an der LMU-München, verweist darauf, dass die Regierung Bolsonaro die Reformen von Lula und seinen Nachfolgern nicht nur rückgängig machte, sondern offensiv in die Gegenrichtung steuerte: „Sie hat mit ihrer katastrophalen Wirtschaftspolitik, ihrem Versagen im Covid-Management, durch die systematischen Kürzungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich mindestens 30 Millionen Menschen in bittere Armut gedrückt und gerade einer jungen Generation die Hoffnungen für sozialen Aufstieg genommen. Sie versuchte, das Erbe der Regierungen Lula zu zerstören und bewusst das alte rassistische Narrativ der „natürlichen ethnischen Hierarchie“ durch eine Politik wohlhabender Weißer wiederherzustellen.“

Nach allen Umfragen stehen die Chancen gut, dass der Fortsetzung der Vernichtung des brasilianischen Regenwaldes und dem damit im Zusammenhang stehenden Genozid an der indigenen Bevölkerung im Amazonas sowie den Versuchen zur Zerstörung des Rechtsstaates unter Jair Bolsonaro ein Ende gesetzt wird. Aber auch wenn der prognostizierte Sieg Lula da Silvas kurzfristige Veränderungen in Bezug auf Demokratiegefährdung, Umweltpolitik und Armutsbekämpfung verspricht – was nicht wenig ist – muss ein nachhaltiger politischer Wandel tiefgreifender ansetzen. Und er muss gleichzeitig die tiefe Spaltung der brasilianischen Gesellschaft überwinden. D.h., die Herausforderungen, vor denen das Land und eine Politik des Wandels steht, sind enorm. „Wichtige Sofortmaßnahmen im Kampf gegen die Armut oder auch die fortschreitende Vernichtung des Regenwaldes wird Lula ohne große Probleme umsetzen können. Weitaus schwieriger wird die Lösung dringender struktureller Probleme zu bewerkstelligen sein. Um den langen Schatten der Sklavenhaltergesellschaft abschütteln zu können sind langfristige Investitionen in das Bildungs- und Gesundheitssystem, den Klimaschutz, die Stärkung indigener Rechte sowie in Strukturen einer nachhaltigen Landwirtschaft notwendig.“, meint Andreas Novy, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Außenpolitisch besteht eine der größten Herausforderungen darin, die untergeordnete und zerstörerische Integration Brasiliens in den Weltmarkt zu verändern und der Ausbeutung seiner Ressourcen durch den globalen Norden Grenzen zu setzen. Ob dies angesichts der tiefen Spaltung des Landes gelingen kann ist fraglich.

Andreas Novy meint dazu: „Lula wird in einer möglichen dritten Amtszeit eine von politischen Kompromissen gekennzeichnete Linie fahren müssen. Dies deutet sich auch bereits in seinem stark sozialpartnerschaftlich geprägten Programm an. Auch die Wahl des Vizepräsidentschaftskandidaten weist in diese Richtung. Geraldo Alckmin ist ein erfolgreicher konservativer Politiker, der Lula in einer Präsidentschaftswahl unterlegen ist. Eine notwendige Überwindung der gesellschaftlichen Gräben bei gleichzeitiger konsequenter Wandlungspolitik ist ein schwieriger Balanceakt, von dem man aus heutiger Sicht nicht sagen kann, ob er gelingen wird.“

Auch Ursula Prutsch weist auf die Herausforderungen und Begrenzungen eines möglichen dritten Lula-Projektes hin: „Lula muss den massiven Umweltzerstörungen Einhalt gebieten und den Militärs entgegenkommen, die im Amazonasraum institutionell und sicherheitspolitisch sehr präsent geworden sind – möglicherweise durch Posten oder Rüstungskäufe (wie 2009). Außerdem muss Lula, der mit Parteien der Mitte und wirtschaftsliberalen Parteien eine Koalition eingehen wird, dafür sorgen, dass die Arbeiterpartei PT weniger bevormundend von oben agiert, ethnisch inklusiver wird und wieder stärker basisdemokratisch agiert. Außenpolitisch wird er versuchen, wieder das Image Brasiliens als diplomatische Verhandlungsmacht zwischen großen Industrienationen und dem sogenannten ‚globalen Süden‘ zu rehabilitieren, das Brasilien international Wertschätzung gebracht hat.“

 Ursula Prutsch studierte Geschichte und Spanisch in Graz und habilitierte sich an der Universität Wien. Sie forscht und lehrt lateinamerikanische und US-amerikanische Geschichte am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München: ursula.prutsch@lmu.de

Andreas Novy ist Sozioökonom und leitet das Institute for Multi-Level Governance and Development an der WU Wien. Er forscht unter anderem zu Lateinamerika und Brasilien sowie zu Fragen sozial-ökologischer Transformation und sozioökonomischer Entwicklung: andreas.novy@wu.ac.at

Dr. Manfred Krenn
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
+43 677 620 44 303
krenn@diskurs-wissenschaftsnetz.at

Danyal Maneka
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz+43 650 30 11 273maneka@diskurs-wissenschaftsnetz.at