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US-Studie: Medien berichten unausgewogen über Terror

Durchschnittlich erscheinen deutlich mehr Artikel, wenn ein Terroranschlag im Westen passiert.

International gesehen berichteten Medien 2015 häufiger über Terroranschläge, die im „Westen“ (Nordamerika, Westeuropa, Australien und Ostasien) geschehen sind als über jene, die in einer anderen Region durchgeführt wurden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des US-Forschers Sean Darling-Hammond, die der Autor Mitte Jänner auf der Webseite The Nation präsentiert. Zudem kann er mit der Untersuchung bestätigen, dass westliche Medien die „eigenen“ Opfer stärker in den Fokus rücken als Opfer eines anderen Landes.

Hammond sammelte Daten rund um die 334 Terroranschläge, die im vergangenen Jahr gezählt wurden. Die meisten davon betrafen nicht-westliche Staaten. Von 26 Terroranschlägen, bei denen 50 oder mehr Menschen ums Leben kamen, war nur ein Anschlag im Westen dabei – die November-Attentate in Paris.

Durchschnittlich wurden westliche Länder 2015 von 2,6 Anschlägen getroffen, die durchschnittlich 31 Tote brachten. Das durchschnittliche nicht-westliche Land sah sich mit 10 Anschlägen und 223 Toten konfrontiert.

Wurde diesen Fakten in der Medien-Berichterstattung Rechnung getragen? Laut der Studie von Hammond ist die Antwort ganz klar nein. Über Anschläge in nicht-westlichen Staaten wird sechsmal weniger berichtet als über Anschläge im Westen. Durchschnittlich wurden pro Anschlag in nicht-westlichen Staaten 1.305 Artikel veröffentlicht, in westlichen Staaten 7,788:

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Das Fallbeispiel des 13. November 2015 veranschaulicht die ungleiche Berichterstattung noch weiter. Bekanntlich fanden am Tag der Anschläge in Paris auch Terrorattacken in Bagdad (Irak) und Beirut (Libanon) statt. Während Hammond in seiner Studie 21.672 Artikel über Paris fand, waren es knapp unter 1.300 und unter 400 im Fall von Bagdad:

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Auch die Art der Berichterstattung macht laut Hammond einen Unterschied: Seinen Untersuchungen nach fokussieren sich Artikel über Anschläge in nicht-westlichen Staaten stark auf die Täter und kaum auf die Opfer. Was bei Ereignissen wie etwa jenen in Paris nicht so ist.
Hammond erkennt einen „abgeklärten Stil“ in der Berichterstattung über Ereignisse in nicht-westlichen Staaten. Wenn Menschen aus dem Westen umkamen, fand er „mehr Herz“ in der Berichterstattung darüber als in den Berichten ohne Opfer aus dem Westen.

Hammond sieht die Medien in der Verantwortung. Zu lang habe man Ausreden verwendet. Eine ausgewogenere Berichterstattung über Terror in nicht-westlichen Staaten sei notwendig.

Artikel auf der Website von The Nation (Englisch)

Über den Autor der Studie (Englisch)

Molenbeek? Hereinspaziert!

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Molenbeek. Foto: Christine Moderbacher

Plädoyer für eine differenziertere und tiefgehende Berichterstattung anlässlich der Schlagzeilen über den Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Kommentar von Christine Moderbacher*.

Ich musste in den vergangenen Wochen an Albrecht Dürer und sein „Rhinocerus“ aus dem Jahr 1515 denken, einer seiner bekanntesten Holzschnitte. Das Werk stellt ein aus Indien stammendes Panzernashorn dar. Dabei hatte Dürer selbst nie ein Nashorn gesehen, die Darstellung basiert auf Beschreibungen und Skizzen anderer. Das sieht man am Resultat.

So ähnlich war der Zugang vieler internationaler Medien, wenn es um Molenbeek ging. Also jenes Viertel in der belgischen Hauptstadt Brüssel, in der vermeintliche Drahtzieher der Attentate von Paris gewohnt haben sollen und in dem Fahndungen nach Terroristen durchgeführt wurden.
Vom „Rückzugsgebiet für Dschihadisten“, von der „Brutstätte des IS“ und dem „Schmelztiegel des Terrors“ ist hier die Rede. Molenbeek, „wo der Terror gedeiht“.
Die Berichterstattung kreiert ein Stigma, das noch lange an den BewohnerInnen des Viertels haften wird. Das wird die Zukunft der ohnehin schon in vielerlei Hinsicht marginalisierten Bevölkerung in Brüssel, und darüber hinaus, erschweren.

Für die Quote. Es handelt sich um mediale Panikmache. JournalistInnen leben ja mitunter von diesem Angstzustand. Ich muss zugeben, wir AnthropologInnen auch. Das Interesse an meinem Forschungsgebiet (ich forsche in Molenbeek) hat sich seit den Terroranschlägen in Paris im November um einiges vervielfacht. Nur: Innerhalb der Wissenschaft wird von „Last der Repräsentation“ gesprochen, wenn in der Öffentlichkeit nur auf einzelne Personen einer marginalisierten Gruppe fokussiert wird und diese dadurch fälschlicherweise einen repräsentativen Charakter für die gesamte Gruppe einnehmen. In vielen Medien werden aktuell solche Repräsentationen als absolute Wahrheit verkauft.

Mein Molenbeek. Ich habe ein Lieblingslokal in Molenbeek, das „Al Andalus“, wo ich jedes Mal herzlich begrüßt werde und Hedi, der Wirt, schon ahnt, was ich bestellen werde. Hier treffe ich auch immer wieder Yassin und Hakim, beide Anfang 20, beide aus Molenbeek. Stimmen wie die von Yassin, Hakim und Hedi kommen selten zu Wort. Ein Missverhältnis, das nur schwer zu durchbrechen ist, wenn, wie Wirt Hedi sagt, „die internationalen Medien nur einen kurzen Abstecher nach Molenbeek machen“. JournalistInnen müssten etwas genauer hinschauen, oder etwas länger bleiben.

Ein konkretes Beispiel eines Missverständnisses: Molenbeek ist nur auf den ersten Blick wie ein Pariser Banlieu. Eine Parallele, die in den vergangenen Wochen in Medien oft gezogen wurde. Molenbeek aber ist kein Armutsgürtel am Rande der Stadt, sondern spiegelt seine eigenen demographischen und stadtentwicklerischen Besonderheit wider.

Einst Dorf. Molenbeek ist mittendrin und doch isoliert. Molenbeek Saint Jean, oder Sint-Jans-Molenbeek, der flämische Name, war einst ein Dorf am Stadtrand von Brüssel. Dann kam die Industrialisierung: Straßennamen wie Rue du Manchester und Rue du Birmingham erinnern wie die mittlerweile schon lange wieder aufgelassenen Fabrikgebäude noch an diese Zeit.
Als Folge des rasanten Wirtschaftsaufschwungs und dem damit verbundenen sozialen Aufstieg zog es die belgische Mittelklasse in den 50iger und 60iger Jahren an den Stadtrand. Als „Gastarbeiter“ geholte Türken und Marokkaner siedelten sich in Molenbeek an, und bewahrten damit die Innenstadt vor dem Verfall. Kettenmigration und Familiennachzug prägten die weitere Entwicklung und führten zum hohen Anteil der jeweiligen MigrantInnen.

Leistbar. Von der Brüsseler Innenstadt ist Molenbeek räumlich nur getrennt durch einen Kanal. Der Bau des EU-Viertels allerdings verschärfte diese Trennung: Durch die steigenden Mietpreise, nicht zuletzt gefördert durch den Zuzug hochbezahlter BeamtInnen und DiplomatInnen, sind bis heute für MigrantInnen nur Wohnungen in Bezirken wie Molenbeek leistbar.
Diese Segregation fördert das Gefühl unter den Menschen im Stadtteil, weder Raum noch Zukunft außerhalb der heruntergekommenen Straßen des eigenen Viertels zu haben. Was der Wissenschaft übrigens seit Jahren bekannt ist. Reagiert wurde auf Forschungsergebnisse seitens der Politik nie. Seit Paris ist das Problem der Perspektivlosigkeit, vor allem vieler junger Menschen in Molenbeek, unübersehbar geworden.
Darüber zu berichten ist wichtig. Die Frage ist nur wie: Reicht es, von der Distanz aus zu recherchieren oder sollte man sich nicht ein eigenes Bild machen?

 


* Die Anthropologin und Filmemacherin Christine Moderbacher ist Teil des Forschungsprojekts „KFI-Knowing from the Inside“ an der Universität von Aberdeen. Sie lebt und arbeitet seit sechs Jahren in Brüssel.