Recherchehinweis: SDG 9 – Industrie, Innovation und Infrastruktur

Infos und Input rund um SDG 9.

Das Ziel von SDG 9 wurde in unseren Zeiten multipler Krisen noch relevanter und aktueller: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen.

SDG 9 im Detail

9.1 Eine hochwertige, verlässliche, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, einschließlich regionaler und grenzüberschreitender Infrastruktur, um die wirtschaftliche Entwicklung und das menschliche Wohlergehen zu unterstützen, und dabei den Schwerpunkt auf einen erschwinglichen und gleichberechtigten Zugang für alle legen

9.2 Eine breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und bis 2030 den Anteil der Industrie an der Beschäftigung und am Bruttoinlandsprodukt entsprechend den nationalen Gegebenheiten erheblich steigern und den Anteil in den am wenigsten entwickelten Ländern verdoppeln

9.3 Insbesondere in den Entwicklungsländern den Zugang kleiner Industrie- und anderer Unternehmen zu Finanzdienstleistungen, einschließlich bezahlbaren Krediten, und ihre Einbindung in Wertschöpfungsketten und Märkte erhöhen

9.4 Bis 2030 die Infrastruktur modernisieren und die Industrien nachrüsten, um sie nachhaltig zu machen, mit effizienterem Ressourceneinsatz und unter vermehrter Nutzung sauberer und umweltverträglicher Technologien und Industrieprozesse, wobei alle Länder Maßnahmen entsprechend ihren jeweiligen Kapazitäten ergreifen

9.5 Die wissenschaftliche Forschung verbessern und die technologischen Kapazitäten der Industriesektoren in allen Ländern und insbesondere in den Entwicklungsländern ausbauen und zu diesem Zweck bis 2030 unter anderem Innovationen fördern und die Anzahl der im Bereich Forschung und Entwicklung tätigen Personen je 1 Million Menschen sowie die öffentlichen und privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung beträchtlich erhöhen

9.a Die Entwicklung einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Infrastruktur in den Entwicklungsländern durch eine verstärkte finanzielle, technologische und technische Unterstützung der afrikanischen Länder, der am wenigsten entwickelten Länder, der Binnenentwicklungsländer und der kleinen Inselentwicklungsländer erleichtern

9.b Die einheimische Technologieentwicklung, Forschung und Innovation in den Entwicklungsländern unterstützen, einschließlich durch Sicherstellung eines förderlichen politischen Umfelds, unter anderem für industrielle Diversifizierung und Wertschöpfung im Rohstoffbereich

9.c Den Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnologie erheblich erweitern sowie anstreben, in den am wenigsten entwickelten Ländern bis 2020 einen allgemeinen und erschwinglichen Zugang zum Internet bereitzustellen

Zum vollständigen Resolutionstext in deutscher Übertragung

Aspekte & Fragestellungen rund um SDG 9

  • Hochwertige, verlässliche, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur scheint heute wichtiger denn je – die Sorge vor (weiteren) Lieferkettenprobleme, Blackouts etc. wächst. Was wird seitens wichtiger Player unternommen? Welche Rolle kann die UN-Ebene dabei spielen?
  • Wie gut ist Österreichs Industrie auf einen Blackout vorbereitet?
  • Globale Lieferketten haben sich durch Pandemie und Ukraine-Krieg in den vergangenen Jahren massiv verändert – welche Phänomene, welche Antworten von Entscheidungsträger:innen sind dabei zu beobachten?
  • Die Ungleichheit wächst in Krisenzeiten – wie kann dem entgegengewirkt werden, im Sinne einer wirtschaftliche Entwicklung mit „Schwerpunkt auf einen erschwinglichen und gleichberechtigten Zugang für alle“ (9.1)?

  • Wie steht es um die Unterstützung von Staaten des Globalen Südens in Anbetracht der Energie- und Klimakrise? (Vgl. 9.3)

  • Im Globalen Süden – etwa in afrikanischen Staaten wie Nigeria oder Kenia – gibt es viele Startups mit innovativen Lösungen – wie nachhaltig sind solche Impulse und wie kann man sie weiter stützen?

  • Durch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine heißt es oftmals zurück zu fossilen Großprojekten, um Energiesicherheit zu generieren. Auf der anderen Seite versuchen etwa die EU und einzelne europäische Staaten parallel die Weichen für die Zukunft zu stellen und auf Erneuerbare Energie zu setzen. Sind die Schritte ausreichend, um SDG 9.4 (siehe oben) zu erfüllen?

  • Industrie und Lieferkettengesetz: Wie sehen heimische Industrievertreter:innen die aktuellen Initiativen für ein Lieferkettengesetz?

  • Greenwashing: Welche Antworten gibt es darauf? Welche Unternehmen versuchen hier einen Unterschied zu machen und können als Vorbilder dienen?

  • Technologie und Forschung sind in Ländern des Globalen Südens oftmals viel häufiger in Frauenhand als hierzulande – welche konkreten Beispiele gibt es hier und was kann Österreich daraus lernen?

Weiterführendes & Ansprechpersonen

Österreichische Bundesregierung
In der Bundesregierung sind die SDGs im Kanzleramt angesiedelt:
Abteilung IV/4
Ballhausplatz 2, 1010 Wien
sdg@bka.gv.at
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/nachhaltige-entwicklung-agenda-2030.html

Infos rund um die Umsetzung der SDGs in Österreich gibt SDG Watch Austria (zivilgesellschaftliche Initiative):
SDG Watch Austria

Die Austria Development Agency arbeitet in Bezug auf EZA-Projekte Österreichs im Globalen Süden viel zum Thema, nicht zuletzt im Bereich Wasser, Energie und Ernährungssicherheit:
https://www.entwicklung.at/themen/wasser-energie-und-ernaehrungssicherheit

Gunter Schall ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der ADA:
+43 (0)1 90399-2400
+43 (0)676 8390 3400
gunter.schall@ada.gv.at

Weltumspannend Arbeiten ist der entwicklungspolitische Verein im Österreichischen Gewerkschaftsbund: www.weltumspannend-arbeiten.at
Pressekontakt:
Michael Wögerer
+43 (0)1/53444-39328
+43 (0)664/2838491
michael.woegerer@oegb.at

Das Netzwerk Soziale Verantwortung ist eine zentrale zivilgesellschaftliche Plattform in Sachen Lieferkettengesetz und verwandte Themen: www.nesove.at
Bettina Rosenberger ist Geschäftsführerin von NeSoVe:
+43 660 8835409
bettina.rosenberger@nesove.at

Erneuerbare Energie Österreich
www.erneuerbare-energie.at

Das panafrikanische Medium „The Continent“ veröffentlichte in der Ausgabe 90 einen Plan, wie Afrika in Sachen Energie innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen Sprung nach vorne machen könnte: Electricity for all. In eight years.

Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt sich mit den Auswirkungen neuer Technologien auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Es betreibt wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung zu einer Reihe von Themen. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden sowohl in wissenschaftlichen Publikationen verbreitet, als auch gezielt für Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit aufbereitet.
https://www.oeaw.ac.at/ita

Laut der Industriellenvereinigung (IV) sind „tragfähige internationale Beziehungen sowie ein freier und fairer Handel … unerlässlich, um Österreichs Exportfähigkeit und Zugang zu Märkten zu garantieren“.
Der internationale Bereich der IV befasst sich mit der Beobachtung und Analyse globaler Entwicklungen und Wachstumsmärkte, Handels- und Investitionsabkommen sowie den Bedingungen eines fairen internationalen Wettbewerbs.
Marlena Mayer BA, Strategie & Kommunikation, Pressesprecherin, Industriellenvereinigung
+436648412915
marlena.mayer@iv.at

Die Außenwirtschaft Austria der Wirtschaftskammer ist die Internationalisierungs- und Innovationsagentur der österreichischen Wirtschaft. Bei uns finden Sie Informationen sowie Ansprechpartnerinnen und -partner zu allen Fragen rund ums Auslandsgeschäft. 
www.wko.at/service/aussenwirtschaft/start.html

Sonja Horner ist Sprecherin des WKÖ-Präsidenten
+43 5 90 900 – 4462
sonja.horner@wko.at
Pressestelle der WKÖ
Wiedner Hauptstraße 63
1045 Wien
+43 5 90 900 – 4462
dmc_pr@wko.at

Österreich ist der erste europäische Mitgliedsstaat, der eine nationale Open Innovation Strategie entwickelt hat: openinnovation.gv.at




Rechercheliste zu SDGs – eine Halbzeitbilanz

Infos und Input rund um die SDGs zu „Halbzeit“.

Hintergrund: Die SDGs wurden am 25. September 2015 im Rahmen der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung von der Generalversammlung der Vereinten Nationen von allen 193 Mitgliedstaaten verabschiedet.
Sie folgten den MDGs, den Millenium Development Goals, und sollen bis 2030 einen globalen in unterschiedlichsten Bereichen bringen.

Die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung umfassensoziale, ökologische und ökonomische Aspekte.
Sie sind in weitere 169 Unterziele (Targets) unterteilt. Es wurde erkannt, dass verschiedene Probleme überall und gleichzeitig angegangen werden müssen und nicht regional oder thematisch beschränkt sein sollten. Alle Ziele gelten für alle Länder. Die Verantwortung für die Umsetzung der Ziele liegt also sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene.

Zum vollständigen Resolutionstext in deutscher Übersetzung

Themen und Fragestellungen

Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und auch die Verwerfungen rund um die russische Invasion in die Ukraine hatten starke negative Folgen für Millionen Menschen weltweit – Stichwort Armut – , besonders im Globalen Süden; und die Krisen beeinflussen das Verhältnis Globaler Süden und Norden, ein großes Thema dabei war etwa die Verteilung von Covid-Vakzinen.

Auf der anderen Seite wurden die SDGs im vor dem Hintergrund dieser aktuellen multiplen Krisen und globalen Herausforderungen noch wichtiger. Denn sie zeigen Lösungen auf, wie man aus dem Krisenmodus herauskommen und etwa Ungleichheit bekämpfen kann.

  •  Bei welchen SDGs wurde der Fortschritt im Zuge der multiplen Krisen besonders zurückgeworfen? Bei den SDGs 1 (Keine Armut) und 2 (Kein Hunger) etwa gilt jedenfalls großer Handlungsbedarf!

  • Was braucht es jetzt, damit der Plan bis 2030 hält?

  • Wo liegt Österreich, auch im Vergleich mit anderen Ländern?

  • Wie ist die Überprüfung des Rechnungshofes – Bericht Anfang 2022 – einzuordnen? Der Rechnungshof stellte im Rahmen einer Follow-up-Überprüfung fest, „dass das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium für euro­päische und internationale Angelegenheiten von 13 überprüften Empfehlungen des Vorberichts fünf umsetzten, zwei teilweise und drei nicht umsetzten. Bei zwei Empfehlungen sagten sie die Umsetzung zu. Für eine Empfehlung gab es keinen Anwendungsfall“. (mehr dazu siehe Kontakte/Quellen unten)

  • Wie kann man die SDGs, als ersten Schritt, wieder stärker in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bringen?

  • „Die Krise als Chance“ – was hat sich verändern, was man für die Erreichung der SDGs nun anwenden kann – vgl. Reaktionen und Resilienz der Menschen

  • Wie lässt sich der Fortschritt der SDGs überhaupt messen?

  • Sind die Ziele, die 2015 unter ganz anderen Umständen als heute formuliert wurden, noch zeitgemäß?

  • Entspricht das klare Bekenntnis zu Wirtschaftswachstum (SDGs 8) noch der Realität in Zeiten der Klimakrise und wachsender Ungleichheiten zwischen globalem Norden und Süden?

Institutionen, Expert*innen, und Organisationen, zusätzliche Quellen

UNIS ist das United Nationen Info Service, die UN-Infostelle in Wien: http://www.unis.unvienna.org/
Direktor Martin Nesirky
Tel: +43-1 26060-4666
http://www.unis.unvienna.org/unis/de/about/contact_us.html

Österreichische Bundesregierung
In der Bundesregierung sind die SDGs im Kanzleramt angesiedelt:
Abteilung IV/4
Ballhausplatz 2, 1010 Wien
E-Mail: sdg@bka.gv.at
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/nachhaltige-entwicklung-agenda-2030.html

Rechnungshof
Der Rechnungshof prüft laufend die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Österreich.
Rechnungshof
Tel.: +43 1 711 71 – 8946
E–Mail info@rechnungshof.gv.at

Der SDG-Überprüfungsbericht aus dem Februar 2022 zum Download

SDG Watch Austria
SDG Watch Austria ist ein Zusammenschluss von mehr als 220 zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen Organisationen. Sie setzen sich gemeinsam für eine ambitionierte Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) in Österreich ein.

Für die Koordination der Plattform SDG Watch Austria sind Caroline Krecké (vom ÖKOBÜRO) und Karin Kuranda (AG Globale Verantwortung) zuständig.
Anfragen an info@sdgwatch.at

Die Wissenschaftlerin Helga Kromp-Kolb ist auch in Sachen SDGs eine sehr empfehlenswerte Ansprechpartnerin: helga.kromp-kolb@boku.ac.at

UniNEtZ
Wissenschaftler*innen aus diversen Fachbereichen haben sich zusammengeschlossen, um einen Beitrag zur Umsetzung der SDGs zu leisten. „Genauso wie die SDGs in vielfacher Weise miteinander verbunden sind und nur auf inter- und transdisziplinäre Weise umgesetzt werden können, repräsentiert UniNEtZ ein breites Spektrum an Expertise aus Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik, Kunst und Musik“, so die Beschreibung der Initiative.
www.uninetz.at
koordination@uninetz.at

Ingomar Glatz
Tel: +43 512 507 54045

Annemarie Schneeberger & Franziska Allerberger
Tel: +43 512 507 54072

Hannah Geuder
Tel: +43512 507 54053

Institut für Geographie, Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck

Drei Jahre lang hat das UniNEtZ an Optionen gearbeitet, wie die SDGs in Österreich umgesetzt werden können. Diese wurden am 1. März 2022 an die Österreichische Bundesregierung übergeben.

UniNEtZ–Optionenbericht:
Österreichs Handlungsoptionen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für eine lebenswerte Zukunft
https://www.uninetz.at/optionenbericht

Rebels of Change
Unabhängige Initiative zivilgesellschaftlicher Organisationen in Österreich. Gemeinsames Ziel ist es, mit der Kampagne die SDGS stärker ins Rampenlicht zu rücken: www.rebels-of-change.org

Ban Ki-Moon Centre
Das Ban Ki-Moon Centre mit einem Büro in Wien hat sich stark der Umsetzung der SDGs verschrieben. Co-Chairs der Organisation sind Ban Ki-Moon, der frühere UN-Generalsekretär, und Heinz Fischer, vormalig Bundespräsident von Österreich.
office@bankimooncentre.org
Pressekontakt:
Katharina Choe, Communications Officer
katharina.choe@bankimooncentre.org

Dachverband Globale Verantwortung
Der Dachverband GLOBALE VERANTWORTUNG – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe vertritt national und international die Interessen von 34 österreichischen Nichtregierungsorganisationen, die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, entwicklungspolitische Inlandsarbeit, Humanitäre Hilfe sowie nachhaltige globale wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung tätig sind.

Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
Die ÖFSE ist eine österreichische Forschungs- und Informationseinrichtung zu Fragen des Globalen Südens, der Entwicklungszusammenarbeit und der Entwicklungspolitik. Die ÖFSE wurde 1967 gegründet und steht allen entwicklungspolitisch interessierten Personen, öffentlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung.

Austrian Development Agency
Armut reduzieren, Frieden fördern und die Umwelt schützen – das sind die drei Hauptanliegen der Austrian Development Agency (ADA), der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Das Budget der ADA stellt das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten zur Verfügung.
Übersicht über die Projekte der ADA

Scientists for Future
Wissenschaftler*innen aller Disziplinen, die die Anliegen von Fridays for Future unterstützen. Im März 2019 haben sich über 26.800 Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum, davon über 1.800 aus Österreich), zu S4F zusammengeschlossen.

klimadashboard.at
Daten und Fakten zur Klimakrise in Österreich anschaulich aufbereitet.

Netzwerk Klimajournalismus Das Netzwerk Klimajournalismus ist eine medienübergreifende Initiative. Ziel ist es, Journalist:innen und Medienschaffende, die sich mit Themen rund um Klima- und die ökologische Krise beschäftigen (wollen), zu vernetzen. Das geschieht durch monatliche Treffen (mit verschiedenen Gästen aus Journalismus und Wissenschaft), Veranstaltungen (Podiumsdiskussionen etc.), Workshops (mit fjum, KfJ etc.) und informelle Stammtische. 




Der Globale Süden verschwindet immer mehr aus dem Medienfokus

„Das größte lösbare Problem der Welt“ und das Verschwinden der 85 Prozent. Ein Kommentar von Ladislaus Ludescher .

Die Situation ist dramatisch: Laut dem aktuellen Welternährungsbericht der UNO beläuft sich die Zahl der chronisch Hungernden weltweit auf bis zu 828 Millionen Menschen. Damit hungert etwa jeder zehnte Mensch; mehr als zwei Milliarden Menschen leiden unter Mangelernährung. Alle 13 Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger – in einem Jahr also fast 2,5 Millionen Kinder.

85 Prozent der Menschen auf der Welt leben im Globalen Süden. Was starkes Befremden hervorruft ist, dass dramatische Katastrophen wie der globale Hunger, die sich dort ereignen, medial nur randständig oder erst gar nicht aufgegriffen werden.

Es erscheint besorgniserregend, wenn die Mitteilung, dass mindestens 10 Millionen Kinder durch eine schwere Dürre am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht sind (so UNICEF am 25. April 2022), es nicht nur nicht in die Topmeldung des Tages, sondern erst gar nicht in die Nachrichten schafft. In der deutschen „Tagesschau“ wurde in der ersten Jahreshälfte 2022 mehr über die britischen „Royals“ berichtet als über die globale Hungerkrise und über den Sport mehr als über den gesamten Globalen Süden.

Dabei ist die Lösung des globalen Hungerproblems ein wichtiger Schlüssel zur Lösung zahlreicher anderer Probleme, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres unterstrich. Anlässlich der Vergabe des Friedensnobelpreises an das Welternährungsprogramm im Jahr 2020 erklärte er: „We know that achieving zero hunger is an imperative for peace. A hungry world is not a peaceful world.“

Die aktuelle Hungersituation ist ausgesprochen beunruhigend, aber besonders aufwühlend erscheint die Lage, weil es sich hierbei um ein durchaus lösbares Problem handelt. In der Tat bezeichnete das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen Hunger als „das größte lösbare Problem der Welt“. Denn dass es auch anders geht, zeigen die Erfolge der Bekämpfung des globalen Hungers in den vergangenen Jahrzehnten. Seit 2003 sank die Zahl der Hungernden von fast 950 Millionen kontinuierlich auf 780 Millionen im Jahr 2015. Nun, auch infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie, steigen sie wieder.

Hunger und Armut gehen Hand in Hand. Drei Voraussetzungen erscheinen essentiell bei der Lösung des globalen Problems: Zunächst ein stabiler Geldfluss: Während zum Beispiel im Jahr 2020 auf der Welt fast 2.000 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben wurden, belief sich die Summe für die Bekämpfung des Hungers auf lediglich ca. 12 Milliarden Dollar.

Darüber hinaus braucht es eine politische und öffentliche Bereitschaft, die Lage zu ändern. Solange Katastrophenmeldungen wie jene, dass täglich mehr als 6.600 Kinder unter fünf Jahren verhungern, für alltäglich genommen werden und ihren Status als berichtenswerte Nachricht verlieren, wird dieses fundamentale Problem politisch nur randständig betrachtet und ist im alltäglichen Bewusstseinshorizont der Menschen nicht existent.

Schließlich sind nicht zuletzt die Medien aufgefordert, das Thema mit nicht erlahmender Alltagsresistenz immer wieder in den öffentlichen Diskurs einzubringen und auf das Problem aufmerksam zu machen. Wie lange könnte sich die Politik der Lösung des „größten lösbaren Problems der Welt“ verweigern, wenn die führenden Medien die globale Armut und den Hunger zu ihrem Topthema machen würden? Die entscheidende Frage lautet daher nicht nur, wie viel Geld uns eine Welt ohne Armut und Hunger wert ist, sondern auch, wie viel mediale Zeit und Aufmerksamkeit.

Die vollständige Studie „Vergessene Welten und blinde Flecken“, eine Unterschriftenpetition sowie Informationen zu einer auf der Untersuchung beruhenden Poster-Wanderausstellung können eingesehen bzw. heruntergeladen werden unter: ivr-heidelberg.de

Ladislaus Ludescher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Er hat Germanistik, Geschichte und Europäische Kunstgeschichte studiert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Analyse von Medien.