Katastrophale Angriffe auf die Menschenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter in den vergangenen zwölf Monaten haben den Schutz von Frauen und Mädchen weltweit verringert und Bedrohungen verschärft, erklärte Amnesty International heute.
Am Internationalen Frauentag ruft die Organisation zu mutigem Handeln auf, um die Erosion der Rechte von Frauen und Mädchen rückgängig zu machen.
„Ereignisse im Jahr 2021 und den ersten Monaten dieses Jahres haben die Rechte und die Würde von Millionen von Frauen und Mädchen verletzt. Die Krisen in der Welt wirken sich nicht gleichmäßig auf alle aus. Die unverhältnismäßig großen Auswirkungen auf die Rechte von Frauen und Mädchen sind gut dokumentiert, werden aber immer noch zu wenig beachtet oder sogar völlig ignoriert. Doch die Fakten sind eindeutig. Die Corona-Pandemie, die massive Einschränkung der Frauenrechte in Afghanistan, die weit verbreitete sexualisierte Gewalt im Äthiopienkonflikt, die Angriffe auf den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in den USA und der Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zu geschlechtsspezifischer Gewalt: Jeder Akt für sich ist eine schwerwiegende Aushöhlung der Rechte, aber alle zusammen? Wir müssen diesem weltweiten Angriff auf die Würde von Frauen und Mädchen entschieden entgegentreten“, sagt die internationale Generalsekretärin von Amnesty International Agnès Callamard.
Die vergangenen zwei Jahre, die von der Covid-19-Pandemie geprägt waren, haben sich unverhältnismäßig stark auf Frauen und Mädchen ausgewirkt. Die häusliche Gewalt hat zugenommen, die Arbeitsplatzunsicherheit für Frauen hat sich verschlimmert, der Zugang zu Gesundheitsdiensten wurde verschlechtert, und die Zahl der Mädchen, die eine Schule besuchen, ist vielerorts drastisch zurückgegangen. Diejenigen, die ohnehin schon am stärksten benachteiligt sind, sind am stärksten betroffen. Entscheidungen von Regierungen und Behörden, die die Situation von Frauen und Mädchen verschlechtert haben, müssen rückgängig gemacht werden.
Krise in der Ukraine
In diesem Jahr fällt der Internationale Frauentag in eine Zeit, in der der russische Einmarsch in die Ukraine die Welt in eine neue Krise stürzt. Bilder von Frauen, die unter Luftangriffen gebären oder mit ihren Kindern auf dem Arm vor den Bomben fliehen, Bilder von trauernden Müttern und neu verwaisten Kindern machen deutlich, was Konflikte und humanitäre Krisen für Frauen und Kinder bedeuten. Die Frauen und Mädchen, die der Konflikt in der Ukraine eingeholt hat, sind nun Teil der Millionen von Menschen, die in bewaffneten Konflikten von Syrien über Jemen bis Afghanistan und weit darüber hinaus extreme menschliche Verluste erleiden.
Die zunehmende Militarisierung des Alltags durch die Verbreitung von Waffen, die Eskalation von Gewalt und die Umwidmung öffentlicher Mittel in Militärausgaben stellt einen hohen und unhaltbaren Preis für das tägliche Leben von Frauen und Mädchen dar. In diesen Tagen sind Frauen und Mädchen in der Ukraine und in der gesamten Region ein weiteres Mal in großer Gefahr. Amnesty International hat bereits dokumentiert, dass die Militarisierung der letzten Jahre in den konfliktbetroffenen östlichen Regionen der Ukraine zu einem Anstieg der geschlechtsspezifischen Gewalt und einem eingeschränkten Zugang zu grundlegenden öffentlichen Leistungen geführt hat. Dieses Muster wird sich nun auf das ganze Land ausweiten.
Massive Einschränkungen der Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan
Seit ihrer Machtübernahme in Kabul im August 2021 haben die Taliban die Rechte von Frauen und Mädchen in ganz Afghanistan stark eingeschränkt. Frauen dürfen nur in Begleitung eines männlichen Vormunds an ihren Arbeitsplatz gehen oder sich in der Öffentlichkeit bewegen. Mädchen, die älter als zwölf Jahre sind, haben keinen Zugang zur Bildung mehr.
„Die Gesetze, Politik und Methoden der Taliban haben dazu beigetragen, die Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte, für die das afghanische Volk jahrzehntelang gekämpft hat, zunichtezumachen. Trotz der mutigen Proteste von Frauen im ganzen Land sind die Taliban nach wie vor entschlossen, eine Gesellschaft zu errichten, in der Frauen zu Bürger*innen zweiter Klasse gemacht werden. In ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, ihrer Bildung beraubt, ihrer Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten beraubt und ohne Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt? Das ist unzumutbar. Es bringt Schande für alle, die dafür verantwortlich sind, und auch für alle, die dazu schweigen“, sagte Agnès Callamard.
„Regierungen in aller Welt müssen die Rechte von Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt ihrer Außenpolitik für Afghanistan stellen. Sie müssen sich an den afghanischen Frauenrechtler*innen orientieren und darauf bestehen, dass Frauen und Mädchen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Beschäftigung und grundlegenden Dienstleistungen haben – ohne Diskriminierung.“
Geschlechtsspezifische Gewalt in Äthiopien Geschlechtsspezifische Gewalt ist ständiges Merkmal der bewaffneten Konflikte in Äthiopien, die in den letzten zwölf Monaten fortgesetzt und ausgeweitet wurden. Amnesty International hat über weit verbreitete sexuelle Gewalt in Äthiopien berichtet, die in der Region Tigray von äthiopischen und eritreischen Streitkräften und in der Region Amhara von tigrayischen Streitkräften verübt wurde.
Diese Übergriffe stellen Kriegsverbrechen dar und können als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden. Viele der von Amnesty International dokumentierten Übergriffe – wie etwa Gruppenvergewaltigungen – wurden von mehreren Tätern vor den Augen von Familienmitgliedern begangen. In einigen Fällen wurden die Angegriffenen sexuell verstümmelt und/oder mit ethnischen Beleidigungen und Drohungen attackiert.
Rechtlicher Schutz wird abgebaut
In den vergangenen zwölf Monaten wurde auch der internationale Rechtsrahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt erheblich beschädigt.
Am 1. Juli 2021 trat die Türkei aus der bedeutenden Istanbul-Konvention aus – einem bahnbrechenden und umfassenden Instrument zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und zur Gewährleistung der Rechte von Betroffenen in Europa. Diese Entscheidung stellt einen massiven Rückschritt für die Menschenrechte von Frauen und Mädchen in der Türkei dar und hat auch in mehreren anderen Ländern, Gegner von Frauenrechten ermutigt.
In den Vereinigten Staaten wurden Abtreibungsrechte massiv angegriffen, indem die Regierungen einzelner Bundesstaaten im Jahr 2021 mehr Abtreibungsbeschränkungen einführten als in jedem anderen Jahr. In Texas wurde ein nahezu vollständiges Verbot erlassen, das anschließend vom Obersten Gerichtshof genehmigt wurde und Abtreibungen bereits ab der sechsten Schwangerschaftswoche kriminalisiert – bevor die meisten Frauen überhaupt wissen, dass sie schwanger sind. Dieses Verbot verwehrt Millionen Menschen das Recht auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch. Die Zukunft des verfassungsmäßigen Schutzes einer sicheren und legalen Abtreibung im ganzen Land ist ebenfalls stark gefährdet, womit sich der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 befassen wird.
Solche Angriffe auf den gesetzlichen Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen sind besonders verheerend im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, die zu einem steilen Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt und weiteren Angriffen auf sexuelle und reproduktive Rechte in der ganzen Welt geführt hat.
Menschenrechtsverteidiger*innen bewirken Widerstand und positiven Wandel
Trotz dieser Rückschläge haben sich die unermüdlichen Bemühungen von Menschenrechtsverteidiger*innen ausgezahlt. Der Einsatz für die Menschenrechte, Kampagnen und die Mobilisierung führten zu wichtigen Siegen für die Abtreibungsrechte in Kolumbien, Mexiko und San Marino. Und während die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen ist, haben zwei andere Staaten, Moldawien und Liechtenstein, sie ratifiziert.
Frauenrechtsaktivist*innen in Slowenien haben erfolgreich Reformen durchgesetzt, um das slowenische Gesetz gegen Vergewaltigung mit internationalen Standards in Einklang zu bringen. Ähnliche positive Entwicklungen gab es in Dänemark, Malta, Kroatien, Griechenland, Island und Schweden, während in den Niederlanden, Spanien und der Schweiz Reformen im Gange sind.
Auch in vielen anderen Ländern wie der Ukraine, Polen, Weißrussland, Russland, den USA und Afghanistan stehen Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen an vorderster Front des Widerstands und des Protests für die Menschenrechte. In vielen Fällen haben sie sich trotz der Bedrohung ihres Lebens und ihrer Familien oder unter Androhung von Gefängnis und körperlicher Gewalt für die Menschenrechte eingesetzt. Sie verdienen weltweite Unterstützung.
„Regierungen wissen sehr wohl, was notwendig ist, um die Menschenrechte von Frauen und Mädchen zu wahren. Diejenigen, die sie unterstützen, dazu zählen auch Geber*innen und Investor*innen, müssen darauf bestehen, dass die zuständigen Behörden umgehend und entschlossen handeln – rückschrittliche Gesetze müssen aufgehoben werden. Die grundlegenden öffentlichen Leistungen müssen für Frauen und Mädchen zur Verfügung gestellt werden. Mädchen und Frauen müssen gleichen Zugang zu Bildung und Beschäftigung haben. Geschlechtsspezifische Gewalt muss verurteilt und der Schutz vor ihr muss gestärkt, nicht geschwächt werden. Die Angriffe auf Menschenrechtsverteidigerinnen müssen aufhören. Keine Gesellschaft kann es sich leisten oder sollte es jemals dulden, dass die Würde von mehr als der Hälfte ihrer Bevölkerung derart ausgehöhlt wird. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass es nicht gelingt, gerecht und fair für Frauen und Mädchen zu regieren“, kommentiert Agnès Callamard.
Rückfragehinweis:
Presseteam Amnesty International Österreich
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