PA: Internationales Abkommen für die Weltmeere in Aussicht

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Von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt verhandeln seit 2018 Mitglieder der Vereinten Nationen ein neues rechtlich bindendes Abkommen zu Schutz und nachhaltiger Nutzung der Meeresbiodiversität in internationalen Gewässern. Nach insgesamt fünf Verhandlungsrunden und einer langen Covid-Unterbrechung, soll ein aktuelles Treffen in New York City vom 15. bis 26. August 2022 das letzte sein.

Die Politikwissenschafterin Alice Vadrot von der Uni Wien, deren Forschungsgruppe die Verhandlungen in vor Ort beobachtet, bekräftigt in einer aktuellen Presseaussendung von Diskurs. Das Wissenschaftsnetz, dass eine Einigung zwischen Staaten aufgrund unterschiedlich gelagerter Interessen schwierig sein wird und auch ein ambitionierter Vertrag den Erhalt der marinen Biodiversität nur dann gewährleisten kann, wenn eine umfassende gesellschaftliche Transformation stattfindet.

Den dramatischen Rückgang der marinen Biodiversität aufhalten

Der Mensch hat bereits 40% der Meeresoberfläche verändert, „tote Zonen“ im Meer geschaffen und den Bestand an lebenden Korallen in den letzten 150 Jahren fast halbiert.[2] Der Klimawandel, die Versauerung der Ozeane und Sauerstoffarmut bilden ein tödliches Trio, das sich unter bestimmen Bedingungen besonders drastisch auf Meereslebewesen und Organsimen auswirken kann.[3] Trotz zunehmender wissenschaftlicher Fakten über den Zustand der marinen Biodiversität, sind nur 7,44% der Ozeane geschützt.[4] Das neue Meeresabkommen sieht vor, diesem Missstand mit einer Ausweitung von Meeresschutzgebieten in der hohen See und verbindlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen zu begegnen. „Ob sich die Staatengemeinschaft auf einen Vertragstext einigen kann, hängt davon ab, ob es ihnen gelingen wird, die tiefen Gräben zwischen den Interessen des globalen Südens und Nordens in der Frage nach der gerechten Verteilung von marinen Ressourcen zu überwinden. Noch ist nicht klar, ob die Verhandlungen in New York überhaupt zu einem Ergebnis führen oder eine 6. Verhandlungsrunde nötig sein wird“, so Vadrot, die den Prozess hin zu einem internationalen Abkommen zum Schutz mariner Biodiversität seit 2018 mit ihrem Team im Rahmen eines vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekts beforscht.[5]

„Paper-Parks“ verhindern und schädliche Aktivitäten besser kontrollieren

Ein wichtiger Punkt des zukünftigen Vertrags ist das Kapitel zu Meeresschutzgebieten auf hoher See. „Hier ist es wichtig, dass die Etablierung von Meeresschutzgebieten in Zukunft nach wissenschaftlichen Kriterien und bestenfalls unter Einbezug eines wissenschaftlichen Beirats erfolgt“, so Ina Tessnow von Wysocki, Doktorandin im genannten Projekt. Nur unter diesen Bedingungen könne garantiert werden, dass solche Gebiete in Zukunft nicht als politische Instrumente dienen. „Für die Identifikation von Gebieten sollte das Vorsorgeprinzip gelten, welches besagt, dass auch im Falle von unvollständigen Informationen, denkbaren Umweltbelastungen vorgebeugt werden soll“, so Tessnow-von Wysocki weiter. Darüber hinaus sei es wichtig, konkrete Kontroll- und Verwaltungsschritte zu definieren, damit sogenannte „Paper Parks“, die lediglich auf dem Papier existieren, verhindert werden können.

Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen neuen Aktivitäten auf den Weltmeeren vorangehen, sowie bereits laufende Aktivitäten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt evaluieren. Das neue Instrument soll bereits existierende Vorschriften im Rahmen der UN-Seerechtskonvention weiter konkretisieren. Ein Großteil der Staaten der Vereinten Nationen ist sich einig: Der Prozess der Umweltverträglichkeitsprüfungen für Aktivitäten in internationalen Gewässern sollte durch eine internationale Behörde geregelt sein, welche umweltschädigende Aktivitäten überwacht. Welche Aktivitäten davon in Zukunft betroffen sein könnten, ist noch unklar. Staaten scheuen sich davor, eine Liste mit Aktivitäten in den Vertragstext aufzunehmen und die Kontrolle an eine internationale Behörde abzugeben“, so Vadrot „Wenn die Bewertung und finale Entscheidung über solche Aktivitäten ausschließlich beim Staat liegt, der die Aktivität ursprünglich vorgeschlagen hatte, würde sich wenig ändern. Interessenskonflikte, die ohnehin bereits den internationalen Meeresschutz erschweren, könnten dadurch sogar noch verschärft werden. Eine internationale Behörde, die die Durchführung und Bewertung von Umweltverträglichkeitsprüfungen überwacht, könnte dem entgegenwirken“, gibt Arne Langlet, ebenfalls Doktorand im MARIPOLDATA Projekt, zu bedenken.

Die Kluft zwischen globalem Norden und Süden schließen

Weitere Kernpunkte des zukünftigen Abkommens sind die Verhandlung der Bedingungen für die kommerzielle Nutzung mariner genetischer Ressourcen sowie der Kapazitätsaufbau und Zurverfügungstellung von Meerestechnologie. „In diesem Kapitel herrscht vermutlich die größte Uneinigkeit zwischen Industrie- und Entwicklungsnationen. Hier müssen Staaten deutliche Schritte aufeinander zugehen, um einen Kompromiss zu finden. Dabei gilt es, eine Balance zu finden zwischen den verschiedenen Interessen: auf der einen Seite die Forschung mit marinen genetischen Ressourcen nicht zu aufwendig und bürokratisch zu machen und, auf der anderen Seite, einen fairen Verteilungsmechanismus zu finden, sodass auch Entwicklungsländer von solcher Forschung profitieren können“, so Vadrot. Eine Aussicht wäre es, die Idee eines „Flatrate“-Ansatzes zu verfolgen, der im Umfeld des letzten Treffens der Biodiversitätskonvention in Nairobi und der UN-Ozeankonferenz in Lissabon aufkam.[6] „Nach diesem Ansatz würden Industrienationen einen fixen Betrag pro Jahr in einen Entwicklungsfond einzahlen, um unbegrenzten Zugang und das Recht auf die Nutzung dieser Ressourcen zu erhalten“, so Langlet.

Konkurrenz zwischen Internationalen Organisationen vermeiden und Kooperation fördern

Es gibt bereits internationale Behörden, die sich um verschiedene Aspekte der Regulierung der Meere und ihrer Ressourcen kümmern. Unter anderem die Seebodenbehörde, verschiedene Fischereiabkommen und die Schifffahrtsorganisation. Aus politikwissenschaftlicher Sicht bestehe die Gefahr, dass sich Kompetenzen überschneiden und Staaten diese Überschneidungen ausnutzen und internationale Organisationen gegeneinander ausspielen: „Der neue Vertrag der Hohen See soll Synergien zwischen Organisationen identifizieren und Kooperationen stärken. Allerdings zeigen unsere Analysen des Vertragstextes, dass die Paragrafen, die die Grundlage für Kooperationen legen sollten, stark ausgedünnt wurden und immer weniger Organisationen namentlich genannt werden. Dadurch besteht mehr Interpretationsspielraum und das Risiko, dass Staaten diese Undeutlichkeit ausnutzen könnten“, gibt Langlet zu bedenken.

Den Ozean als Ganzes schützen und marine Biodiversität als Allgemeingut erhalten

Ein Grundproblem des internationalen Meeresschutzes ist die Aufteilung der Meere in verschiedene Rechtszonen sowie die Fragmentierung von Regelwerken entlang einzelner Sektoren und Regionen. „Aus wissenschaftlicher Sicht und in Anbetracht der Erkenntnis, dass marine Ökosysteme durch „ökologische Konnektivität“[7](Vernetzung) miteinander verbunden sind, müsste ein ganzheitlicher Ansatz entwickelt werden, damit marine Biodiversität für zukünftige Generationen als Allgemeingut erhalten werden kann.[8] Das neue Abkommen könnte hier die Richtung vorgeben, z.B. durch die Einführung von verbundenen Meeresschutzgebieten, ambitioniertere Umweltverträglichkeitsprüfungen und Berücksichtigung von Auswirkungen über die von Menschenhand gezogenen Grenzen in der Hohen See hinweg“, so Tessnow-von Wysocki.

Abschließend spricht sich Vadrot dafür aus, die Umsetzung des Vertrags im Blick zu behalten und frühzeitig den Grundstein für einen erfolgreiche Durchsetzung zu legen. Voraussetzungen dafür seien, unter anderem, einen wissenschaftlichen Beirat mit klaren Aufgaben und eine internationale Behörde mit genügend Kompetenzen zur Durchsetzung und Kontrolle der neuen Regelungen zu schaffen. „Ein neues Abkommen für die Weltmeere hätte enorme Symbolwirkung und das Potential den Meeresschutz neu zu ordnen. Bleiben die großen Sprünge und ein klares Bekenntnis zu transformativem Wandel aus, ist auch ein Vertragsabschluss nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es darum geht, der ökologischen Krise zu begegnen“, schließt Vadrot.

Aktuelles von den Verhandlungen:

MARIPOLDATA BLOG: https://www.maripoldata.eu/blog/

Für Rückfragen:
Danyal Maneka
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
+43 650 30 11 273

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Dr. Alexander Behr
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