PA: NGO-Appell: Verhungern oder Kugelhagel – Das ist kein humanitäres Vorgehen 

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Amnesty International Österreich fordert gemeinsam mit mehr als hundert internationalen NGOs, dass Israels Blockade von Hilfsgütern sowie der tödliche Verteilmechanismus der sogenannten „Gaza Humanitarian Foundation“ sofort beendet werden muss. Die Rückkehr zum UN-geleiteten Koordinierungsmechanismus von Hilfsmitteln ist dringend erforderlich. 

Bei dem Versuch an Lebensmittel zu gelangen, sind in nicht einmal vier Wochen mehr als 500 Palästinenser*innen getötet und fast 4.000 verletzt worden, berichtet das UN-Nothilfebüro (OCHA). Damit waren die Wochen nach dem Start des israelischen Verteilungsprogramms von Hilfsgütern einige der tödlichsten und gewalttätigsten seit Oktober 2023.  

Israelische Streitkräfte und bewaffnete Gruppen – von denen einige Berichten zufolge Unterstützung von israelischen Behörden erhalten –eröffnen routinemäßig das Feuer auf verzweifelte Zivilist*innen, die alles riskieren müssen, nur um zu überleben.  

Palästinenser*innen vor unmöglicher Wahl: verhungern oder riskieren, erschossen zu werden

Die humanitäre Lage in Gaza hat sich in den letzten 20 Monaten schneller als je zuvor verschlechtert. Israel blockiert seit Mitte März Hilfslieferungen nach Gaza. Die 400 Verteilungsstellen für Hilfsgüter, die während des vorübergehenden Waffenstillstands im Gazastreifen in Betrieb waren, sind durch nur vier vom israelischen Militär kontrollierte Verteilungsstellen ersetzt worden. Dadurch wurden zwei Millionen Menschen in überfüllte, militarisierte Zonen gezwungen, in denen sie beim Versuch, an Lebensmittel zu gelangen, täglich mit Schüssen konfrontiert sind und ihnen lebensrettende Güter verweigert werden.  

Palästinenser*innen stehen vor einer unmöglichen Wahl: Entweder sie müssen verhungern oder sie riskieren bei der verzweifelten Suche nach Lebensmitteln, erschossen zu werden.  

Ausgehungerte und geschwächte Zivilist*innen werden durch das Verteilungsprogramm der israelischen Regierung gezwungen, stundenlang durch gefährliche Gebiete und aktive Konfliktzonen zu marschieren, um die eingezäunten, militarisierten Verteilungszentren zu erreichen, die nur einen Eingang haben. Dort sind Tausende Menschen inmitten von Chaos gezwungen, um die begrenzten Lebensmittelvorräte zu kämpfen. Es kommt immer wieder zu Massakern unter offenkundiger Missachtung des humanitären Völkerrechts. Bei mehr als der Hälfte der Angriffe auf Zivilist*innen kamen Kinder zu Schaden. Da das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist, verbluten viele der Angeschossenen alleine und ohne lebensrettende medizinische Versorgung.  

Viele Familien berichten uns, dass sie angesichts des Hungers inzwischen zu schwach sind, um um Lebensmittelrationen zu kämpfen. Diejenigen, denen es gelingt, an Lebensmittel zu gelangen, kehren oft mit nur wenigen Grundnahrungsmitteln zurück, die ohne sauberes Wasser oder Brennstoffe zum Kochen kaum zubereitet werden können. Der Treibstoff ist fast aufgebraucht, sodass lebenswichtige Einrichtungen wie Krankenwägen und Krankenhäuser zum Erliegen gekommen sind. Familien suchen Schutz unter Plastikplanen und betreiben behelfsmäßige Küchen inmitten der Trümmer – ohne sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen oder Strom.  

Dies ist kein humanitäres Vorgehen. Mehr als zwei Millionen Menschen auf engstem Raum zu konzentrieren, ist keine Maßnahme, die Leben rettet. Seit 20 Monaten sind mehr als zwei Millionen Menschen unerbittlichem Bombardement, wiederholten Zwangsvertreibungen und systematischer Entmenschlichung ausgesetzt – und das alles vor den Augen der internationalen Gemeinschaft.  

Diese Normalisierung von Leid darf nicht hingenommen werden. Die internationale Gemeinschaft muss ihre humanitären Verpflichtungen einhalten, darunter das Verbot von Zwangsvertreibungen, von wahllosen Angriffen und der Behinderung humanitärer Hilfe. Die Staaten müssen sicherstellen, dass diese schweren Verstöße gegen das Völkerrecht geahndet werden.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, rufen erneut alle Staaten dazu auf:

  • konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Belagerung zu beenden und einen sicheren Zugang zu humanitärer Hilfe zu gewährleisten.  
  • keine militarisierten Hilfsprogramme zu finanzieren, die gegen das Völkerrecht verstoßen und die humanitären Grundsätze nicht einhalten.
  • die Wiederherstellung eines einheitlichen, von den Vereinten Nationen geleiteten Koordinierungsmechanismus, zu unterstützen. Dieser muss sich auf das humanitäre Völkerrecht stützen und das UNRWA und die palästinensische Zivilgesellschaft einbeziehen.

Wir bekräftigen unsere Forderung nach einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, der Freilassung aller Geiseln und willkürlich festgehaltenen Gefangenen, nach uneingeschränktem humanitärem Zugang und einem Ende der allgegenwärtigen Straflosigkeit, die diese Gräueltaten ermöglicht und den Palästinenser*innen ihre grundlegende Würde verwehrt. 

Für Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Valerie Schmid
+43-676 371 333 4
presse@amnesty.at