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Buhari will es wissen

Muhammadu Buhari, seit 2015 Präsident Nigerias, will die großen Herausforderungen Terror & Korruption angehen – und aus dem wirtschaftlich aufstrebenden Land eine Erfolgsgeschichte machen.  

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Muhammadu Buhari wurde Ende März 2015 zum Präsidenten Nigerias gewählt. Foto: Creative Commons/Chatham House

Einer der Länder, die es gilt 2016 im Auge zu behalten, ist Nigeria: Der afrikanische Mega-Staat kämpft weiterhin mit der Bedrohung durch die Terrormiliz Boko Haram im Norden des Landes.
Nigeria erlebte 2015 insgesamt 40 Terroranschläge, durchschnittlich also einen Anschlag alle eineinhalb Wochen. 3.193 Todesopfer wurden insgesamt gezählt. Das ist bei weitem die höchste Zahl an Todesopfern durch Terroranschläge im Jahr 2015 weltweit.

Hoffnung. Doch der Staat in Westafrika gilt auch als afrikanischer Hoffnungsträger. 2014 überholte Nigeria die Republik Südafrika als größte Volkswirtschaft des Kontinents. Abseits der Krisenregion im Nordosten entwickelte sich eine Mittelschicht. Nicht gelegen kommt der niedrige Ölpreis. Der Exportbereich ist von Ölexporten abhängig, der Öl- und Gassektor macht rund 35 Prozent des BIP aus.

Für positive Schlagzeilen sorgten 2015 die Präsidentschaftswahlen: Trotz aller Sorgen kam es nach dem Sieg von Muhammadu Buhari zu einem friedlichen Übergang. Anders als manche Beobachter befürchteten, erkannte der abgewählte Vorgänger Goodluck Jonathan das Wahlergebnis früh an und dankte ab.

Buhari hat sich danach lange Zeit genommen, um sein Regierungskabinett zu formen. Vier Monate brauchte der Ende März gewählte Präsident, um die ersten MinisterInnen seiner Regierung zu präsentieren. Mitte November, sieben Monate nach der Wahl, stellte Buhari schließlich sein ganzes Kabinett vor. Dafür bekam er von der Bevölkerung den Spitznamen „Baba Go Slow“ – eine Anspielung auf seine im Wahlkampf genutzte Bezeichnung „Baba“ und die Staus („go slows“) in der nigerianischen Metropole Lagos.

„Integre Personen.“ Nicht alle sehen in der langen Zeit, die Buhari brauchte, ein Problem. „Buhari glaubte wohl, er müsse genau schauen, um wirklich integre Personen mit absolut weißer Weste zu bekommen. Auf der Suche ist er sicher nicht so fündig geworden, wie er sich das vorgestellt hat“, sagt etwa der deutsche Nigeria-Experte Heinrich Bergstresser in einem Interview mit der Deutschen Welle. Hintergrund: Nigeria ist eine Bundesrepublik, die aus 36 Bundesstaaten besteht, und alles andere als leicht zu regieren. Als Präsident gilt es die Interessen verschiedenster Regionen, Bundesstaaten und Volksgruppen zusammenzubringen, nicht zuletzt zwischen dem vorwiegend christlichen Süden und dem muslimisch-geprägten Norden. Bergstresser zu Buharis Regierung: „Soweit ich das erkennen kann, gibt es eine schöne Nord-Süd-Verteilung.“

Zudem habe Buhari laut Bergstresser versucht, neben nötigen Kompromiss-KandidatInnen frische Köpfe mit Kompetenz dazu zu holen und alte, korrupte Seilschaften zu kappen.
Ob Buharis Regierung eine Erfolgsgeschichte wird oder nicht, das hängt laut der Ansicht vieler an seinem Erfolg im Kampf gegen Korruption. Das sieht auch Justine Ijeomah so. „Korruption war in den vergangenen Jahren das zentrale Problem in Nigera!“ betont der Menschenrechtsaktivist gegenüber der ISJE.

 

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Justine Ijeomah kämpft in Nigeria u.a. gegen Folter und Polizei-Korruption. Foto: HURSDEF

Abwarten. Ijeomah beobachtet seit Jahren den Umgang der Politik mit dem Thema. Er arbeitet mit seiner Organisation HURSDEF vor allem im Bundesstaat Rivers. Sieht er schon einen Wandel unter Buhari? „In manchen Bereichen gab es den, bei anderen muss man noch abwarten, da die neue Regierung ihre Policy dazu noch nicht klar gemacht hat“, so der Menschenrechtler, der Ende 2015 auf Einladung von Amnesty International in Österreich war.

Es gäbe jedenfalls noch viel zu tun für die neue Regierung, so Ijeomah. Besonders schlimm sei die Korruption etwa bei der Polizei. Hier würde sich die Situation sogar noch verschlechtern. Beamte bekommen laut Ijeomah oft keinen Lohn mehr ausbezahlt, daher seien sie unter Druck. Für ihn ist die Polizei zu reformieren. Sobald wie möglich. sol

 


 

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Im Nordosten von Nigeria kämpft der Staat gegen die Terrorgruppe Boko-Haram. Auch im Niger-Delta kam und kommt es immer wieder zu Konflikten. Karte: CC BY-SA 3.0

Nigeria hat rund 180 Mio. EinwohnerInnen und ist damit mit Abstand das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Genau genommen handelt es sich um einen Bundesrepublik aus 36  Bundesstaaten plus dem Federal Capital Territory (FCT) rund um die Hauptstadt Abuja.
In Nigeria leben laut deutscher Bundeszentrale politischer Bildung rund 430 Volksgruppen, im Staatsgebiet werden über 500 Sprachen gesprochen.
Nigeria verfügt über große Öl- und Gasvorkommen und konnte in den vergangenen Jahren ein hohes einstelliges Wirtschaftswachstum verzeichnen. Das Wachstum hat sich mittlerweile verlangsamt, vor allem wegen des gesunkenen Rohölpreises.

Aktuelle Informationen zur Entwicklung afrikanischer Staaten liefert die neue Studie von Afrobarometer. Der Studie zu Folge geht die reale Armut in den 35 untersuchten Ländern zurück. Der Fortschritt gelang vor allem jenen Staaten, die in Infrastruktur investiert hatten.

Die Ergebnisse im Überblick

Der Fortschritt gelang vor allem in jenen Staaten, die zuvor in die Infrastruktur investiert hatten. – See more at: http://www.afrika.info/newsroom/afrika-die-reale-armut-geht-zurueck/#sthash.odmour4D.dpuf
reale Armut in zwei Dritteln der untersuchten Länder – See more at: http://www.afrika.info/newsroom/afrika-die-reale-armut-geht-zurueck/#sthash.odmour4D.dpuf

AI: Nigeria foltert in „schockierendem Ausmaß“

Die Menschenrechts-NGO Amnesty International meldet anlässlich einer Veröffentlichung eines Berichtes, dass Nigerias Polizei und Militär in großem Ausmaß foltern:

Folter gehört für nigerianische
Polizisten und Soldaten zur Routine. ... Gefoltert wird als Bestrafung, um Geld zu erpressen oder um Fälle
schneller zu „lösen“. Obwohl durch internationale Verträge verboten, ist
Folter in Nigeria kein Straftatbestand und die Täter bleiben ungestraft.

„Wir kennen viele Berichte über Folter, aber das Ausmaß und die Form der
Misshandlungen, die in diesem Bericht zusammengetragen wurden, ist selbst
für uns schockierend“, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty
International Österreich.

Für den Bericht wurden über zehn Jahre Zeugenaussagen und Beweise
gesammelt. Obwohl Folter durch die Verfassung verboten ist, wird sie von
Polizei und Militär routinemäßig eingesetzt. Grund dafür ist nicht zuletzt,
dass es kein Gesetz gibt, welches dieses Vorgehen bestraft.

Das Ausmaß der Folter in Nigeria hat nicht zuletzt mit dem Kampf gegen die radikalislamistische Terrormiliz Boko Haram zu tun:

Tausende Menschen – Schätzungen gehen von 5.000 bis 10.000 aus – sind bei den Militäroperationen gegen ...Boko Haram festgenommen worden. Nur wenige der Inhaftierten sind wieder
freigelassen worden. Viele der Gefangenen sollen gefoltert worden sein, und
nahezu alle werden unter extrem schlechten Haftbedingungen festgehalten,
die Misshandlung gleichkommen.
Ziehen von Nägeln und Zähnen, Würgen, Elektroschocks und sexuelle Gewalt
gehören zu den Folterpraktiken, viele Polizeiwachen haben inoffizielle
„Folterbeauftragte“. Erleichtert wird Folter auch dadurch, dass ein
Großteil der Gefangenen in Isolationshaft gehalten wird – ohne Kontakt zur
Außenwelt, zu Anwälten, Gerichten oder der Familie.

Nicht in einem der hunderten von Fällen, die Amnesty International
untersuchte, wurde ein Folteropfer entschädigt. In den meisten Fällen
ermittelten die Behörden halbherzig gegen die mutmaßlichen Folterer und
nichts wurde unternommen, um sie vor Gericht zu bringen.

Nigeria, das für Korruption bekannt ist, tut sich laut AI schwer, die nötigen Reformen umzusetzen:

„In den letzten zehn Jahren wurden mindestens fünf präsidentielle Komitees
und Arbeitsgruppen einberufen, um das Justizwesen zu reformieren und Folter
abzuschaffen. Der Regierung ist das Problem bekannt. Es scheitert an der
extrem langsamen Umsetzung“, so Patzelt. „Die wichtigsten Schritte sind klar. Nigeria muss Folter zum Straftatbestand machen, die
Praxis der Isolationshaft beenden und alle Misshandlungsvorwürfe gründlich
untersuchen.“

Die Fakten des Berichts in der Übersicht:

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Rückfragen:

Gesine Schmiedbauer

Pressesprecherin
Amnesty International Österreich

Press Officer
Amnesty International Austria

Moeringgasse 10
A-1150 Wien
tel.: +43-1-78008- 39
fax: +43-1-78008-44
mobil: +43-664-4001056
gesine.schmiedbauer@amnesty.at
http://www.amnesty.at

Boko Haram – Hintergrund, Potential, Finanzierung

Boko Haram, die militante islamistische Terrorgruppe, ist zu einer Logo_of_Boko_Haram.svggewaltigen Herausforderung für die Entwicklung Nigerias geworden. Laut Human Rights Watch (HRW) sind allein im ersten Halbjahr 2014 2.053 Menschen von Boko Haram getötet worden.
Für Schlagzeilen sorgte die Entführung von merh als 240 Schülerinnen aus der Stadt Chibok im Bundesstaat Borno. Im Web2.0 wurde #BringBackOurGirls zum Slogan.

Genau genommen heißt die Sekte auf Arabsich Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’Awati Wal-Jihad, was im Deutschen meist mit“Vereinigung der Sunniten für den Ruf zum Islam und den Dschihad“ übersetzt wird.

„Boko Haram“ wurde die militante Gruppe mit der Zeit von der internationalen Öffentlichkeit getauft.  Boko bedeutet auf Hausa „Westliche Bildun“, Haram auf Arabisch „verboten“.

Karte: Domenico-de-ga aus der deutschsprachigen Wikipedia
Karte: Domenico-de-ga aus der deutschsprachigen Wikipedia

Liegen die Wurzeln der Sekte weiter zurück, wurde sie in der heutigen Form  2002 von Mohammed Yusuf (1970-2009) in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Nordosten Nigerias, gegründet.

Laut dem in Wien ansässigen nigerianischen Afrikawissenschaftler Bashir Alhaji-Shehu, der selbst aus dem Bundesstaat Borno stammt, radikalisierte sich die Gruppe erst mit der Zeit. Die Behörden vor Ort hätten Yusuf lange unterschätzt, so Alhaji-Shehu in der September-Ausgabe des Südwind-Magazin. Anfangs sei Boko Haram nicht so militant wie heute gewesen, die Exekutive habe allerdings fallweise überhart eingegriffen und damit Reaktionen provoziert.

Das Verhalten der Behörden könnten auch dazu beigetragen haben, dass es erst zur Entführung der Schülerinnen von Chibok kam. Laut einem Artikel der deutschen Ausgabe der Le Monde Diplomatique hatte sie der Anführer Abubakar Shekau angekündigt – und zwar auf „Reaktion auf ähnliche Methoden der Polizei und der staatlichen Sicherheitsorgane“, so Elizabeth Pearson und Jacob Zenn in der Juni-Ausgabe der Le Monde Diplomatique.

Boko Haram agiert mittlerweile international. Immer wieder kommt es zu Angriffen in Nachbarstaaten Nigerias. Laut Alhaji-Shehu sind auch Staaten mit größeren nigerianischen Communitys gefährdet, etwa Frankreich und Großbritannien. Für Österreich sieht er keine Gefahr: zwar bestehen nigerianische Communitys, aber es gäbe verschwindend wenige Migranten aus dem Norden Nigerias.

Vieles um Boko Haram ist noch unklar. Etwa Details darüber, wie sich die Bewegung finanziert. Eine Art der Finanzierung ist nachweisbar: Entführungen. Immer wieder hat die Gruppe in der Vergangenheit Menschen verschleppt und gegen Lösegeld wieder freigelassen.  Auch Banküberfälle gehören wohl dazu.

Marc Engelhardt, Journalist mit Fokus auf Terror-Gruppen in Afrika, vertritt zudem die Ansicht, dass es bei der Entführung der Schulmädchen um Schutzgeld ging. So müssten alle Menschen im – immer größer werdenden – von Boko Haram kontrollierten Gebiet Schutzgeld zahlen. Zudem habe die Al-Kaida nach 9/11 über 2 Mio. Euro „in Westafrika verteilen“ lassen.

Laut Engelhardt ist Boko Haram finanziell und operationell unabhängig. Der Etat zwischen 2006 und 2011 wird auf über 50 Millionen Euro geschätzt, „heute dürfte er höher liegen“, so Engelhardt in der Schweizer WOZ. Waffen würden mit diesem Geld dabei mitunter von korrupten nigerianischen Militärs gekauft.  Alhaji-Shehu kritisiert, dass die Soldaten, die Boko Haram besiegen sollen, viel zu schlecht und unverlässlich bezahlt werden.

Eine langfristige Lösung, so sind sich alle ExpertInnen einig, ist nur dann möglich, wenn Nigeria das Problem Korruption bekämpft. Und den Menschen in der nordöstlichen Region des Landes eine Perspektive bietet.  (sol)


Siehe auch: Africa-Check-Factsheet zu Boko Haram

Interview mit Bashir Alhaji-Shehu im Südwind-Magazin
Kontakt zum Afrikawissenschaftler auf Anfrage

Artikel Boko Haram, der Schrecken Nigerias in LMD vom 13. Juni 2014

Artikel Das Finanzsystem von Boko Haram von Marc Engelhardt in der WOZ vom 17. Juli 2014
Der Journalist und Autor veröffentlichte 2014 das Buch „Heiliger Krieg, heiliger Profit. Afrika als neues Schlachtfeld des internationalen Terrorismus.“ Ch. Links Verlag

AnsprechpartnerInnen zum Thema Boko Haram kann auch das VIDC vermitteln, das eine Veranstaltung zum Thema durchführte Ankündigung – Dokumentation

www.vidc.org, T +43 1 713 35 94