Archiv der Kategorie: Afrika

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PA: Italien: Migrant*innen unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert

Amnesty International berichtet von rechtswidriger Inhaftierung von Asylsuchenden und Migrant*innen unter Missachtung ihres Rechts auf Freiheit, Verstoß bei Haftbedingungen gegen internationales Recht und, dass italienische Gesetze und Praktiken internationalen Verpflichtungen widersprechen und Recht auf Asyl und Zugang zur Justiz verletzen. Kritik von Amnesty International sei umso dringlicher angesichts der Pläne Italiens, Haftanstalten in Albanien zu errichten. 

Wien (4.7.2024) – In Italien werden Migrant*innen und Asylsuchende unrechtmäßig in Haftanstalten festgehalten, die internationale Standards missachten, so Amnesty International heute in ihrer neuen öffentlichen Erklärung „Liberty and Dignity: Amnesty International’s observations on the administrative detention of migrant and asylum-seeking people in Italy“.

„Inhaftierung sollte die Ausnahme sein und das letzte Mittel darstellen. In den von uns besuchten Zentren trafen wir jedoch auf rassistisch diskriminierte Menschen, die niemals hätten inhaftiert werden dürfen. Darunter waren Menschen mit schweren psychischen Problemen. Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres politischen Engagements Asyl suchen, aber aus Ländern kommen, die die italienische Regierung willkürlich als ’sicher‘ bezeichnet. Menschen, die Verantwortung für ihre Kinder tragen oder vor geschlechtsspezifischer Gewalt oder Ausbeutung am Arbeitsplatz fliehen. Diese unnötigen Inhaftierungen beeinträchtigen das Leben, die Gesundheit und die Familien dieser Menschen“, sagte Dinushika Dissanayake, stellvertretende Regionaldirektorin von Amnesty International für Europa. 

Ausweitung migrationsbezogener Haft 

Im Jahr 2023 verabschiedete die italienische Regierung Maßnahmen, die auf eine Ausweitung der Inhaftierung von Migrant*innen abzielen. Dazu gehörten Pläne für den Bau neuer Gewahrsamseinrichtungen, die Verlängerung der maximalen Haftzeit für die Rückführung auf 18 Monate und die Anwendung von „Grenzverfahren“ auf Asylsuchende aus „sicheren Ländern“. Das führt zu einer automatischen Inhaftierung von Menschen auf der Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit und steht im Widerspruch zum internationalen Recht, das eine individuelle Prüfung verlangt.  

Angesichts dieser Entwicklungen und der fortlaufenden Berichte über menschenunwürdige Haftbedingungen und Behandlung besuchte Amnesty International im April 2024 zwei Haftzentren: Ponte Galeria (Rom) und Pian del Lago (Caltanissetta). In den Zentren traf Amnesty International unter anderem Menschen aus Tunesien, Iran, Georgien, Marokko, Peru, Ägypten, Gambia und China. Die öffentliche Erklärung von Amnesty International enthält die Ergebnisse der Besuche und die Informationen basieren auch auf Treffen mit Behörden, Anwält*innen und Vertreter*innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. 

Unmenschliche Bedingungen in den Haftzentren 

Amnesty International stellte fest, dass die Bedingungen in den Zentren nicht den geltenden internationalen Gesetzen und Standards entsprachen. Administrativ bedingte Haft darf keinen strafenden Charakter haben und sollte keine gefängnisähnlichen Bedingungen auferlegen. Trotz dieser Tatsache schienen die von Amnesty International besuchten Zentren äußerst restriktiv und aus gesundheitlicher und sicherheitstechnischer Sicht unzureichend. 

Menschen konnten sich nicht frei innerhalb der Einrichtungen bewegen und benötigten Genehmigungen und Begleitung durch die Polizei. Die Möbel und Betten waren äußerst dürftig, mit Schaumstoffmatratzen auf Betonbetten. Die Badezimmer waren in schlechtem Zustand und teilweise ohne Türen. Lichtschalter wurden von Wachen bedient und Fenster waren hermetisch geschlossen. Persönliche Smartphones waren verboten. 

„Menschen sind gezwungen, ihre gesamte Zeit in eingezäunten Bereichen zu verbringen, unter Bedingungen, die in vielerlei Hinsicht schlimmer sind als im Gefängnis, und sie werden sogar eines Mindestmaßes an Autonomie beraubt. Trotz langer Haftzeiten gibt es fast keine Aktivitäten, was in Kombination mit einem Mangel an Informationen über ihre Zukunft zu enormen psychologischen Schäden bei den Inhaftierten führt,“ sagte Dinushika Dissanayake. 

Forderungen an italienische Behörden 

„Das Versagen der italienischen Behörden, ein wirksames System von Alternativen zur Haft einzurichten, kombiniert mit einem unzureichenden rechtlichen Verfahren, das von nicht-professionellen Richter*innen überwacht wird, führt zum Missbrauch der Haft. Italiens Gesetze und Praktiken sind nicht mit internationalem Recht und Standards vereinbar und verletzen nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch die Rechte auf Asyl, auf wirksame Rechtsmittel und auf rechtliche Unterstützung,“ sagte Dinushika Dissanayake. 

Diese Bedingungen verletzen das Recht der Menschen auf Würde und müssen von den italienischen Behörden verbessert werden. Pläne zum Bau neuer Zentren in Italien, kombiniert mit der Einführung obligatorischer Grenzverfahren im Rahmen des EU-Migrations- und Asylpakts und der bevorstehenden Umsetzung des Abkommens zwischen Italien und Albanien, machen Handlungen umso dringlicher, um weitere Verstöße gegen internationales Recht zu verhindern, die eine wachsende Zahl von Menschen betreffen werden. 

„Migrationsbezogene Haft sollte nur in den außergewöhnlichsten Umständen angewendet werden. Wenn sie notwendig und verhältnismäßig ist, sollten immer zuerst alternative und weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Menschen, die internationalen Schutz suchen, dürfen nicht inhaftiert werden,“ sagte Dinushika Dissanayake.  „In den außergewöhnlichen Fällen, in denen Haft als notwendig und verhältnismäßig erachtet wird, müssen die italienischen Behörden rigorose und regelmäßige Bewertungen der Eignung der Inhaftierten für die Haft durchführen. Die Regierung muss auch sicherstellen, dass die Bedingungen in den Haftzentren die Menschenwürde wahren und angemessene, sichere Unterkünfte sowie Möglichkeiten für den Kontakt zur Außenwelt und eine sinnvolle Nutzung der Zeit bieten. Es bedarf dringend eines grundlegenden Wandels im derzeitigen strafenden Ansatz der Migrationskontrollpolitik.

Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: antonio.prokscha@amnesty.at

PA: Fairtrade International wählt neuen Vorstand

Entscheidungen auf Augenhöhe: Bauernfamilien und Beschäftigte aus den Anbauländern mit 50 Prozent Stimmrecht im Board.

Die Generalversammlung von Fairtrade International, dem Dachverband aller FAIRTRADE-Organisationen weltweit, hat als höchstes Entscheidungsgremium einen neuen Vorstand gewählt. Eine besondere Stärke des FAIRTRADE-Systems ist die gleichberechtigte Mitbestimmung von Bauernfamilien und Beschäftigten aus dem Globalen Süden, die bei allen wichtigen Entscheidungen 50 Prozent der Stimmen im Board halten. Als Vorsitzende wurde Laurence Tanty aus Frankreich wiedergewählt. Mit über 30 Jahren internationaler Erfahrung in der Lebensmittel-, Verpackungs- und Konsumgüterindustrie bringt sie wertvolle Expertise und ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen und Chancen der FAIRTRADE-Bewegung mit.


Die Generalversammlung ist nicht nur für wichtige Personalentscheidungen zuständig, sondern legt auch die strategische Ausrichtung von FAIRTRADE weltweit fest. Dies umfasst Änderungen in den FAIRTRADE-Standards sowie die Entwicklung und Finanzierung neuer Projekte in Ursprungsländern. Wichtige Themen sind dabei die Wahrung von Menschenrechten, die Sicherstellung existenzsichernder Einkommen und Löhne sowie die Erfüllung aller Auflagen für das bereits beschlossene EU-Lieferkettengesetz oder die -Entwaldungsrichtlinie. Mehr als zwei Millionen Bäuerinnen, Bauern und Beschäftigte aus 68 Ländern profitieren im FAIRTRADE-System von den verschiedenen Programmen und Initiativen. Die Ergebnisse und Fortschritte des vergangenen Jahres sind im neuen Jahresbericht von Fairtrade International nachzulesen.

Hier kann man den neuen Jahresbericht von Fairtrade International nachlesen.

Rückfragehinweis: presse@fairtrade.at
 
Hintergrund: Als Teil des internationalen FAIRTRADE-Netzwerks arbeitet FAIRTRADE Österreich an der Umsetzung der gemeinsamen Vision: eine Welt, in der alle Kleinbauernfamilien und Beschäftigten auf Plantagen in sogenannten Entwicklungsländern ein sicheres und gutes Leben führen, ihr Potential ausschöpfen und über ihre Zukunft selbst entscheiden können.

Veranstaltungshinweis: Afro-Asiatisches Institut Graz feiert 60 Jahre

1964 wurde das Afro-Asiatische Institut (AAI), welches zu einem einzigartigen Begegnungszentrum von Menschen aus verschiedensten Kulturen in der Nähe der Grazer Universitäten wurde, eröffnet. 60 Jahre später begeht das Afro-Asiatische Institut Graz am Donnerstag, 20. Juni 2024, sein Jubiläum.

Es ist ein buntes Programm, welches die Besucherinnen und Besucher am Donnerstag um 18 Uhr am Afro-Asiatischen Institut (AAI) in der Grazer Leechgasse erwartet.

Die Jubiläumsfeierlichkeit beginnt mit afrikanischen Tänzen und Musik aus dem Orient, sowie Statements der Festgäste, unter denen sich unter anderem Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl, Klubobfrau Barbara Riener (i.V. von LH Christopher Drexler) oder etwa Bürgermeisterin Elke Kahr auch ehemalige Studierende des AAI finden. Nach einer von einer internationalen Künstlergruppe geleiteten Festzeremonie, gibt es auch beim anschließenden „Fest der Menschenrechte: AKZEPT_dance“ viel zu entdecken.

Musikalische, kulinarische und kulturelle Leckerbissen sowie Mitmachstationen nehmen das Publikum, Wegbegleiter:innen, Freund:innen und Partner:innen des Instituts auf eine Reise in andere Länder und Kulturen mit, gemäß einem Leitspruch des AAI: „Reisen hilft. Zuhause auch“. So wird neben Ausstellungen und künstlerischen Interventionen beispielsweise in die Kunst des Bollywood-Tanzes, von Origami, Henna Tattoos oder etwa afrikanischen Frisuren eingeführt. Die Bandformation Montevideo unter der Leitung des ehemaligen AAI-Heimbewohners Juan Carlos Sungurlian und die die A-capella-Formation Insingizi aus Simbabwe werden ebenfalls auftreten.

Durch Diözesanbischof Josef Schoiswohl gegründet, ist das Afro-Asiatische Institut Graz ein Kommunikations- und Begegnungszentrum des interkulturellen und interreligiösen Dialoges, das vieles bietet: Wohnraum für junge Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die zum Studium in die Steiermark kommen, gesellschaftspolitische und kulturelle Impulse aus verschiedenen Ländern und Anlaufstelle für alle, die sich für die Welt interessieren. Innerhalb der vergangenen Jahrzehnte hat sich das AAI immer wieder gewandelt – architektonisch und inhaltlich galt es, stets den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit gerecht zu werden.

60 Jahre Afro-Asiatisches Institut Graz &

AKZEPT_dance: Fest der Menschenrechte

WANN: DO, 20. Juni 2024, ab 18:00 Uhr

WO: Afro-Asiatisches Institut, Leechgasse 22-24, 8010 Graz

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN: www.aai-graz.at

Rückfragehinweis:
Mag. Johannes Mindler-Steiner (Institutsleiter) // 0676/8742 3983 // j.mindler-steiner@aai-graz.at

PA: Amnesty-Bericht: Behörden und Großkonzerne im Kongo missachten Recht auf gesunde Umwelt

Die kongolesischen Behörden und drei Industrieunternehmen haben gegen internationale Menschenrechtsnormen und innerstaatliche Standards verstoßen, indem sie u. a. das Recht auf eine gesunde Umwelt missachtet haben. Dies zeigt ein neuer Bericht von Amnesty International, der die möglichen Folgen von Öllecks und Rauchemissionen auf die Gesundheit und sozioökonomische Situation von Anwohner*innen analysiert.

Im Fokus des englischsprachigen Berichts In the shadow of industries in the Republic of Congo stehen die Aktivitäten von zwei Ölkonzernen und einer Recyclingfirma in den Departements Pointe-Noire und Kouilou: mehrere Fälle von Boden- und Wasserverschmutzung durch Ölaustritt sowie Rauchemissionen aus Aluminium- und Bleiöfen werden beleuchtet. Der Bericht zeigt auch auf, dass die Menschen, die in der Nähe der Ölfördergebiete in der Küstenregion leben, nur unzureichenden Zugang zu Gesundheitsversorgung und Trinkwasser haben.

Der Amnesty-Bericht unterstreicht auch, wie sehr es bei Umweltverträglichkeitsprüfungen und Kontrollen an Transparenz fehlt, da diese nicht veröffentlicht werden. Überdies gibt es von Behörden und Konzernen nur begrenzt Informationen über Umweltkatastrophen und die ergriffenen Maßnahmen. Dadurch können etwa NGOs ihre Überwachungsfunktion nicht wirksam wahrnehmen.

Gesundheitsprobleme nach Ölverschmutzung

Nahe der Stadt Pointe-Noire haben die Aktivitäten der Firma TotalEnergies EP Congo, einer Tochtergesellschaft des französischen Unternehmens TotalEnergies, seit 1972 zu mindestens drei Zwischenfällen geführt, zuletzt im Jahr 2011, als Rohöl in die Lagune von Loubi gelangte. Das Unternehmen erläuterte Maßnahmen, die zur Reinigung der Lagune und zur Informatione der Anwohner*innen ergriffen worden waren, aber dennoch kritisierten viele weiterhin die Umweltverschmutzung und den Mangel an Informationen.

Die Ölfirma beharrt darauf, dass die im Jahr 2021 durchgeführten Wasseranalysen keine Unregelmäßigkeiten aufgewiesen hätten und dass das Unternehmen regelmäßige Tests zur Kontrolle der Grundwasserqualität durchführe. Allerdings sind die entsprechenden Ergebnisse bisher nicht veröffentlicht worden. Mehrere Menschen berichteten, dass sie nach dem Verzehr von Fisch aus der Lagune Durchfall bekamen.

In Banga Kayo, 30 km von Pointe-Noire entfernt, werfen die Einwohner*innen dem chinesischen Öl- und Gasunternehmen Wing Wah vor, den Fluss Loémé zu verschmutzen. Sie verweisen auf die mangelnde Transparenz bei den Reparaturmaßnahmen im Zuge von Zwischenfällen. Der letzte Vorfall war im Dezember 2022 ein Leck in der Pipeline, die Banga Kayo mit dem Offshore-Ölterminal Djeno verbindet. Die Aktivitäten von Wing Wah wurden vom Umweltministerium mehrmals ausgesetzt und dann wieder gestattet, ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wurde, ob der Konzern Maßnahmen zur Entschädigung der Betroffenen und Verhinderung künftiger Vorfälle getroffen hatte.

Bluttests zeigen mögliche Bleiverseuchung

In Vindoulou, am Stadtrand von Pointe-Noire, prangern Anwohner*innen seit Jahren den Rauch an, der aus der Fabrik der Firma Metssa Congo, einer Tochtergesellschaft des indischen Konzerns Metssa, stammt. Die Recyclinganlage, die 50 Meter von einer Schule entfernt steht, stellt vor allem Bleibarren für den Export her. Im März 2023 wurden von 18 Personen, die in der Nähe der Fabrik leben, Blutproben entnommen und mit Unterstützung von Amnesty International in einem unabhängigen Labor analysiert. Alle Blutproben wiesen Bleikonzentrationen auf, die weit über dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als sicher eingestuften Wert lagen. Mehrere Einwohner*innen erklärten, dass die Kinder häufig husten und sich erbrechen, vor allem wenn der Rauchausstoß sehr stark ist.

Metssa Congo gibt an, die nötigen Maßnahmen zur Aufbereitung der Emissionen ergriffen zu haben. Vor dem Bau der Fabrik im Jahr 2013 hat Metssa Congo keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, was gegen kongolesisches Recht verstößt. Trotzdem gewährten die Behörden dem Konzern eine Betriebslizenz. Laut eigenen Angaben hat das Unternehmen 2018 seine Standortlizenz erhalten und erst 2023, also zehn Jahre nach Betriebsaufnahme, eine Umweltverträglichkeitsbescheinigung bekommen.

Maßnahmen aller Beteiligten erforderlich

„Während die kongolesische Gesetzgebung zu Umweltfragen als recht fortschrittlich gilt, zeigen unsere dokumentierten Fälle, dass die Behörden ihrer Pflicht zum Schutz der Rechte der Menschen, die in der Nähe von Industrieanlagen leben, nicht gerecht werden“, sagte Samira Daoud, Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International.

„Da die Republik Kongo plant, ihre industriellen Aktivitäten zu diversifizieren, fordert Amnesty International den kongolesischen Staat auf, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen verantwortungsvoll handeln und ihre Verpflichtungen in Bezug auf Umwelt und Menschenrechte einhalten. Die internationalen Partner sollten sicherstellen, dass die Unternehmen aus ihrem eigenen Land und ihre Tochtergesellschaften die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einhalten“, so Samira Daoud.

Presseteam Amnesty International Österreich
Eleonore Rudnay
+43-664-400 10 56
presse@amnesty.at

Somalia: Tod von 23 Zivilist*innen bei türkischen Drohnenangriffen könnte Kriegsverbrechen darstellen

23 Zivilist*innen bei Militärschlägen durch türkische Drohnen im März getötet, darunter vierzehn Kinder. Wahllose Angriffe können Kriegsverbrechen darstellen. Amnesty International fordert Aufarbeitung und Entschädigung für Familien der Opfer.

Im Zuge einer somalischen Militäroperation, die von türkischen Drohnen unterstützt wurde, wurden bei zwei Angriffen 23 Zivilist*innen getötet. Amnesty International fordert auf der Grundlage ihrer Untersuchung die Verfolgung dieser Angriffe als Kriegsverbrechen.

Unter den Zivilist*innen, die bei den Angriffen am 18. März 2024 getötet wurden, waren 14 Kinder, fünf Frauen und vier Männer. Weitere 17 Zivilist*innen wurden bei den Angriffen verletzt: 11 Kinder, zwei Frauen und vier Männer. Alle stammen aus dem marginalisierten Clan der Gorgaarte, der zur größeren Gemeinschaft der Jareer gehört.

„Die somalische und die türkische Regierung müssen diese tödlichen Angriffe als Kriegsverbrechen untersuchen und den rücksichtslosen Angriffen auf Zivilist*innen ein Ende setzen“, sagte Tigere Chagutah, Regionaldirektorin von Amnesty International für das östliche und südliche Afrika.

„In Somalia hat die Zivilbevölkerung viel zu oft die Hauptlast des Leids im Krieg getragen. Diese entsetzlichen Todesfälle dürfen nicht übersehen werden. Die geschädigten Überlebenden und ihre Familien verdienen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.“

Amnesty International befragte aus der Ferne 12 Personen, darunter vier Überlebende und Augenzeug*innen sowie vier Familienangehörige von Opfern. Zusätzlich prüfte die Organisation Satellitenbilder und medizinische Berichte, analysierte Fotos von Opfern und Waffenteilen und verortete Videos vom Ort der Angriffe und von türkischen Drohneneinsätzen am internationalen Flughafen von Mogadischu.

Anhand der Fotos der Munitionsreste konnte Amnesty International bestätigen, dass der Angriff mit MAM-L-Gleitbomben durchgeführt wurde, die von TB-2-Drohnen abgeworfen werden. Beide werden von der Türkei hergestellt.

Tödliche Angriffe

Die Angriffe trafen die Farm Jaffey, etwa drei Kilometer westlich des Dorfes Bagdad in der Region Lower Shabelle, zwischen 20.00 und 20.30 Uhr. Überlebende und Anwohner*innen berichteten Amnesty International, dass die Drohnenangriffe auf schwere Bodenkämpfe folgten, die zuvor an diesem Tag zwischen der bewaffneten Gruppe Al-Shabaab und somalischen Sicherheitskräften in der Nähe der Dörfer Jambaluul und Bagdad begonnen hatten.

Während der Zusammenstöße am 18. März waren Berichten zufolge Al-Shabaab-Kämpfer in Bagdad anwesend. Ein erster Drohnenangriff traf gegen 19.30 Uhr eine Moschee im Osten von Bagdad, zerstörte das Gebäude und beschädigte nahe gelegene Häuser. Amnesty International war nicht in der Lage, unabhängig zu überprüfen, wer in der Moschee getroffen wurde oder ob es dabei Verletzte oder Tote gab.

Nach diesem Angriff flüchteten Augenzeug*innen zufolge zahlreiche Zivilist*innen auf die Jaffey-Farm, um Schutz zu suchen. Bei dem ersten Angriff auf die Farm wurden mehrere Zivilist*innen getötet und verletzt. Bei einem zweiten Angriff, etwa 30 Minuten später, wurden weitere Zivilist*innen getötet und verletzt, die gekommen waren, um Überlebende des ersten Angriffs zu bergen.

Angriffe, bei denen nicht zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterschieden wird, sind willkürlich und stellen Kriegsverbrechen dar.

Mangelnde Rechenschaft

Am 19. März gab das somalische Informationsministerium bekannt, dass in Zusammenarbeit mit „internationalen Partnern“ über 30 Al-Shabaab-Kämpfer in den Dörfern Bagdad und Baldooska getötet worden seien. In der Erklärung hieß es, die Operation sei eine Reaktion auf Geheimdienstberichte über einen bevorstehenden Angriff der Al-Shabaab auf Somalier*innen.

Es ist unklar, ob türkische oder somalische Streitkräfte zum Zeitpunkt der Angriffe auf die Jaffey-Farm die Kontrolle über die TB-2-Drohne hatten. Eine Quelle in der somalischen Regierung teilte Amnesty International mit, dass Angehörige der Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsbehörde die TB-2 bei Kampfeinsätzen gegen Al-Shabaab fliegen. Im Jahr 2022 berichtete das UN-Expert*innengremium für Somalia jedoch, dass die Türkei nach Angaben der türkischen Regierung die Drohnen nicht unter Verletzung des UN-Waffenembargos nach Somalia geliefert hat, sondern die Drohnen selbst „im Kampf gegen den Terrorismus“ einsetzt.

Ebenfalls im Jahr 2022 erklärte Ahmed Malim Fiqi, der damalige Innenminister Somalias und heutige Außenminister, dass die Drohnen von türkischen Streitkräften betrieben werden, während die somalischen Kommandant*innen die Ziele bestimmen.

In den letzten Jahren hat die Türkei militärische Ausrüstung und Unterstützung für Somalia bereitgestellt. Satellitenbilder und Videos, die von Amnesty Internationals Crisis Evidence Lab geolokalisiert wurden, zeigen türkische TB-2-Drohnen auf der Startbahn des internationalen Flughafens von Mogadischu bereits am 12. September 2022.

Am 5. April schrieb Amnesty International an die Regierungen Somalias und der Türkei und bat um Informationen über den Angriff vom 18. März, einschließlich der Frage, welche militärischen Kräfte die Drohne zum Zeitpunkt des Angriffs kontrollierten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung haben beide Regierungen nicht geantwortet.

Hintergrund

Der bewaffnete Konflikt zwischen der Regierung Somalias und Al-Shabaab hat weiterhin verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung des Landes, wobei alle Konfliktparteien schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begehen.

Die somalische Regierung hat in der Vergangenheit keine Wiedergutmachung für zivile Opfer von Militäraktionen geleistet und auch keine Wiedergutmachung von ausländischen Parteien eingefordert, wenn diese an unrechtmäßigen Angriffen beteiligt waren. Zudem wurden in der Vergangenheit Verstöße gegen marginalisierte Gemeinschaften, wie den Gorgaarte-Clan, häufig missachtet.

Amnesty International hat eine Reihe von Luftangriffen des US-Afrika-Kommandos (AFRICOM) dokumentiert, bei denen somalische Zivilist*innen getötet und verletzt wurden, darunter viele, die offensichtlich gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen haben. Am 5. April schrieb Amnesty International an AFRICOM und fragte, ob die US-Streitkräfte an der Operation vom 18. März gegen Al-Shabaab beteiligt waren. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag keine Antwort vor.

Rückfragen
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
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Das Superwahljahr 2024 und der Globale Süden

Weltweit stehen entscheidende Wahlen an: Die ISJE stellte Infos und Kontakte dazu zusammen.

Nicht nur Biden gegen Trump: 2024 finden mehrere entscheidende Wahlen statt, nicht zuletzt im Globalen Süden. Über das Jahr wählt fast die Hälfte der Weltbevölkerung: u.a. folgen noch Wahlen in Indien, Südafrika, Pakistan, Bangladesch oder Mali. Die deutsche Tageszeitung Taz sieht gleich „mehrere Endspiele der Demokratie“, die 2024 stattfinden.

Wichtige geplante Wahlen in Ländern des Globalen Südens

Indien: 19. April – 1. Juni Parlamentswahlen

Südafrika: 29. Mai Parlamentswahlen 

Mexiko: 2. Juni: Bundeswahlen und Präsidentschaftswahl

Venezuela: 28. Juli Präsidentschaftswahl

Tunesien: Voraussichtlich November Präsidentschaftswahl


Faktor Demokratie: Dass es so viele Wahlen weltweit gibt, ist eine gute Sache. Es zeigt, wie wichtig Demokratien sind. Im Falle von autoritären Regimen, die Wahlen inszenieren, zeigt es zumindest, dass die Staatschefs sich dadurch legitimieren müssen. 

Erkennbar ist aber ein Negativtrend: International gesehen hat sich die Lage der Demokratie laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung verschlechtert. Die Zahl der Autokratien nehme zu, so die Studie.
Doch gebe es Beispiele, die zeigen, dass eine Trendumkehr möglich ist, etwa Brasilien oder Polen.
In Brasilien gewann bei den Wahlen 2022 Lula da Silva und löste daraufhin Jair Bolsonaro ab, der das riesige südamerikanische Land seit 2019 regierte. Viele Beobachter:innen befürchteten, dass Bolsonaro Brasilien langfristig autokratisch umbauen will.


Geopolitik: In Zeiten des Umbruchs sind Wahlen natürlich besonders entscheidend, können sie doch dafür sorgen, dass Staaten politisch in die eine oder andere Richtung gehen. Besonders im Blickpunkt ist dabei der Globale Süden, wenn es um Gegenpole gegen die westliche Dominanz in der Welt geht, also etwa die BRICS-Staaten. Zu Jahresbeginn 2024 wurde die Staatenvereinigung um Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate erweitert.

SDGs: In Bezug auf die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN so ist das Thema Wahlen dem SDG 16 Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen zuzuordnen: „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“ (UN 2015)


U.a. soll erreicht werden, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist.

Zur UN-Seite Ziel 16 auf Englisch.
Das Ziel 16 auf SDGwatch Austria und Infos zur Umsetzung der SDGs in Österreich: www.sdgwatch.at

Themen und Fragestellungen

  • Welche geopolitischen Folgen können die wichtigen Wahlen 2024 haben?
  • Welche Folgen hat die derzeitige Entwicklung auf den Globalen Süden?
  • Wie kann – im Globalen Norden wie im Globalen Süden – das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden?
  • Demokratie-Entwicklung: Demokratie ist weltweit unter Druck, auch in Europa. Autoritarismus am Vormarsch: welche Gefahren zeigen sich aktuell in Bezug auf SDG 16?
  • Wie ist es um den Frieden und die Demokratie im Globalen Süden bestellt? Welche Regionen sind besonders problematisch (und dadurch vielleicht auch Herkunftsgebiet von Migrant:innen)? Welche positiven Beispiele gibt es?
  • Die Österreichische Regierung berät über die Einrichtung eines sogenannten Zivilen Friedensdiensts.

Institutionen, Expert:innen, und Organisationen, zusätzliche Quellen

Austrian Development Agency
Armut reduzieren, Frieden fördern und die Umwelt schützen – das sind die drei Hauptanliegen der Austrian Development Agency (ADA), der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Die ADA setzt derzeit Projekte und Programme mit einem Gesamtvolumen von über 550 Millionen Euro um, um die Lebensbedingungen in Entwicklungsländern zu verbessern. Das Budget der ADA stellt das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten zur Verfügung.
Übersicht über die Projekte der ADA.

Dachverband Globale Verantwortung
Der Dachverband GLOBALE VERANTWORTUNG – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe vertritt national und international die Interessen von 34 österreichischen Nichtregierungsorganisationen, die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, entwicklungspolitische Inlandsarbeit, Humanitäre Hilfe sowie nachhaltige globale wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung tätig sind.

Je nach Region oder Land können für Journalist:innen unterschiedliche lokale Expert:innen als Ansprechpartner:innen interessant sein: in Sachen Südafrika etwa, das im Mai wählt, kann SADOCC, das Southern Africa Documentation and Cooperation Centre/Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika, relevant sein:
www.sadocc.at
Viel Wissen hat sich dabei der Historiker und Südafrika-Kenner Walter Sauer angeeignet:
walter.sauer@univie.ac.at

Sollten Sie auf der Suche nach Ansprechpartner:innen sein, schreiben Sie uns: office@isje.at

Reporter ohne Grenzen
Reporter ohne Grenzen ist eine regierungsunabhängige Menschenrechtsorganisation mit Beobachterstatus bei Europarat und UNESCO und ist akkreditiert bei den Vereinigten Nationen und setzt sich für Presse- und Meinungsfreiheit ein.

Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
Die ÖFSE ist eine österreichische Forschungs- und Informationseinrichtung zu Fragen des Globalen Südens, der Entwicklungszusammenarbeit und der Entwicklungspolitik. Die ÖFSE wurde 1967 gegründet und steht allen entwicklungspolitisch interessierten Personen, öffentlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung.

Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation
Die drei Abteilungen des VIDC – Global Dialogue, kulturen in bewegung und fairplay – haben sich der Förderung einer kritischen Öffentlichkeit verschrieben. Ein mit internationalen Partner*innen geführter „Dialog auf Augenhöhe“ will u.a. kritische Diskurse fördern, Kulturkooperationen initiieren und Diversität und Anti-Diskriminierungsmaßnahmen im Sport unterstützen.

Quellen zu Demokratie-Entwicklung im Globalen Süden:
Latinobarometro.org
Afrobarometer.org

Das Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten
Das BMEIA veröffentlichte ein Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik von 2019-2021 thematischen Schwerpunkten der Agenda 2030.


Das Demokratiezentrum Wien ist eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung mit Aufgaben in der Demokratieforschung und der Demokratiebildung. Unsere empirische und theoretische Forschung dient der wissenschaftlichen Erkenntnis, dem demokratiepolitischen Diskurs und dem Transfer in Bildungsangebote.
www.demokratiezentrum.org

Gerd Valchars ist Politikwissenschaftler in Wien mit viel Wissen rund um Wahlen und Wahlrecht. Er lehrt u.a. an den Universitäten Wien und Klagenfurt
gerd.valchars@univie.ac.at

Die Politikwissenschafterin Tamara Ehs ist Demokratieberaterin für Städte und Gemeinden und politische Bildnerin. Ihre Forschung und Lehre konzentrieren sich auf die sozialen Fragen von Demokratie und Verfassung.

tamara-ehs.net/kontakt 

Dr.in Daniela Ingruber ist Politikwissenschafterin, Medientheoretikerin, Demokratie- und Kriegsforscherin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Donau-Universität Krems tätig.
nomadin@nomadin.at

Geplante Wahlen in den Ländern des Globalen Südens

Indien: 19. April – 1. Juni Parlamentswahlen
Panama: 5. Mai Parlamentswahlen
Dominikanische Republik: 19. Mai Parlamentswahlen
Südafrika: 29. Mai Parlamentswahlen  
Mexiko: 2. Juni: Bundeswahlen und Präsidentschaftswahl
Mauretanien: 22. Juni Präsidentschaftswahl
Mongolei: 28. Juni Parlamentswahlen
Ruanda: 15. Juni Parlamentswahlen
Venezuela: 28. Juli Präsidentschaftswahl
Algerien: 7. September Präsidentschaftswahl
Mosambik: 9. Oktober: Parlamentswahlen
Uruguay: 27. Oktober: Präsidentschaftswahl und Parlamentswahlen
Sri Lanka: Voraussichtlich November Präsidentschaftswahl und Parlamentswahlen
Tunesien: Voraussichtlich November Präsidentschaftswahl
Namibia: 27. November Präsidentschaftswahl und Parlamentswahlen
Mauritius: 30. November Parlamentswahlen
Ghana: 7. Dezember Präsidentschaftswahl und Parlamentswahlen

PA: EU-Lieferkettengesetz beschlossen: Jetzt geht‘s an‘s Umsetzen!

Am 24.04.2024 hat das Europäische Parlament endlich nach zähen Verhandlungen die Richtlinie für ein europäisches Lieferkettengesetz beschlossen. Die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar unterstützt den Appell ihrer Projektpartnerin aus Ghana, Sr. Regina Ignatia Aflah, mit einer raschen Umsetzung die Kinderarbeit in ihrem Land und weltweit zu beenden.

Ihr offener Brief an die österreichischen Nationalratsabgeordneten kann von den Menschen in Österreich mitunterzeichnet werden, so wie das z.B. schon Kinder- und Jugendbischof Stephan Turnovszky, AK-Präsidentin Renate Anderl, Dirk Stermann oder Gregor Seberg getan haben – auf www.kinderarbeitstoppen.at/offener-brief

Sr. Regina Ignatia Aflah engagiert sich tatkräftig für arbeitende Kinder. Alleine in Ghana arbeiten 770.000 Kinder im Kakaoanbau. Die Abwesenheit von der Schule während der Erntezeit, die Arbeit mit scharfen Messern und giftigen Pestiziden, das Tragen schwerer Lasten haben fatale Folgen für die Kinder.

Sr. Regina wendet sich mit der dringenden Bitte an die österreichischen Nationalratsabgeordneten, die Richtlinie für das europäische Lieferkettengesetz rasch und ambitioniert umzusetzen: „Das EU-Lieferkettengesetz bietet die Chance, endlich wirksame Maßnahmen gegen Kinderarbeit in den Lieferketten von Unternehmen zu ergreifen. Es verpflichtet große Firmen, menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten zu beachten und so zum Beispiel für existenzsichernde Einkommen der Kakaobauern-Familien zu sorgen. Das ist wesentlich, damit Kinder zur Schule gehen können, anstatt zu arbeiten, und so dauerhaft aus der Armutsschleife auszusteigen.“  

Europa ist der größte Abnehmer von Kakao in Westafrika, und Österreich hat einen sehr hohen  Schokoladekonsum. Sigrid Kickingereder, Geschäftsführerin der Katholischen Jungschar, bittet die Menschen in Österreich um ihre Unterstützung: „Es ist an der Zeit, dass Österreich seiner Verantwortung nachkommt und einen Beitrag zur Beendigung von Kinderarbeit leistet. Unterzeichnen Sie bitte den offenen Brief und den Appell von Sr. Regina an die österreichischen Nationalratsabgeordneten zur raschen Umsetzung des europäischen Lieferkettengesetzes.“ 

Die Initiative „Kinderarbeit stoppen” – bestehend aus der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, FAIRTRADE Österreich, Solidar Austria (ÖGB), Jugend Eine Welt, Kindernothilfe Österreich und Butterfly Rebels – setzt sich seit Jahren für ein europäisches Lieferkettengesetz ein, das dazu beiträgt, Kinderarbeit und andere Menschenrechtsverletzungen wirksam zu stoppen.

Infos und Fotos finden Sie auf http://www.kinderarbeitstoppen.at/presse

 

PA: Ein Jahr nach dem Krieg im Sudan: Ärzte ohne Grenzen fordert rasche Ausweitung von humanitärer Hilfe

Ein Jahr nach Ausbruch des Krieges im Sudan fordert Ärzte ohne Grenzen eine schnellstmögliche Ausweitung der humanitären Unterstützung. Die Situation ist eine der weltweit schwersten Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Millionen Menschen sind davon betroffen, dass die Kriegsparteien den Zugang für humanitäre Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern absichtlich blockieren.

„Die Menschen im Sudan leiden enorm unter den anhaltenden schweren Kämpfen, die oft mitten in städtischen Wohngebieten und Dörfern stattfinden. Das Gesundheitssystem und die Grundversorgung sind weitgehend zusammengebrochen. Nur 20 bis 30 Prozent der Gesundheitseinrichtungen im Sudan sind noch funktionsfähig. Die Gesundheitsversorgung der Menschen im ganzen Land ist extrem eingeschränkt“, sagt Jean Stowell, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Sudan.

Die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedstaaten müssen ihre Anstrengungen verdoppeln, einen sicheren und ungehinderten Zugang auszuhandeln und die humanitäre Unterstützung zu verstärken, damit sich die ohnehin katastrophale Lage nicht noch weiter verschlechtert.

In von Kampfhandlungen betroffenen Gebieten haben Teams von Ärzte ohne Grenzen eine Vielzahl von Frauen, Männern und Kindern behandelt. Ihre Verletzungen reichten von Schrapnellwunden bis zu Verletzungen durch Explosionen und Schüsse. Seit April 2023 wurden in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Einrichtungen mehr als 22.800 Menschen mit Kriegsverletzungen behandelt und mehr als 4.600 chirurgische Eingriffe vorgenommen, von denen viele im Zusammenhang mit der Gewalt in Khartum und Darfur standen. In Wad Madani, einer Stadt, die von drei aktiven Frontlinien umgeben ist, behandeln Mitarbeitende der Organisation derzeit 200 Patient:innen pro Monat, die gewaltbedingte Verletzungen erlitten haben.

Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten bereits mehr als acht Millionen Menschen aus ihren Häusern fliehen und wurden teils mehrfach vertrieben. Schätzungsweise 25 Millionen Menschen – die Hälfte der Bevölkerung des Landes – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

„Jeden Tag sehen wir Patient:innen, die durch die Folgen der Gewalt ums Leben kommen. Kinder, die aufgrund von Mangelernährung und fehlenden Impfstoffen sterben, Frauen mit Komplikationen nach unsicheren Entbindungen, Patient:innen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, und Menschen mit chronischen Erkrankungen, die keinen Zugang zu ihren Medikamenten haben“, sagt Stowell. „Trotz all dieser Fälle gibt es eine äußerst beunruhigende Lücke in der humanitären Unterstützung.“

Obwohl Ärzte ohne Grenzen gut mit dem Gesundheitsministerium zusammenarbeitet, hat die sudanesische Regierung den Zugang zu humanitärer Hilfe absichtlich erschwert, vor allem in Gebiete, die sich außerhalb ihrer Kontrolle befinden. So hat sie systematisch Reisegenehmigungen für humanitäre Helfer:innen und Hilfslieferungen verweigert, die die Frontlinien überqueren wollten. Zudem hat sie die Nutzung von Grenzübergängen eingeschränkt und ein äußerst restriktives Verfahren für die Erteilung von Visa für humanitäre Helfer*innen eingeführt.

„Aktuell ist unsere größte Herausforderung der Mangel an medizinischen Hilfsgütern. Uns geht das chirurgische Material aus, und wir stehen kurz davor, die Arbeit einzustellen, wenn nicht bald Nachschub eintrifft“, sagt Ibrahim, ein Arzt von Ärzte ohne Grenzen, der in Khartum arbeitet. Die Hauptstadt steht seit sechs Monaten unter einer Blockade. Eine ähnliche Situation herrscht seit Januar in der Stadt Wad Madani vor.

In den von den Rapid Support Forces (RSF) kontrollierten Gebieten wurden in den ersten Monaten des Konflikts häufig Gesundheitseinrichtungen und Lagerhäuser geplündert. Es kommt weiterhin regelmäßig zu Überfällen auf Autos. Darüber hinaus wurde medizinisches Personal schikaniert und verhaftet.

In schwer zugänglichen Gebieten wie Darfur, Khartum oder Al-Dschasira ist Ärzte ohne Grenzen oft die einzige oder eine der wenigen internationalen Organisationen vor Ort. Der Bedarf übersteigt aber die Kapazitäten von Ärzte ohne Grenzen bei weitem. Selbst in besser zugänglichen Gebieten wie den Staaten Weißer Nil, Blauer Nil, Kassala und Al-Kadarif ist die Hilfe insgesamt ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ein Beispiel ist die katastrophale Mangelernährungskrise im Lager Samsam in Nord-Darfur, wo das Welternährungsprogramm seit Mai 2023 keine Nahrungsmittel mehr verteilt hat. Fast ein Viertel (23 Prozent) der Kinder, die Teams von Ärzte ohne Grenzen dort im Januar untersuchten, litten an akuter Mangelernährung, sieben Prozent waren schwer mangelernährt. 40 Prozent der schwangeren und stillenden Frauen litten an Mangelernährung und die Sterblichkeitsrate in dem Lager war mit 2,5 Todesfällen pro 10.000 Menschen pro Tag extrem hoch.

Ärzte ohne Grenzen fordert die Kriegsparteien auf, das humanitäre Völkerrecht und die humanitären Resolutionen der Erklärung von Dschidda einzuhalten, indem sie Mechanismen zum Schutz der Zivilbevölkerung einrichten und einen sicheren humanitären Zugang zu allen Gebieten des Sudan ohne Ausnahme gewährleisten, einschließlich der Aufhebung von Blockaden. Die Vereinten Nationen müssen angesichts dieser enormen Krise mutiger agieren und dazu beizutragen, eine schnelle und massive Ausweitung der humanitären Hilfe zu ermöglichen. Ärzte ohne Grenzen appelliert außerdem an die Geberländer, die Mittel für humanitäre Hilfe im Sudan aufzustocken.

Hier können Sie Fotos und Video-Material herunterladen.

Für Rückfragen | Vermittlung von Interviews | Fotomaterial wenden Sie sich bitte an:
Eva Hosp
eva.hosp@vienna.msf.org
Tel.: +43 (1) 409 72 76 – 29

PA: Chinas Hochseeflotte auf Raubzug in Ostafrika – Exporte aus illegaler Fischerei in die EU möglich

Die chinesische Hochseeflotte fischt illegal im südwestlichen Indischen Ozean (SWIO), beutet Crews an Bord ihrer Schiffe aus und bedroht die traditionelle handwerkliche Fischerei in Ländern Ostafrikas, so ein neuer Bericht der Environmental Justice Foundation (EJF).

Die chinesische Hochseefischereiflotte ist die größte der Welt und verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen, Tierquälerei und illegale Fischerei. Seit 2020 hat EJF mehrere umfassende Untersuchungen über die Flotte durchgeführt. Der neue Bericht ist der erste seiner Art, der ihre illegalen Aktivitäten in der Region Ostafrika aufdeckt.  

Alle von EJF befragten Besatzungsmitglieder der chinesischen Thunfisch-Flotte im südwestlichen Indischen Ozean berichteten, dass sie in irgendeiner Form Menschenrechtsverletzungen erfahren und/oder illegalen Fischfang gesehen haben. 80 % der Befragten berichteten über das Abtrennen von Haifischflossen, 96 % über exzessive Arbeitszeiten und 55 % über körperliche Gewalt. Die neue Untersuchung liefert auch Hinweise auf vier Todesfälle an Bord chinesischer Thunfischfänger zwischen 2017 und 2023, darunter ein mutmaßlicher Selbstmord eines Crewmitglieds. 

16 befragte Fischer auf chinesischen Trawlern in Mosambik bezeugten die weit verbreitete Kriminalität, wobei 81 % über körperliche Misshandlungen und die Hälfte über den absichtlichen Fang und/oder die Verstümmelung von gefährdeten Meerestieren berichteten. 

Fischereiprodukte der Flotte gelangen potenziell auf wichtige internationale Märkte, darunter Europa, die USA, Japan und Südkorea. 73 % der Schiffe, die der illegalen Fischerei und Menschenrechtsverletzungen verdächtigt werden, standen zum Zeitpunkt der EJF-Recherchen auf der Liste der zugelassenen Exporteure in die EU.

Das Ausmaß der kriminellen Aktivitäten der chinesischen Flotte im südwestlichen Indischen Ozean steht in direktem Widerspruch zum erklärten Interesse Chinas an einer nachhaltigen Entwicklung der Region. Im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ (BRI), in Deutschland bekannt als „Neue Seidenstraße“, hat China massiv in den Fischereisektor der Anrainerstaaten des südwestlichen Indischen Ozeans investiert. Die neue EJF-Untersuchung zeigt jedoch, dass Chinas Investitionen den lokalen Fischergemeinden keineswegs zugutekommen. Im Gegenteil: Sie schaden der traditionellen handwerklichen Fischerei dieser Länder, da illegale Fischerei und das Töten von Meerestieren zugenommen haben und marine Ökosysteme akut bedrohen. 

Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation (EJF): „Unsere umfangreichen Nachforschungen werfen eine zentrale Frage auf: Geschieht dieser Missbrauch auf Anweisung aus Peking oder kommt die chinesische Regierung ihrer Verantwortung für das Management ihrer Flotte nicht nach? Die Beweislage ist so eindeutig, dass entweder das eine oder das andere zutreffen muss.“

„Chinas Hochseeflotte ist für schwere Menschenrechtsverletzungen und illegale Fischerei im südwestlichen Indischen Ozean verantwortlich. Die Verbrechen sind nicht auf ein einziges Schiff oder ein bestimmtes Gebiet beschränkt, sondern geschehen an Bord fast aller chinesischen Schiffe, die wir untersucht haben, und zwar in allen Gebieten und Gerichtsbarkeiten. Dieser Missbrauch ist systemisch.“

„Während die chinesische Regierung ihre Investitionen in die Region als Gewinn für beide Seiten darstellt, richtet sie in Wirklichkeit direkten Schaden an. Den Preis dafür zahlen Küstengemeinden, Crews, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden, und die Anrainerstaaten des südwestlichen Indischen Ozeans, die infolge der Investitionen Chinas mit Korruption und Verschuldung kämpfen.“

„Es ist höchste Zeit, dass die Thunfischkommission für den Indischen Ozean (IOTC) die chinesische Hochseeflotte und ihre massiven Investitionen ins Visier nimmt. Gleiches sollten Küsten-, Markt-, Hafen- und Flaggenstaaten tun, ebenso wie die Regierung der Volksrepublik China selbst. Die Transparenz in der globalen Fischerei muss dringend verbessert werden, damit klar ist, wer wie, wo und was fischt. Auch wenn die illegale Fischerei im südwestlichen Indischen Ozean nicht nur auf die chinesische Hochseeflotte zurückzuführen ist, erfordern die schockierenden Beweise für Missbrauch und Kriminalität in der gesamten Region jetzt klares Handeln.“

Anmerkungen für die Redaktion:

  • „Flut der Ungerechtigkeit: Ausbeutung und illegale Fischerei auf chinesischen Schiffen im südwestlichen Indischen Ozean“: Lesen Sie den vollständigen Bericht hier und sehen Sie den Kurzfilm hier.
  • Fotomaterial finden Sie hier, weiteres ist auf Anfrage erhältlich.
  • Um die Identität und Sicherheit unserer Quellen zu schützen, werden die Fallstudien der einzelnen Schiffe nicht veröffentlicht, sie sind aber auf Anfrage erhältlich.

Ihre Ansprechpartnerin:
Nikola Klein, Presse & Kommunikation EJF
E-Mail: nikola.klein@ejfoundation.org | Tel. +49 (0) 176 311 54 149