Von Leo Gabriel
Nicaragua zählt nicht nur zu den vom Klimawandel am meisten betroffenen Ländern, sondern ist auch das Land mit den meisten Ressourcen an erneuerbarer Energie. Trotz des noch immer drohenden Baus eines interozeanischen Kanals und trotz der kostengünstigen Erdöllieferungen aus Venezuela hat sich Nicaragua zum ökologischen Spitzenreiter im mittelamerikanischen Raum gemausert.
Davon war allerdings nicht die Rede, als wir uns mit einer Spitzengeschwindigkeit von 40 km/h bei Salinas de Nahualapa im Departamento Rivas der Pazifikküste näherten. Bei über 40 Grad im Schatten schien es als hätten die BewohnerInnen dieser Indígena-Gemeinde außer ihrem eigenen Schweiß noch nie einen Tropfen Wasser gesehen. Es war nun schon das dritte Jahr, dass die Ernte nicht ausreichte, um die Bevölkerung mit den notwendigsten Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Kein Wunder, dass selbst das Salzwerk, das dem Ort den Namen gegeben hatte, in Konkurs gegangen war.
„Nichts geht mehr“, klagte der alte Gemeindevorsteher, der sichtlich schon bessere Zeiten erlebt hatte, „wenn nicht bald der Kanal kommt und Arbeitsplätze schafft, gehen wir hier vor die Hunde.“ Doch der interozeanische Kanal, dessen Mündung im nahegelegenen Brito gebaut werden sollte, läßt auf sich warten. Und warten ist auch die Hauptbeschäftigung der Indígenas, die zu Millionen im trópico seco leben, seitdem der Klimawandel in Zentralamerika voll zugeschlagen hat.
Der cambio climático (Klimawandel) war seit Jahrzehnten allseits bekannt und ist unter den Bauern zum geflügelten Wort geworden, doch dagegen etwas unternommen hat kaum jemand – mit einer Ausnahme: Bereits bald nach der Wiederwahl des Sandinistenkommandanten Daniel Ortega zum nicaraguanischen Staatspräsidenten im Jahr 2007 machte sich die Regierung daran, das an erneuerbarer Energie (Sonne, Wasser, Wind und Biomasse) reich dotierte Land umzupolen. Während Nicaragua als Mitglied der vom verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez ins Leben gerufenen ALBA (Alianza Bolivariana de las Americas) einerseits in den Genuss billigen Erdöls kam, begann die sandinistische Regierung mit dem Bau von Wasserkraftwerken im Norden und den so genannten „Windparks“ (parques eólicos) im Süden des Landes. Etwas später wurde mit Hilfe dänischer EntwicklungsexpertInnen auch die thermische Energie der vulkanreichen Erde genutzt und auch die Solarpannels kamen in Mode.
Unabhängigen Quellen zufolge wird derzeit 81,7 Prozent des Bedarfs an Elektrizität durch erneuerbare Energien gedeckt. Davon entfallen auf die Windenergie 31 Prozent, Wasserenergie 27,5 Prozent und Geothermik 23,2 Prozent.
Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon Ende Juli 2014 Nicaragua besuchte, war er so begeistert, dass er sagte, die ganze Welt möge sich ein Beispiel an Nicaragua nehmen und bis zum Jahr 2030 ihren Energiebedarf hauptsächlich mit erneuerbaren Energien abdecken. Die nicaraguanische Regierung wiederum erklärt, bis 2017 90 Prozent des Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien abdecken zu können. Bis dahin soll nämlich das Wasserkraftwerk El Tumarín fertiggestellt sein, dessen Bau im Vorjahr begonnen hat.
Wie dem immer auch sei: es bleibt zu hoffen, dass die enormen Wasserressourcen, über die das Land verfügt, auf Umwegen auch der verarmten Indígena-Gemeinde von Salinas de Nahualapa zu Gute kommen wird. Ein erstes Zeichen dafür ist jedenfalls das strategische Projekt, in Bobobké an der von Indígenas besiedelten Atlantikküste Nicaraguas, ein weiteres Wasserkraftwerk zu errichten.
Leo Gabriel ist Journalist, Anthropologe und Mitglied des Internationalen Rates des Weltsozialforums.