Rechercheliste zu SDGs – eine Halbzeitbilanz

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Infos und Input rund um die SDGs zu „Halbzeit“.

Hintergrund: Die SDGs wurden am 25. September 2015 im Rahmen der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung von der Generalversammlung der Vereinten Nationen von allen 193 Mitgliedstaaten verabschiedet.
Sie folgten den MDGs, den Millenium Development Goals, und sollen bis 2030 einen globalen in unterschiedlichsten Bereichen bringen.

Die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung umfassensoziale, ökologische und ökonomische Aspekte.
Sie sind in weitere 169 Unterziele (Targets) unterteilt. Es wurde erkannt, dass verschiedene Probleme überall und gleichzeitig angegangen werden müssen und nicht regional oder thematisch beschränkt sein sollten. Alle Ziele gelten für alle Länder. Die Verantwortung für die Umsetzung der Ziele liegt also sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene.

Zum vollständigen Resolutionstext in deutscher Übersetzung

Themen und Fragestellungen

Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und auch die Verwerfungen rund um die russische Invasion in die Ukraine hatten starke negative Folgen für Millionen Menschen weltweit – Stichwort Armut – , besonders im Globalen Süden; und die Krisen beeinflussen das Verhältnis Globaler Süden und Norden, ein großes Thema dabei war etwa die Verteilung von Covid-Vakzinen.


Auf der anderen Seite wurden die SDGs im vor dem Hintergrund dieser aktuellen multiplen Krisen und globalen Herausforderungen noch wichtiger. Denn sie zeigen Lösungen auf, wie man aus dem Krisenmodus herauskommen und etwa Ungleichheit bekämpfen kann.

  •  Bei welchen SDGs wurde der Fortschritt im Zuge der multiplen Krisen besonders zurückgeworfen? Bei den SDGs 1 (Keine Armut) und 2 (Kein Hunger) etwa gilt jedenfalls großer Handlungsbedarf!

  • Was braucht es jetzt, damit der Plan bis 2030 hält?

  • Wo liegt Österreich, auch im Vergleich mit anderen Ländern?

  • Wie ist die Überprüfung des Rechnungshofes – Bericht Anfang 2022 – einzuordnen? Der Rechnungshof stellte im Rahmen einer Follow-up-Überprüfung fest, „dass das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium für euro­päische und internationale Angelegenheiten von 13 überprüften Empfehlungen des Vorberichts fünf umsetzten, zwei teilweise und drei nicht umsetzten. Bei zwei Empfehlungen sagten sie die Umsetzung zu. Für eine Empfehlung gab es keinen Anwendungsfall“. (mehr dazu siehe Kontakte/Quellen unten)

  • Wie kann man die SDGs, als ersten Schritt, wieder stärker in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bringen?

  • „Die Krise als Chance“ – was hat sich verändern, was man für die Erreichung der SDGs nun anwenden kann – vgl. Reaktionen und Resilienz der Menschen

  • Wie lässt sich der Fortschritt der SDGs überhaupt messen?

  • Sind die Ziele, die 2015 unter ganz anderen Umständen als heute formuliert wurden, noch zeitgemäß?

  • Entspricht das klare Bekenntnis zu Wirtschaftswachstum (SDGs 8) noch der Realität in Zeiten der Klimakrise und wachsender Ungleichheiten zwischen globalem Norden und Süden?
Institutionen, Expert*innen, und Organisationen, zusätzliche Quellen

UNIS ist das United Nationen Info Service, die UN-Infostelle in Wien: http://www.unis.unvienna.org/
Direktor Martin Nesirky
Tel: +43-1 26060-4666
http://www.unis.unvienna.org/unis/de/about/contact_us.html

Österreichische Bundesregierung
In der Bundesregierung sind die SDGs im Kanzleramt angesiedelt:
Abteilung IV/4
Ballhausplatz 2, 1010 Wien
E-Mail: sdg@bka.gv.at
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/nachhaltige-entwicklung-agenda-2030.html

Rechnungshof
Der Rechnungshof prüft laufend die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Österreich.
Rechnungshof
Tel.: +43 1 711 71 – 8946
E–Mail info@rechnungshof.gv.at

Der SDG-Überprüfungsbericht aus dem Februar 2022 zum Download

SDG Watch Austria
SDG Watch Austria ist ein Zusammenschluss von mehr als 220 zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen Organisationen. Sie setzen sich gemeinsam für eine ambitionierte Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) in Österreich ein.

Für die Koordination der Plattform SDG Watch Austria sind Caroline Krecké (vom ÖKOBÜRO) und Karin Kuranda (AG Globale Verantwortung) zuständig.
Anfragen an info@sdgwatch.at

Die Wissenschaftlerin Helga Kromp-Kolb ist auch in Sachen SDGs eine sehr empfehlenswerte Ansprechpartnerin: helga.kromp-kolb@boku.ac.at

UniNEtZ
Wissenschaftler*innen aus diversen Fachbereichen haben sich zusammengeschlossen, um einen Beitrag zur Umsetzung der SDGs zu leisten. „Genauso wie die SDGs in vielfacher Weise miteinander verbunden sind und nur auf inter- und transdisziplinäre Weise umgesetzt werden können, repräsentiert UniNEtZ ein breites Spektrum an Expertise aus Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik, Kunst und Musik“, so die Beschreibung der Initiative.
www.uninetz.at
koordination@uninetz.at

Ingomar Glatz
Tel: +43 512 507 54045

Annemarie Schneeberger & Franziska Allerberger
Tel: +43 512 507 54072

Hannah Geuder
Tel: +43512 507 54053

Institut für Geographie, Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck

Drei Jahre lang hat das UniNEtZ an Optionen gearbeitet, wie die SDGs in Österreich umgesetzt werden können. Diese wurden am 1. März 2022 an die Österreichische Bundesregierung übergeben.


UniNEtZ–Optionenbericht:
Österreichs Handlungsoptionen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für eine lebenswerte Zukunft
https://www.uninetz.at/optionenbericht

Rebels of Change
Unabhängige Initiative zivilgesellschaftlicher Organisationen in Österreich. Gemeinsames Ziel ist es, mit der Kampagne die SDGS stärker ins Rampenlicht zu rücken: www.rebels-of-change.org

Ban Ki-Moon Centre
Das Ban Ki-Moon Centre mit einem Büro in Wien hat sich stark der Umsetzung der SDGs verschrieben. Co-Chairs der Organisation sind Ban Ki-Moon, der frühere UN-Generalsekretär, und Heinz Fischer, vormalig Bundespräsident von Österreich.
office@bankimooncentre.org
Pressekontakt:
Katharina Choe, Communications Officer
katharina.choe@bankimooncentre.org

Dachverband Globale Verantwortung
Der Dachverband GLOBALE VERANTWORTUNG – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe vertritt national und international die Interessen von 34 österreichischen Nichtregierungsorganisationen, die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, entwicklungspolitische Inlandsarbeit, Humanitäre Hilfe sowie nachhaltige globale wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung tätig sind.

Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
Die ÖFSE ist eine österreichische Forschungs- und Informationseinrichtung zu Fragen des Globalen Südens, der Entwicklungszusammenarbeit und der Entwicklungspolitik. Die ÖFSE wurde 1967 gegründet und steht allen entwicklungspolitisch interessierten Personen, öffentlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung.

Austrian Development Agency
Armut reduzieren, Frieden fördern und die Umwelt schützen – das sind die drei Hauptanliegen der Austrian Development Agency (ADA), der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Das Budget der ADA stellt das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten zur Verfügung.
Übersicht über die Projekte der ADA

Scientists for Future
Wissenschaftler*innen aller Disziplinen, die die Anliegen von Fridays for Future unterstützen. Im März 2019 haben sich über 26.800 Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum, davon über 1.800 aus Österreich), zu S4F zusammengeschlossen.

klimadashboard.at
Daten und Fakten zur Klimakrise in Österreich anschaulich aufbereitet.

Netzwerk Klimajournalismus Das Netzwerk Klimajournalismus ist eine medienübergreifende Initiative. Ziel ist es, Journalist:innen und Medienschaffende, die sich mit Themen rund um Klima- und die ökologische Krise beschäftigen (wollen), zu vernetzen. Das geschieht durch monatliche Treffen (mit verschiedenen Gästen aus Journalismus und Wissenschaft), Veranstaltungen (Podiumsdiskussionen etc.), Workshops (mit fjum, KfJ etc.) und informelle Stammtische. 

Der Globale Süden verschwindet immer mehr aus dem Medienfokus

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„Das größte lösbare Problem der Welt“ und das Verschwinden der 85 Prozent. Ein Kommentar von Ladislaus Ludescher .

Die Situation ist dramatisch: Laut dem aktuellen Welternährungsbericht der UNO beläuft sich die Zahl der chronisch Hungernden weltweit auf bis zu 828 Millionen Menschen. Damit hungert etwa jeder zehnte Mensch; mehr als zwei Milliarden Menschen leiden unter Mangelernährung. Alle 13 Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger – in einem Jahr also fast 2,5 Millionen Kinder.

85 Prozent der Menschen auf der Welt leben im Globalen Süden. Was starkes Befremden hervorruft ist, dass dramatische Katastrophen wie der globale Hunger, die sich dort ereignen, medial nur randständig oder erst gar nicht aufgegriffen werden.

Es erscheint besorgniserregend, wenn die Mitteilung, dass mindestens 10 Millionen Kinder durch eine schwere Dürre am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht sind (so UNICEF am 25. April 2022), es nicht nur nicht in die Topmeldung des Tages, sondern erst gar nicht in die Nachrichten schafft. In der deutschen „Tagesschau“ wurde in der ersten Jahreshälfte 2022 mehr über die britischen „Royals“ berichtet als über die globale Hungerkrise und über den Sport mehr als über den gesamten Globalen Süden.

Dabei ist die Lösung des globalen Hungerproblems ein wichtiger Schlüssel zur Lösung zahlreicher anderer Probleme, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres unterstrich. Anlässlich der Vergabe des Friedensnobelpreises an das Welternährungsprogramm im Jahr 2020 erklärte er: „We know that achieving zero hunger is an imperative for peace. A hungry world is not a peaceful world.“

Die aktuelle Hungersituation ist ausgesprochen beunruhigend, aber besonders aufwühlend erscheint die Lage, weil es sich hierbei um ein durchaus lösbares Problem handelt. In der Tat bezeichnete das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen Hunger als „das größte lösbare Problem der Welt“. Denn dass es auch anders geht, zeigen die Erfolge der Bekämpfung des globalen Hungers in den vergangenen Jahrzehnten. Seit 2003 sank die Zahl der Hungernden von fast 950 Millionen kontinuierlich auf 780 Millionen im Jahr 2015. Nun, auch infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie, steigen sie wieder.

Hunger und Armut gehen Hand in Hand. Drei Voraussetzungen erscheinen essentiell bei der Lösung des globalen Problems: Zunächst ein stabiler Geldfluss: Während zum Beispiel im Jahr 2020 auf der Welt fast 2.000 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben wurden, belief sich die Summe für die Bekämpfung des Hungers auf lediglich ca. 12 Milliarden Dollar.

Darüber hinaus braucht es eine politische und öffentliche Bereitschaft, die Lage zu ändern. Solange Katastrophenmeldungen wie jene, dass täglich mehr als 6.600 Kinder unter fünf Jahren verhungern, für alltäglich genommen werden und ihren Status als berichtenswerte Nachricht verlieren, wird dieses fundamentale Problem politisch nur randständig betrachtet und ist im alltäglichen Bewusstseinshorizont der Menschen nicht existent.

Schließlich sind nicht zuletzt die Medien aufgefordert, das Thema mit nicht erlahmender Alltagsresistenz immer wieder in den öffentlichen Diskurs einzubringen und auf das Problem aufmerksam zu machen. Wie lange könnte sich die Politik der Lösung des „größten lösbaren Problems der Welt“ verweigern, wenn die führenden Medien die globale Armut und den Hunger zu ihrem Topthema machen würden? Die entscheidende Frage lautet daher nicht nur, wie viel Geld uns eine Welt ohne Armut und Hunger wert ist, sondern auch, wie viel mediale Zeit und Aufmerksamkeit.

Die vollständige Studie „Vergessene Welten und blinde Flecken“, eine Unterschriftenpetition sowie Informationen zu einer auf der Untersuchung beruhenden Poster-Wanderausstellung können eingesehen bzw. heruntergeladen werden unter: ivr-heidelberg.de

Ladislaus Ludescher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Er hat Germanistik, Geschichte und Europäische Kunstgeschichte studiert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Analyse von Medien.

AVISO: PK der Klima-Allianz – Erwartungen und Forderungen an die COP27

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Einladung zur Online-Pressekonferenz der „Allianz für Klimagerechtigkeit“ im Vorfeld der UN-Klimakonferenz – Donnerstag, 3. November um 10 Uhr via Zoom

Anfang November startet die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27) in Sharm El-Sheikh, Ägypten und damit auf dem Kontinent, der mitunter am meisten von der Klimakrise betroffen ist. Obwohl Afrika nur für drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich ist, spürt die Bevölkerung bereits jetzt die dramatischen Auswirkungen der Erderwärmung: Dürren, Fluten und tropische Stürme zerstören Existenzen, führen zu Vertreibung, Hunger und Armut. Es bleibt keine Zeit mehr für leere Versprechen der größten Industrienationen. Klimaschutzmaßnahmen und -finanzierung müssen jetzt beschlossen werden – auch Österreich ist gefragt.

Worum es bei der COP27 geht und welche Erwartungen und Forderungen die „Allianz für Klimagerechtigkeit“ an die Klimakonferenz hat, informieren in einem Online-Pressegespräch am 3. November um 10 Uhr:

  • Marlene Achoki, Klimaexpertin, CARE Climate Justice Center Kenia
  • Joachim Raich, Sprecher für Klimagerechtigkeit, Südwind
  • Thomas Zehetner, Klimasprecher WWF Österreich
  • Martin Krenn, Referent für Klimapolitik, Koordinierungsstelle der österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO)

Für die Teilnahme registrieren Sie sich bitte HIER.

Rückfragen & Kontakt:

Alexa Lutteri, MA BSc
Pressesprecherin WWF Österreich
+43 676 834 88 240
alexa.lutteri@wwf.at

Onlineveranstaltung: PERSPEKTIVEN UND EINBLICKE ZU JOURNALISMUS IM GLOBALEN SÜDEN

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Ein Austausch mit Umweltjournalist Mike Anane (online-Zuschaltung aus Accra/Ghana).

Im Hinblick auf die wachsende Herausforderung der Klimagerechtigkeit und damit zusammenhängenden Fragen kommt dem Journalismus eine wichtige Rolle zu: eine gut informierte Öffentlichkeit, besser informierte politische Entscheidungsträger*innen und eine effektivere Politikgestaltung sind erforderlich. Dies gilt für den Globalen Norden wie auch den Globalen Süden.

Mike Anane, Umweltjournalist aus Ghana, freut sich darauf, seine Sichtweise zu den Herausforderungen, Möglichkeiten und Empfehlungen für die Praxis des Umweltjournalismus im Süden im Zusammenhang mit der Klimagerechtigkeit zu erläutern.

Wenn im Globalen Norden von den Auswirkungen der Klimakrise berichtet wird, kommen oft Bilder aus dem Globalen Süden zum Einsatz: Dürre Böden, überflutete Städte und verzweifelte Menschen werden gezeigt. Was die Menschen im Globalen Süden dazu zu sagen haben, wie sie die Entwicklungen sehen, wie sie ihr Leben daran anpassen, oder was sie fordern und was sich aus ihrer Sicht ändern muss, wird selten angesprochen. Dabei ist klar, dass die Klimakrise ein globales Phänomen ist, dass nur angegangen werden kann, wenn man den Globalen Süden miteinbezieht und einen Perspektivenwechsel vollzieht. 

Thematisiert werden u.a. folgende Aspekte:
Wie werden die Folgen von Umweltkrisen wie der Klimakrise in den afrikanischen Ländern in den Medien behandelt?
Wie sprechen Politiker*innen in den Medien darüber und wie kommt das bei den Menschen an?
Wie berichten westliche Medien über Zustände in Afrika?
Was sollten Journalist*innen aus dem Globalen Norden im Blick haben, wenn sie über Menschen im Globalen Süden berichten?
Journalist*innen im Globalen Süden und ihre Wahrnehmungen des Globalen Nordens

10. November, 18-19:30 Uhr
Sprache: Englisch
Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an Journalist*innen.
Anmeldung bis 3.11.2022: sbg@suedwind.at und Info

Mike Anane: Umweltjournalist aus Ghana Preisträger-United Nations Environment Programme, Global 500 Roll of Honour 

Eine Veranstaltung von Südwind im Rahmen von 1Planet4All in Kooperation mit der Radiofabrik.

Podiumsgespräch: Fluchtursache Klimawandel?! 

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Eine Veranstaltung des VIDC mit den Klima- und Migrationsexpert*innen Paula Banerjee, Pato Kelesitse, Simon Bunchuay-Peth und Daniela Paredes Grijalva.

Do., 10. November 2022, 19:00 – 21:00 Uhr
Hauptbücherei am Gürtel, Urban Loritz-Platz 2a, 1070 Wien
Veranstaltungssprachen: Englisch und Deutsch mit Simultandolmetschung

Auch wenn wir alle den Klimawandel spüren, wirkt er sich doch ungleich aus, je nachdem, wo wir leben. Besonders betroffen sind ärmere Länder im Globalen Süden, die sich weniger vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe schützen können. Diese Problematik ist auch Thema der 27. Weltklimakonferenz (Cop 27), die vom 7. – 18. November im ägyptischen Sharm El Sheikh stattfindet. Bei der Konferenz geht es darum, die globalen Klimaschutzmaßnahmen durch Emissionsreduzierung zu beschleunigen und verstärkt Anpassungsbemühungen in den ärmsten Ländern dieser Welt auf den Weg zu bringen. 

Die indische Migrationsforscherin Paula Banerjee, Pato Kelesitse vom South African Climate Action Network und der Wiener Forscher Simon Bunchuay-Peth werden über Migration im Kontext des Klimawandels diskutieren, ausgehend von Ansätzen, die auf Klima-, Gender- und soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind.

Mehr Info und Anmeldung

Veranstaltungseinladung: Globale Ungleichheiten – die Entwicklungstagung #ET2022

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Zwei VIDC-Foren zu Steuern und Klimagerechtigkeit und eine VIDC-Aktion rund um den EU-„Klimazoll“ am 12. November 2022.

Die ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen ist kein neues Phänomen. Doch die derzeitigen Krisen verschärfen bereits vorhandene Ungleichheiten. Dazu zählen die durch die COVID19-Pandemie verstärkten Schieflagen, die Klimakatastrophe und die aktuellen militärischen Konflikte wie der Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Diesen globalen Ungleichheiten ist die 8. Österreichische Entwicklungstagung gewidmet. Sie bietet als österreichweit größte Veranstaltung zu Entwicklungspolitik Raum für Debatte und Reflexion – zwischen engagierter Wissenschaft und kritischer Zivilgesellschaft zum einen, und zwischen globalem Norden und Süden zum anderen.

Bei der #ET2022 wird das VIDC in Kooperation mit WIDE zwei Foren gestalten. Ein Forum ist Steuern gewidmet, die Ungleichheiten verstärken aber auch stark vermindern können.

Das zweite Forum widmet sich dem Thema Ungleichheit im Kontext von Migration und Klimawandel. Zu beiden Foren haben wir interessante Expert*innen aus dem Globalen Süden eingeladen. Mehr lesen …

12. November , 14:30 – 19:00 Uhr
Johannes Kepler University Linz, Altenberger Straße 69, 4040 Linz
Anmeldung bis 8. November hier.


Zur Klimadebatte haben wir noch einen anderen Beitrag geleistet: Gemeinsam mit anderen NGOs aus Europa und Afrika haben wir uns in die Verhandlungen um den künftigen EU-„Klimazoll“ eingemischt. Dazu haben wir auch einen brandneuen VIDC Policy Brief veröffentlicht. Mehr dazu hier.

Veranstaltungseinladung: Klimagerechtigkeit geht uns alle an, und jede:r kann dazu beitragen!

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Die Klimaaktivistin Susan Nanduddu wird interessante Perspektiven der Klimagerechtigkeit aus ihrer Arbeit in ihrem Heimatland Uganda präsentieren; außerdem sind spannende Impulsvorträge sowie viel Raum für Diskussionen geplant. Auch aus dem Klimaministerium, Fridays for Future und anderen NGOs werden Gäste mit dabei sein.

Online-Veranstaltung zum Thema Klimagerechtigkeit
29. November 2022 von 17-20 Uhr

Die Veranstaltung wird auf Englisch abgehalten, um einen möglichst guten Austausch mit Susan Nanduddu zu ermöglichen.

Die Break-out Sessions mit Ausnahme jener mit Frau Nanduddu werden auf Deutsch abgehalten. Wir würden uns sehr über Ihre Teilnahme freuen.

Anmeldung: office@klima-kollekte.at

Martina Luger
Program Coordination Climate Finance
Sector Coordination Rural Development, Management of Natural Resources
HORIZONT3000, Wilhelminenstraße 91/ II f, 1160 Wien
+43 1 5030003, martina.luger@horizont3000.at
www.horizont3000.at

PA: Brasilien zwischen Abgrund und vorsichtiger Hoffnung

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Die Brasilianer*innen haben am Sonntag nicht nur die Wahl zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten. Das Land steht vielmehr an einem Scheideweg. Führt eine Wiederwahl Bolsonaros zu ungarischen Zuständen? Oder gelingt es Lula da Silva der Entwicklung des größten lateinamerikanischen Landes eine grundlegende Wendung zu geben? Dazu nehmen zwei renommierte Wissenschafter*innen und Brasilien-Expert*innen in der folgenden Pressemitteilung von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ Stellung.

[Wien, 27.10.2022] Die beiden Kontrahenten stehen sich zwar zum ersten Mal direkt bei einer Wahl gegenüber, ihre konträren politischen Zielsetzungen sind aber in der politischen Praxis schon vorher kollidiert, wie ein Blick in die jüngste brasilianische Geschichte zeigt.

Die beiden Regierungen von Ex-Präsident Lula da Silva (2003-2011) haben die brasilianische Gesellschaft, die von jahrhundertelanger Sklaverei und von tiefer sozialer und ethnischer Ungleichheit geprägt ist, eine Spur gerechter gemacht. Durch Quotenregelungen an Universitäten und im öffentlichen Dienst, durch neue Lehrpläne, die afrobrasilianische Geschichte in den Unterricht einbeziehen müssen, wurden Sklaverei und struktureller Rassismus stärker thematisiert. Zumindest wurde der nationale Mythos der sogenannten „Rassendemokratie“, des vermeintlich harmonischen Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer Gruppen, erstmals kritisch hinterfragt. Die Sozialtransferprogramme der Regierungen Fernando Henrique Cardoso, Lula und Dilma Rousseff kamen vor der Finanzkrise von 2013 etwa 40 Millionen Menschen zugute.

Ursula Prutsch, Professorin an der LMU-München, verweist darauf, dass die Regierung Bolsonaro die Reformen von Lula offensiv in die Gegenrichtung steuerte: „Sie hat mit ihrer katastrophalen Wirtschaftspolitik und ihrem Versagen im Covid-Management mindestens 30 Millionen Menschen in bittere Armut gedrückt.“ Trotzdem hat Bolsonaro gerade auf dem Land, in Süd- und Westbrasilien und im Amazonas-Gebiet eine große Anhängerschaft, die seinen lockeren Umgang mit Waffen, sein aggressives Auftreten und seine Modernisierungspolitik auf Kosten der Natur gut findet.

„Umweltpolitik spielt in Brasilien, dem Land, das die ‚Pioniere‘, die rücksichtslosen Bezwinger des Urwalds noch immer glorifiziert, eine sehr geringe Rolle,“ so Andreas Novy, Sozioökonom und Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development an der WU Wien. Er meint: „Der zweite Wahldurchgang bleibt spannend. Lula gelang zwar ein ähnlich breites Bündnis wie Van der Bellen vor wenigen Wochen in Österreich. Es ist aber unklar, ob Bolsonaro mit milliardenschwerem Stimmenkauf auf Staatskosten, Fakenews und evangelikaler Unterstützung nicht trotzdem Erfolg haben wird.“

Der erste Durchgang der Wahlen brachte große Erfolge für Bolsonaros Verbündete in den Bundesstaaten und bei den Kongress- und Senatswahlen. Jair Bolsonaro hat damit die Institutionen des Staates sowie die sozialen Medien erfolgreicher als erwartet genutzt, um seine Macht abzusichern. „Gewinnt er auch die Stichwahl, dann könnte dies das Ende der liberalen Demokratie in Brasilien bedeuten: Impeachment unangenehmer Richter, Entlassung regierungskritischer Beamter, vor allem in Justiz und Polizei, Zerschlagung von Wissenschaftseinrichtungen sowie ungeahndete politische Gewalt wären wahrscheinliche nächste Schritte“, so Andreas Novy. Außerdem würde die Amazonaszerstörung fortgesetzt, mit der Aussicht, dass der Regenwald noch früher als befürchtet zur Savanne werden könnte – mit verheerenden Folgen für das Weltklima.

Wiewohl die Chancen weiterhin gut stehen, dass Bolsonaro die Stichwahl verliert, ist damit die Zukunft des brasilianischen Regenwaldes und der indigenen Bevölkerung höchst ungewiss. Sollte Lula die Wahlen gewinnen, wird es nämlich viel Geschick bedürfen, einen Kurswechsel einzuleiten. So stehen im Amazonas fast alle Gouverneure Klimapolitik ablehnend gegenüber.

Besonders wichtig ist laut den beiden Expert*innen, den Rechtsstaat und Wissenschaft zu verteidigen und kurzfristig Löhne und soziale Infrastrukturen zu verbessern. Die Chancen für einen nachhaltigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel sind nach dem ersten Durchgang der Wahlen jedoch deutlich gesunken. Bolsonaros Anhänger erzielten große Erfolge bei den Gouverneurs-, Senat- und Kongresswahlen. Andreas Novy meint dazu: „Lula wird in einer möglichen dritten Amtszeit vor allem bestehende Institutionen der liberalen Demokratie verteidigen müssen. Sein an sich linkes Programm ist stark sozialpartnerschaftlich geprägt und erhielt im zweiten Durchgang breite Unterstützung auch durch Konservative: Viele nehmen trotz ideologischer Differenzen Lulas Einladung an, „ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen“ – aus Angst vor Bolsonaro. In diese Richtung wies schon die Wahl des Vizepräsidentschaftskandidaten. Geraldo Alckmin ist ein erfolgreicher konservativer Politiker, der Lula 2006 in der Präsidentschaftswahl unterlag. Jedoch wird es schwierig, gleichzeitig gesellschaftliche Gräben zu überwinden und einen Politikwechsel, vor allem in Umwelt- und Sozialpolitik, rasch einzuleiten. Aus heutiger Sicht ist unklar, ob dies gelingen wird.“

„Außenpolitisch besteht eine der größten Herausforderungen darin, die untergeordnete und zerstörerische Integration Brasiliens in den Weltmarkt zu verändern und der Ausbeutung seiner Ressourcen durch den globalen Norden Grenzen zu setzen“, sagt Novy. Ob und wie dies gelingen soll, ist fraglich. Auch Ursula Prutsch weist auf die Herausforderungen und Begrenzungen eines möglichen dritten Lula-Projektes hin: „Lula muss den massiven Umweltzerstörungen Einhalt gebieten und den Militärs entgegenkommen, die im Amazonasraum institutionell und sicherheitspolitisch sehr präsent geworden sind – möglicherweise durch Posten oder Rüstungskäufe wie 2009.“ Und weiter: „Lula, der mit Parteien der Mitte und wirtschaftsliberalen Parteien eine Koalition eingehen wird, müsste dafür sorgen, dass die Arbeiterpartei PT weniger bevormundend von oben agiert, ethnisch inklusiver wird und wieder stärker basisdemokratisch agiert. Außenpolitisch müsste er versuchen, das Image Brasiliens als diplomatische Verhandlungsmacht zwischen großen Industrienationen und dem sogenannten ‚globalen Süden‘ zu rehabilitieren, das Brasilien international Wertschätzung gebracht hat.“

Ursula Prutsch studierte Geschichte und Spanisch in Graz und habilitierte sich an der Universität Wien. Sie forscht und lehrt lateinamerikanische und US-amerikanische Geschichte am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München: ursula.prutsch@lmu.de

Andreas Novy ist Sozioökonom und leitet das Institute for Multi-Level Governance and Development an der WU Wien. Er forscht unter anderem zu Lateinamerika und Brasilien sowie zu Fragen sozial-ökologischer Transformation und sozioökonomischer Entwicklung: andreas.novy@wu.ac.at

Rückfragehinweis:
Dr. Alexander Behr
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
+43 650 34 38 37 8
alexander.behr@univie.ac.at

Danyal Maneka, BA MA
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
+43 650 30 11 273
maneka@diskurs-wissenschaftsnetz.at

PA: Nachhaltige Stadtentwicklung aus vielen Perspektiven beleuchtet – das war die EZA-Tagung der Stadt Wien

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Südwind und die Stadt Wien luden am 21. Oktober zum Talk mit fünf internationalen Expert*innen in den Wappensaal des Wiener Rathauses

Im gediegenen Ambiente des Wappensaales trafen am Freitag Botschafter*innen, Architekt*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Verwaltungsangestellte aus allen Bereichen der Stadt Wien und Interessierte zusammen, um mehr über zukunftsfähige Ideen und konkrete Fallbeispiele zu nachhaltigem Städtebau zu erfahren.

Ian Banerjee ist Stadtforscher der TU Wien und seit 20 Jahren auf der Suche nach Erfolgsgeschichten in der Stadtplanung, denn er weiß um die Wirkung eines guten Narrativs. Die größte transformative Kraft sieht er dabei in sozialen und digitalen Netzwerken – in Plattformen für partizipative Innovation. Dadurch kann Potential entfaltet werden, Lösungen mitzugestalten und sich direkt an der öffentlichen Verwaltung zu beteiligen.

Hannes Lagrelius führte in die Arbeit der World Blind Union (WBU) ein, für die er in Nairobi arbeitet. Die WBU ist die globale Interessenvertretung blinder und sehbeeinträchtigter Menschen mit Berater-Status bei den UN-Organen. Der Bedarf an integrativen und barrierefreien Infrastrukturen und Dienstleistungen wird weiter ansteigen – 2050 werden über zwei Milliarden Menschen mit Behinderungen in städtischen Gebieten wohnen. Lagrelius geht es um eine kontinuierliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Menschen mit Beeinträchtigungen.

Karin Küblböck, Ökonomin und Senior Researcherin bei der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung, stellte die konkrete Vorgangsweise partizipativer Stadtentwicklungsprozesse in zwei Städten in Indien und Jordanien vor. Für sie ist es essentiell, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausgebaut wird, damit Forderungen an die Politik gestellt werden können, die zielführend sind. Breites Wissen muss zusammenkommen, um die Herausforderungen in der konkreten Situation zu meistern. „Dazu muss die Wissenschaft aber auch lernen, das Wissen auf breiter Basis zu vermitteln“, so Küblböck.

Im Anschluss sprach Julian Baskin, Direktor für Stadtentwicklung bei Cities Alliances, einer globalen Partnerschaft, die städtische Armut bekämpft und Städte dabei unterstützt, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Baskin konzentrierte sich bei seiner Keynote auf Städte in Afrika, da der Kontinent fast so urbanisiert ist wie China und genauso viele Städte mit über einer Million Einwohner*innen aufweist wie Europa. Zentral für ihn ist, dass nachhaltige Stadtentwicklung auch mit der Schaffung von menschenwürdiger Arbeit einhergeht: „No one comes to a city looking for a toilet. They come looking for a job. This is essential.”

Als letzte Rednerin wurde Sarah Habersack live aus Brasilien zugeschalten. Sie leitet dort den strategischen Bereich „Urbaner Wandel“ für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). In ihren Beispielen zeigt sich, dass die Lösungen für Probleme innerhalb der Städte selbst zu finden sind und dass diese Lösungen immer häufiger in naturbasierten Ansätzen liegen. Für Habersack ist es zentral, dass städtische Verwaltung offen und partizipativ umgesetzt wird und die Rolle des öffentlichen Sektors als Manager und Mediator des digitalen Wandels in Städten darstellt. Darüber hinaus braucht es neue Formen der Führung und die Führungsspitze muss weiblicher und diverser werden, wenn sie die Probleme der Zukunft lösen möchte.

Auch wenn alle fünf Expert*innen aus ihrer jeweiligen Perspektive das Thema „Nachhaltige Städte – Leaving no one behind“ beleuchteten, gab es doch eine bemerkenswerte Einigkeit: Partizipation ist ein wesentlicher Faktor für nachhaltige Transformation in Städten. Es braucht demnach Räume, in denen möglichst diverse Gruppen miteinander reden, Gemeinsames bewirken und Verantwortung übernehmen.

Hier geht es zur Bildgalerie

Copyright: Cornelia Hartung

Kontakt und Rückfragehinweis:

Olivia Tischler
Regionalstelle Wien
Tel.: 01 / 405 55 15 – 327
E-Mail: olivia.tischler@suedwind.at

www.suedwind.at/wien

PA: Katar: Einen Monat vor WM weiterhin zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, Entschädigungsforderungen bleiben offen

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Einen Monat vor dem Anpfiff der Fußball-WM sind Menschenrechtsverletzungen in Katar weiterhin weit verbreitet, so Amnesty International am 20.10. in einem neuen Bericht. Die katarischen Behörden müssen die versprochenen Arbeitsreformen im Anschluss an die WM und darüber hinaus einhalten, fordert die Menschenrechtsorganisation.

In einem kürzlich erschienen Statement fordern zahlreiche NGOs, darunter auch Amnesty International, die FIFA erneut auf, einen Entschädigungsfonds für Arbeitsmigrant*innen einzurichten. Bislang gibt es von Seiten der FIFA jedoch kein Bekenntnis, die Menschenrechtsverletzungen, die im Vorfeld der WM in Katar begangen wurden, angemessen zu entschädigen.

Die Überarbeitung des katarischen Arbeitssystems hat seit 2017 zu einigen merklichen Verbesserungen für die zwei Millionen im Land arbeitenden Arbeitsmigrant*innen geführt; Hunderttausende von ihnen arbeiten in Projekten, die für die Fußball-WM wichtig sind. Dennoch untergräbt ein Mangel an effektiver Umsetzung und Durchsetzung der Reformen die positiven Auswirkungen auf die Arbeitsmigrant*innen.

So sehen sich Tausende Arbeiter*innen auf Baustellen mit oder ohne WM-Bezug immer noch Problemen gegenüber wie verspäteten oder gar nicht gezahlten Löhnen, dem Wegfall von Ruhetagen, unsicheren Arbeitsbedingungen, Behinderungen bei einem Jobwechsel sowie wenigen Möglichkeiten, gegen all diese Verstöße rechtliche Schritte einleiten zu können. Tausende von Todesfällen von Arbeitsmigrant*innen sind weiterhin ungeklärt.

„Obwohl Katar in den vergangenen fünf Jahren wichtige Schritte in Richtung einer Verbesserung der Rechte der Arbeitsmigrant*innen gemacht hat, ist es ganz offensichtlich, dass man hier bei weitem noch nicht stehenbleiben kann. Tausende Arbeitsmigrant*innen befinden sich wegen legaler Schlupflöcher und unzureichender Reformumsetzungen immer noch in der allzu bekannten Spirale von Ausbeutung und Missbrauch“, sagt Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.

Amnesty International fordert die katarischen Behörden eindringlich auf, die Arbeitsschutzmaßnahmen zu verbessern und durchzusetzen, die Rechte der Arbeitsmigrant*innen zu stärken, fairen Lohn für die geleistete Arbeit zu zahlen und den Zugang zur Justiz und zu Entschädigungen zu ermöglichen.

„Trotz der großen und wachsenden Unterstützung von Fans, Fußballvereinen und Sponsor*innen für die Entschädigung von Arbeitsmigrant*innen, bewegt sich weder in Katar noch bei der FIFA etwas. In einem Monat beginnt die Fußball-WM und für Katar und die FIFA wird die Zeit, um noch das Richtige zu tun, schnell knapp“, sagt Steve Cockburn.

Weitreichende Menschenrechtsverstöße

Arbeitsmigrant*innen, die an Projekten mit und ohne WM-Bezug arbeiten, sehen sich in Katar weiterhin weitreichenden Menschenrechtsverstößen und Ausbeutung gegenüber. Viele Arbeitsmigrant*innen, besonders Hauspersonal in Privathaushalten und Mitarbeiter*innen im privaten Sicherheitssektor, arbeiten unter Bedingungen, die teilweise Zwangsarbeit gleichkommen.

Hausangestellte arbeiten typischerweise zwischen 14 und 18 Stunden am Tag, ohne einen wöchentlichen Ruhetag und sind in den Privathaushalten von der Außenwelt abgeschottet. Privaten Sicherheitsmitarbeiter*innen wird außerdem oft wiederholt der Ruhetag gestrichen und sie sind gezwungen, unter Androhung von Strafe zu arbeiten. Zu den angedrohten Strafen zählen willkürliche Lohnkürzungen und die Beschlagnahmung des Reisepasses, obwohl solche Praktiken gegen das katarische Recht verstoßen. Arbeitsmigrant*innen bleibt es weiter versagt, Gewerkschaften zu gründen oder sich solchen anzuschließen, obwohl dies ihnen unter internationalem Recht zusteht.

Ungeklärte Todesfälle

Nach wie vor ungeklärt sind Tausende von Todesfällen von Arbeitsmigrant*innen der letzten zehn Jahre und darüber hinaus, die sich teils auf WM-Baustellen sowie außerhalb zugetragen haben. Wahrscheinlich sind Hunderte dieser Fälle zurückzuführen auf das Arbeiten in der sengenden Hitze Katars. Die neuen gesetzliche Bestimmungen zum Schutz vor Hitze stellen eine Verbesserung dar, müssen aber weiter gestärkt werden, um sie internationalen Standards anzupassen und so für adäquaten Schutz der im Freien Arbeitenden zu sorgen.

Trotz klarer Beweise für Hitze als großes Gesundheitsrisiko haben die katarischen Behörden, obwohl es international so üblich wäre, bislang wenig getan, um die Todesfälle von Arbeitsmigrant*innen, die mit der Hitze in Verbindung stehen könnten, zu untersuchen, die Todesursache zu bestätigen oder Entschädigungen an die Angehörigen zu zahlen.

Weit verbreitet ist außerdem, dass zukünftige Arbeitsmigrant*innen erpresserische Vermittlungsgebühren zahlen, um sich so einen Job in Katar zu sichern. Gebühren von 1.000 bis 3.000 Euro sorgen dafür, dass viele Arbeitsmigrant*innen Monate oder gar Jahre brauchen, ihre Schulden abzubezahlen, wodurch sie in einer Spirale der Ausbeutung gefangen sind.

Wichtige Änderungen des Kafala-Systems – das eine komplette Abhängigkeit der Arbeitsmigrant*innen von ihren Arbeitgeber*innen mit sich brachte – bedeuten, dass nun die Mehrheit der Arbeitsmigrant*innen das Recht hat, auch ohne Erlaubnis ihrer Arbeitgebenden das Land verlassen und die Arbeitsstelle wechseln zu dürfen. Jedoch besteht für die Arbeitsmigrant*innen weiterhin die Gefahr, festgenommen oder des Landes verwiesen zu werden, falls ihr*e Arbeitgeber*in ihr Visum storniert, ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht erneuert oder sie bei den Behörden anzeigt wegen „unerlaubten Verlassens des Arbeitsplatzes“.

Die katarische Regierung meldet, sie habe seit Oktober 2020 über 300.000 Anträge auf Jobwechsel von Arbeitsmigrant*innen bewilligt. Dennoch hat Amnesty International mehrere Fälle aus den letzten Monaten dokumentiert, in denen Arbeitgeber*innen ihre Machtposition über das Stornieren von Visa, die Erneuerung von Aufenthaltsgenehmigungen und das Anzeigen wegen „unerlaubten Verlassens des Arbeitsplatzes“ ausgenutzt haben, um diejenigen auszubeuten und zu bestrafen, die sich über die Arbeitsbedingungen beschwerten oder die ihren Job wechseln wollten.

Hintergrund

Teil der seit 2017 durchgeführten Reformen in Katar sind ein Gesetz zur Regulierung der Arbeitsbedingungen von Hausangestellten, ein Fonds zur Entschädigung bei Lohndiebstahl sowie die Einführung eines Mindestlohns. Katar hat außerdem zwei wichtige Menschrechtsverträge ratifiziert, allerdings ohne das Recht der Arbeitsmigrant*innen anzuerkennen, sich einer Gewerkschaft anschließen zu dürfen.

Die für die Planung und Durchführung der Weltmeisterschaft zuständige katarische Behörde, das Supreme Committee for Delivery and Legacy, hat ebenfalls verbesserte Arbeitsstandards für Arbeiter*innen eingeführt. Allerdings gelten diese nur auf WM-Schauplätzen wie Stadien und betreffen nur einen kleinen Anteil der insgesamt an WM-Projekten beteiligten Arbeiter*innen sowie darüber hinaus nur 2% der gesamtem Arbeitsbevölkerung Katars.

Amnesty erkennt die Wichtigkeit dieser Reformen an, stellt mit dem vorliegenden Kurzbericht jedoch einen Aktionsplan vor, um weiterhin vorhandene Missstände in zehn Bereichen anzugehen.

Im vergangenen Monat zeigte eine durch Amnesty International in Auftrag gegebene internationale Umfrage eine große Zustimmung unter den Befragten und Fußballfans für die Zahlung von Entschädigungen an Arbeitsmigrant*innen, die im Vorlauf der WM 2022 Menschenrechtsverletzungen erlitten haben.

Die Ergebnisse der Umfrage unterstützen die #PayUpFIFA-Kampagne, die im Mai von einem Zusammenschluss aus Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International –, Fangruppen und Gewerkschaften ins Leben gerufen wurde und in der die FIFA und die katarischen Behörden aufgefordert werden, einen Fonds zur Entschädigung der Arbeiter*innen einzurichten und künftige Menschenrechtsverstöße zu verhindern.

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