Amnesty International berichtet von 16-Stunden-Arbeitstage, kaum Essen, Schlafen am Boden, sexuellen Missbrauch und Demütigungen: „Sie nannten mich Affe“. Reformen seien unzureichend: Hausangestellte in Saudi-Arabien sind von Arbeitsschutzbestimmungen ausgeschlossen.
Kenianische Frauen, die in Saudi-Arabien als Hausangestellte beschäftigt sind, erleben diskriminierende und missbräuchliche Arbeitsbedingungen, die häufig auf Zwangsarbeit und Menschenhandel hinauslaufen, so Amnesty International in einem neuen Bericht, der heute veröffentlicht wird. Darin wird aufgezeigt, dass die Frauen in Privathaushalten oftmals Ausbeutung ausgesetzt sind und als Hausangestellte nach wie vor von Saudi-Arabiens Arbeitsrecht und anderen Reformen ausgenommen sind.
Der Bericht Locked in, left out: the hidden lives of Kenyan domestic workers in Saudi Arabia dokumentiert die Erfahrung von mehr als 70 Frauen, die in Saudi-Arabien gearbeitet haben. Unter brutalen Bedingungen schufteten sie regelmäßig mehr als 16 Stunden, bekamen keinen freien Tag und durften das Haus nicht verlassen. Darüber hinaus waren die Frauen mit erbärmlichen Lebensbedingungen und unmenschlicher Behandlung einschließlich sexualisierter, verbaler und körperlicher Gewalt konfrontiert. In der Regel behielten die Arbeitgeber*innen ihre Pässe und Mobiltelefone und manchmal auch ihren Lohn ein.
Diese Frauen kamen auf der Suche nach Arbeit nach Saudi-Arabien, um ihre Familien zu unterstützen, aber stattdessen erlebten sie unsägliche Misshandlungen in den Häusern ihrer Arbeitgeber*innen, so der Bericht von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation appelliert an die saudischen Behörden, den Hausangestellten dringend einen gleichberechtigten arbeitsrechtlichen Schutz zu gewähren und ein wirksames Inspektionssystem einzuführen, um gegen den weit verbreiteten Missbrauch in Privathaushalten vorzugehen. Außerdem muss das Kafala-Sponsorensystem, das ausländische Arbeitskräfte an Arbeitgeber*innen bindet, Ausbeutung fördert und systemischem Rassismus Vorschub leistet, vollständig abgeschafft werden.
Weder die saudischen noch die kenianischen Behörden haben auf das Ersuchen von Amnesty um eine Stellungnahme oder Informationen geantwortet.
DETAILS UND ZEUGINNENAUSSAGEN
„Ich habe mich wie in einem Gefängnis gefühlt“
Viele der Frauen, die mit Amnesty International gesprochen haben, berichteten von extremer Überarbeitung. So bestand ein typischer Arbeitstag aus mindestens 16 Stunden Putzen, Kochen und Kinderbetreuung – oft auch mehr. Die Frauen erhielten durchschnittlich 900 Saudi-Riyal (etwa 215 Euro) pro Monat. Überstunden wurden nicht bezahlt, was bedeutet, dass ihr durchschnittlicher Lohn unter Berücksichtigung der Arbeitszeiten bei etwa 0,45 Euro pro Stunde lag. Zudem zahlten manche Arbeitgeber*innen den Frauen ihren Lohn verspätet oder gar nicht aus. Praktisch alle befragten Frauen berichteten, während ihres Aufenthalts in Saudi-Arabien keinen einzigen freien Tag gehabt zu haben – manche von ihnen bis zu zwei Jahre lang.
Rashida*, eine ehemalige Hausangestellte, erzählte Folgendes: „Sie [die Arbeitgeberin] hat nicht gedacht, dass ich müde werden könnte. Es gab keine Möglichkeit, sich auszuruhen … Ich habe den ganzen Tag für sie gearbeitet, und selbst nachts musste ich noch arbeiten. Ich habe mich wie ein Esel gefühlt, aber selbst Esel können sich ausruhen.“
Alle Frauen waren nach ihren Angaben mit starken Einschränkungen ihrer Freiheit und Privatsphäre konfrontiert; durch die Beschlagnahmung ihrer Telefone waren sie von der Außenwelt abgeschnitten, was dazu führte, dass sie sehr isoliert waren und ihnen der Kontakt zu ihren Familien verwehrt wurde. Joy* erzählte, dass sie sich während ihrer Zeit in Saudi-Arabien wie eingesperrt gefühlt habe: „Ich hatte keinerlei Freiheiten, denn wenn man erst einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus. … Ich habe mich wie in einem Gefängnis gefühlt.“
Wie Eve* berichtete, sollte die Isolation auch verhindern, dass sie sich über die Zustände beschwert: „Als Erstes hat mir mein Arbeitgeber den Pass abgenommen. Wenn man nachfragt, sagen sie einem, ‚Ich habe alles für dich bezahlt‘, und man traut sich nicht, etwas zu sagen, weil man in einem fremden Land ist.“
Trotz der extremen Arbeitsbelastung gaben nahezu alle Frauen an, dass ihre Arbeitgeber*innen ihnen Essen vorenthielten oder ihnen lediglich Reste gaben, sodass einige von ihnen sich allein von Brot oder getrockneten Instant-Nudeln ernähren mussten. Für Katherine „war Essen das größte Problem“, und sie musste „von Keksen überleben“, da ihr*e Arbeitgeber*in ihr nur Reste, verdorbene Lebensmittel oder manchmal auch gar nichts zu essen gegeben oder sogar Essen, das Katherine für sich selbst gekocht hatte, in den Mülleimer geworfen habe.
Darüber hinaus gaben die meisten Frauen an, dass ihre Lebensbedingungen insgesamt absolut unzureichend waren. So mussten sie häufig in einem Vorratsschrank oder auf dem Boden in einem Kinderzimmer schlafen, ohne ein richtiges Bett, Bettzeug oder eine funktionierende Klimaanlage.
„Der Mann sagte ‚ du tust, was ich sage‘“
Viele der Frauen schilderten, angeschrien, beschimpft und gedemütigt worden zu sein; andere wurden von ihren Arbeitgebern sexuell missbraucht oder manchmal sogar vergewaltigt. Zu ihnen gehört auch Judy, eine alleinstehende Mutter von zwei Kindern, die nach Saudi-Arabien gegangen war, um dem Missbrauch ihres Mannes zu entkommen. „Er hat mich vergewaltigt und mir auch gedroht, seiner Frau nichts zu sagen. Ich habe geschwiegen. Das war sozusagen seine tägliche Routine … Ich habe versucht, [ihn davon abzubringen,] aber Männer sind sehr stark. Also hat er mich vergewaltigt, fünf Mal …“
Viele Frauen hatten zu viel Angst, um den Missbrauch den saudischen Behörden oder der kenianischen Botschaft zu melden; die Frauen, die dies taten, sahen sich mit Vergeltungsmaßnahmen oder konstruierten Anklagen wie falschen Diebstahlsvorwürfen und dem Verlust ihres Lohnes konfrontiert.
„Sie haben uns Affen oder Paviane genannt.“
Der Amnesty-Bericht dokumentiert außerdem, welche weiteren Faktoren zu der Ausbeutung, dem Missbrauch und der rassistischen Diskriminierung von Arbeitskräften beitragen. Dazu Irungu Houghton, Geschäftsführerin von Amnesty International Kenia: „Der Kern des Missbrauchs liegt in einem Arbeitssystem, das von historischem und strukturellem Rassismus geprägt ist und in dem rassifizierte migrantische Hausangestellte, darunter Schwarze afrikanische Frauen, entmenschlicht und als entbehrlich behandelt werden.“
Viele der Frauen berichteten, von ihren Arbeitgeber*innen mit äußerst abfälligen und rassistischen Bezeichnungen wie „Hayawana“ (Tier), „Khaddama“ (Dienerin) und „Sharmouta“ (Prostituierte) beschimpft worden zu sein. Die Arbeitgeber*innen sprachen auch abfällig über ihre Hautfarbe, kommentierten ihren Körpergeruch oder untersagten ihnen, das gleiche Besteck oder die gleichen Haushaltsgeräte wie die Familie zu benutzen, weil sie aus Afrika stammten – etwas, das von den Frauen meist als „Segregation“ empfunden wurde. Niah* berichtet: „Wegen meiner dunklen Hautfarbe wurde ich immer ein schwarzes Tier genannt. Die Kinder sind lachend zu mir gekommen und haben gesagt, ich sei ein Affe.“
Unzureichende Gesetze und Reformen
In den letzten Jahren hat Saudi-Arabien im Rahmen seines Programms „Vision 2030“ begrenzte Reformen des Kafala-Sponsoringsystems eingeführt, das die 13 Millionen Arbeitsmigrant*innen des Landes an ihre Arbeitgeber*innen bindet und Zwangsarbeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen unmittelbar möglich macht. Doch selbst diese begrenzten Reformen waren weitgehend auf Arbeitnehmer*innen beschränkt, die unter das saudi-arabische Arbeitsrecht fallen. Hausangestellte sind davon nach wie vor ausgenommen. Sie unterliegen nach wie vor strengen Beschränkungen ihrer Freizügigkeit und benötigen in den meisten Fällen immer noch die Erlaubnis ihrer Arbeitgeber*innen, um den Arbeitsplatz wechseln oder das Land verlassen zu können.
2023 führte die Regierung aktualisierte Vorschriften für Hausangestellte ein, um die Arbeitszeiten und -bedingungen besser zu regeln. Doch ohne ein wirksames System für die Überwachung, Inspektion und Durchsetzung sind diese Vorschriften in der Praxis oft bedeutungslos. Viele der dokumentierten Missbräuche sind nach saudischem Recht gesetzwidrig, bleiben aber völlig straffrei.
„Kenia kommt beim Schutz von Hausangestellten im Ausland eine wichtige Rolle zu. Kenia muss beim Schutz von Arbeitsmigrant*innen mit Saudi-Arabien zusammenarbeiten, indem es die Anwerbungspraktiken besser reguliert und sicherstellt, dass die Botschaften in der Lage sind, Hausangestellte in Not dringend zu unterstützen. Dazu gehört auch die Bereitstellung sicherer Unterkünfte sowie finanzieller und rechtlicher Unterstützung für alle, die in Not sind“, so Irungu Houghton.
HINTERGRUND
In Saudi-Arabien arbeiten rund 4 Millionen Menschen als Hausangestellte. Laut der saudischen Arbeitsmarktstatistik sind sie alle ausländische Staatsangehörige, unter ihnen 150.000 Kenianer*innen. Aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit in Kenia haben die Behörden junge Menschen dazu ermuntert, sich in den Golfstaaten eine Arbeit zu suchen. Saudi-Arabien gehört mittlerweile zu einer der wichtigsten Quellen für Geldüberweisungen nach Kenia.
* Namen geändert.
Presseteam Amnesty International Österreich
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