Zusammenfassung der Aussagen von Sheldon Yett, UNICEF-Vertreter im Sudan, bei der heutigen Pressekonferenz im Palais des Nations in Genf.
„In der vergangenen Woche reiste ich von Port Sudan in die Bundesstaaten Aj Jazeera und Khartum und konnte mit eigenen Augen sehen, welche Auswirkungen diese Krise – die größte humanitäre Krise der Welt – auf Kinder und Familien hat.
Während meiner Reise sah ich zerstörte Häuser, Wohnungen und Gebäude. Ich sah unser Lagerhaus in Khartum, geplündert und in Trümmer gelegt. Ich sah, wie unsere humanitären Hilfsgüter dort vernichtet worden waren. Ich sah entwurzelte Gemeinden und Kinder, die zur Flucht gezwungen wurden und nun in überfüllten Stadtvierteln leben.
Ich traf Mütter, die sehr weite Strecken zu Fuß zurückgelegt hatten, um Sicherheit zu finden, und Gesundheitshelferinnen und Gesundheitshelfer, die trotz aller Risiken Kranke und unterernährte Menschen versorgten. Ich sah auch unsere Teams und Partner, die unermüdlich arbeiteten, oft unter gefährlichen und ungewissen Bedingungen, um weiterhin lebensrettende Hilfe zu leisten.
Ich besuchte Jebel Aulia, eine von zwei Ortschaften im Bundesstaat Khartum, die als extrem hungergefährdet gelten.
Die Ortschaften Jebel Aulia und Khartum tragen 37 % der Unterernährungsbelastung des Bundesstaates. Diese Gegenden sind zudem am stärksten von der anhaltenden Gewalt und eingeschränktem Zugang betroffen. Ich konnte mit eigenen Augen sehen, dass Kinder nur begrenzten, aber zunehmenden Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung haben. Mangelernährung ist weit verbreitet, viele Kinder sind nur noch Haut und Knochen. Familien und Kinder leben oft in kleinen, beschädigten oder unfertigen Gebäuden. Die Straßen sind eng, schlammig und häufig unpassierbar – und werden es mit den anhaltenden Regenfällen täglich mehr.
Cholera hat sich in diesem Viertel rasch ausgebreitet. Die wenigen funktionierenden Gesundheits- und Ernährungszentren sind völlig überfüllt.
Gemeinsam mit unseren Partnern tun wir alles, was wir können. Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, verbessert sich aber. Nach monatelangen Anstrengungen haben wir endlich Zugang zu dieser Gemeinde. Wir unterstützen weiterhin Gesundheits- und Ernährungsdienste, Wasser- und Sanitärversorgung und verlegen dringend benötigte Hilfsgüter dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Wir schaffen auch sichere Räume, in denen Kinder lernen, spielen und heilen können. Doch das Ausmaß der Not ist erschütternd, und gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten wir am Rande unserer Kapazitäten.
Leider gilt all das für das gesamte Land, die Lage verschlechtert sich rapide. Kinder sterben an Hunger, Krankheit und direkter Gewalt. Sie sind von genau den Diensten abgeschnitten, die ihr Leben retten könnten.
Das ist kein hypothetisches Szenario. Es ist eine bevorstehende Katastrophe. Wir stehen kurz davor, eine ganze Generation von Kindern unwiederbringlich zu verlieren – nicht, weil wir nicht das Wissen oder die Mittel hätten, um sie zu retten, sondern weil wir kollektiv daran scheitern, mit der Dringlichkeit und dem Ausmaß zu handeln, die diese Krise erfordert. Wir brauchen Zugang zu diesen Kindern.
Durch die jüngsten Kürzungen bei den Finanzmitteln mussten viele unserer Partner im Bundesstaat Khartum und anderen Regionen im Sudan ihre Aktivitäten zurückfahren. Wir stocken unsere Einsätze auf, aber wir können das nicht allein bewältigen.
Wir benötigen Ressourcen und dauerhaft gesicherten Zugang, um in den Gebieten, die wir nun erreichen können, schnell und umfassend zu handeln. Die rekordhohen Aufnahmezahlen von Kindern in Behandlungszentren für akute schwere Unterernährung in Orten wie Jebel Aulia und weiten Teilen von Aj Jazeera zeigen eindeutig, wie gewaltig der Bedarf in den neu zugänglichen Regionen ist.
Wir müssen lebensrettende Dienste für Kinder rasch ausweiten – dafür brauchen wir sicheren und dauerhaften Zugang, überall dort, wo sich Kinder befinden.
Besonders kritisch ist dies in Gebieten an der Frontlinie, die derzeit völlig von Hilfe abgeschnitten sind: Al Fasher, Dilling und Kadugli. Jeder Tag ohne Zugang zu diesen Orten erhöht das Risiko für das Leben von Kindern.
Eine der geflüchteten Mütter sagte uns: ´Seit Beginn des Krieges ist meine Tochter verstummt. Ich spüre, wie ihr Herz vor Angst rast. ´
Ihre Worte sind eine erschütternde Erinnerung an die unsichtbaren Wunden, die dieser Krieg den Kindern im Sudan zufügt.
Während dieser Reise, ein Jahr nach Ausbruch des Konflikts, habe ich das Schlimmste gesehen, was ein Krieg anrichten kann – und das Beste, wozu die Menschlichkeit imstande ist. Die Kinder im Sudan sind widerstandsfähig. Sie haben nun über zwei Jahre Krieg überstanden. Aber sie können ohne Hilfe nicht überleben.
Wir rufen weiterhin zu anhaltenden diplomatischen Bemühungen für den Frieden auf. Und solange der Konflikt andauert, müssen wir alle gemeinsam alles in unserer Macht Stehende tun, um Kinder zu unterstützen – wir dürfen nicht zulassen, dass sie den höchsten Preis für diesen Krieg zahlen.
Die Welt darf jetzt nicht wegsehen. Nicht jetzt.“
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UNICEF Österreich
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