Archiv der Kategorie: Naher Osten

image_pdfimage_print

PA: Katar: Ein Jahr nach WM stehen Fortschritte still

Ein Jahr nach der Fußballweltmeisterschaft hat Katar seine Zusagen zur Verbesserung der Arbeitnehmer*innenrechte nicht umgesetzt, so Amnesty International heute. Die katarische Regierung unternimmt weiterhin nicht genug, um die Missstände bei der Behandlung von Arbeitsmigrant*innen zu beseitigen und sie angemessen vor Ausbeutung zu schützen. Seit dem Ende der WM gerieten die Fortschritte weiter ins Stocken.

Ein neuer Amnesty-Bericht mit dem Titel A Legacy in Jeopardy zeigt, dass bei der Verbesserung der Arbeitnehmer*innenrechte seit dem Ende der Weltmeisterschaft kaum Fortschritte gemacht wurden. Entschädigungen und Gerechtigkeit für Hunderttausende von Arbeiter*innen, die im Zusammenhang mit der WM Opfer von Menschenrechtsverstößen wurden, bleiben weiterhin aus. Begrenzte Fortschritte in manchen Bereichen werden durch das Fehlen von Maßnahmen zur Bekämpfung einer Vielzahl von anhaltenden Missständen und Verstößen überschattet.

„Das anhaltende Versäumnis Katars, seine im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft eingeleiteten Arbeitsreformen ordnungsgemäß durchzusetzen und zu stärken, gefährdet ernsthaft jede potenzielle Verbesserung der Situation von Arbeitnehmer*innen. Die Regierung muss dringend ihre Zusage für den Schutz der Arbeitnehmer*innen erneuern, und sowohl die FIFA als auch Katar sollten sich auf Pläne zur Wiedergutmachung für alle Betroffenen einigen“, sagte Steve Cockburn, Experte für Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.

„Von illegalen Anwerbegebühren bis hin zu nicht gezahlten Löhnen haben Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen ihr Geld, ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben verloren, während die FIFA und Katar versuchten, die Verantwortung von sich zu weisen. Bis heute, ein Jahr nach der Weltmeisterschaft, ist zu wenig getan worden, um all dieses Unrecht wiedergutzumachen. Die Arbeiter*innen, die die Weltmeisterschaft 2022 möglich gemacht haben, dürfen nicht vergessen werden.“

Steve Cockburn sagte weiter: „Katar sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass seine Handlungen nicht auf den Prüfstand gestellt werden, nur weil die WM vorbei ist, und es muss seine Bemühungen zur Verbesserung der Arbeitnehmer*innenrechte fortsetzen. Die FIFA muss aus ihren Fehlern lernen und bereit sein, ihre Verantwortung für die Menschenrechte ernst zu nehmen und Missstände, die durch ihr Versagen verursacht oder mitverursacht wurden, direkt zu beheben, um eine Wiederholung der Menschenrechtsverstöße, wie wir sie in Verbindung mit der Weltmeisterschaft in Katar erlebt haben, zu verhindern.“

Unzureichende Reformen und mangelnde Umsetzung

Katar hat 2017 ein Abkommen mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, das in den darauffolgenden Jahren zu erheblichen Änderungen der Arbeitsgesetze führte, u. a. zu Reformen des Kafala-Sponsorensystems, zu einem neuen Mindestlohn und zur Einführung von Arbeitsschutzvorschriften. Zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft waren die Um- und Durchsetzungsmaßnahmen, die erforderlich gewesen wären, um weitere Menschenrechtsverstöße zu verhindern, jedoch noch unzureichend.

In Interviews mit Amnesty-Mitarbeiter*innen erklärten die Befragten, dass die meisten Arbeitsmigrant*innen das Land nun ohne Einschränkungen verlassen können, und stellten Fortschritte bei der Durchsetzung von Gesetzen im Zusammenhang mit Arbeiten bei hohen Temperaturen fest, insbesondere ein Verbot von Bauarbeiten im Freien während der heißesten Tageszeit. Darüber hinaus zeichneten sie jedoch ein düsteres Bild von anhaltender Ausbeutung und mangelndem politischen Willen zur Beseitigung der Mängel.

Eigentlich sollten die Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit haben, ihren Arbeitsplatz frei zu wechseln, um Verstößen zu entgehen oder bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden, aber obwohl sie dazu rechtlich gesehen keine Unbedenklichkeitsbescheinigung (NOC) mehr von den Arbeitgeber*innen benötigen, müssen viele in der Praxis immer noch irgendeine Form von Genehmigung einholen. Aus den Daten der Regierung geht hervor, dass in den ersten acht Monaten des Jahres 2023 zwar mehr als 150.000 Menschen den Arbeitsplatz gewechselt haben, dass aber im gleichen Zeitraum ein Drittel der Anträge von Arbeitnehmer*innen auf einen Arbeitsplatzwechsel abgelehnt wurden.

Darüber hinaus sind Arbeiter*innen für ihre Anwesenheit im Land nach wie vor von ihren Arbeitgeber*innen abhängig, wodurch ihr rechtlicher Status nicht angemessen geschützt ist und sie daran gehindert werden, ihre*n Arbeitgeber*in zu wechseln.

Lohndiebstahl ist nach wie vor die häufigste Form der Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen in Katar, auch bei Fahrer*innen in der wachsenden Essenslieferbranche, aber das System zur Aufdeckung und Reaktion auf verspätete und nicht gezahlte Löhne und Leistungen funktioniert noch nicht.

Als Hausangestellte beschäftigte Arbeitsmigrant*innen, bei denen es sich zumeist um Frauen handelt, sind nach wie vor besonders anfällig für schwerwiegende Verstöße, und die Regierung hat im vergangenen Jahr wenig unternommen, um diese Arbeitskräfte besser zu schützen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Abhilfe und Entschädigung

Die Missstände, denen Arbeitsmigrant*innen ausgesetzt waren, seit die FIFA Katar den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft erteilt hat, können zwar nicht ungeschehen gemacht werden, doch es kann und muss Wiedergutmachung erfolgen.

Wie Amnesty International bereits dokumentiert hat, wurden während der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar Hunderte von Arbeitsmigrant*innen, die als Sicherheitskräfte und Ordner*innen an den Austragungsorten eingesetzt und mit Kurzzeitverträgen beschäftigt wurden, ausgebeutet. Dazu gehörte, dass die Arbeitnehmer*innen rechtswidrige Vermittlungsgebühren zahlten, über ihre Arbeitsplätze getäuscht wurden und übermäßig lange arbeiten mussten, ohne freie Tage in der Woche zu haben. Fast ein Jahr später haben sie immer noch keine Entschädigung erhalten.

Presseteam Amnesty International Österreich
Eleonore Rudnay
+43-664-400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA und Veranstaltungshinweis: 1 Jahr Proteste Iran

Amnesty International fordert Rechenschaft für Menschenrechtsverletzungen.

Amnesty International veranstaltet am Donnerstag, 14.9. in Wien eine Pressekonferenz zu 1 Jahr „Frauen, Leben, Freiheit“ Proteste bei der die Stimmen der iranischen Diaspora in Österreich zu Wort kommen und Maßnahmen von der Bundesregierung gefordert werden. Alle Informationen finden Sie hier.

Regierungen weltweit müssen gegen die systemische Straflosigkeit im Iran vorgehen. Dies fordert Amnesty International anlässlich des ersten Jahrestags des Todes der Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran, der landesweite Proteste auslöste.

Amnesty International fordert am Jahrestag des Beginns der landesweiten Demonstrationen unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ im Iran, dass die iranischen Staatsbediensteten zur Verantwortung gezogen werden, die für Folter und rechtswidrige Tötungen von mehreren hundert Protestierenden verantwortlich sind.

Die Behörden der Islamischen Republik Iran haben zahlreiche völkerrechtliche Verbrechen begangen, um jegliche Kritik im Keim zu ersticken: So wurden mindestens sieben Protestierende willkürlich hingerichtet, hunderte Menschen rechtswidrig getötet und Zehntausende Menschen willkürlich festgenommen. Folter ist an der Tagesordnung, darunter Vergewaltigungen im Gefängnis. Die Familien der Opfer werden schikaniert. Frauen und Mädchen müssen mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen, wenn sie dem diskriminierenden gesetzlichen Kopftuchzwang nicht nachkommen.

„Die iranischen Behörden haben ein Jahr lang unsägliche Grausamkeiten gegen Menschen im Iran verübt, die sich mutig gegen jahrzehntelange Unterdrückung und Ungleichheit gewehrt haben. Ein Jahr nachdem Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei gestorben ist, sind diejenigen Staatsbediensteten, die während und nach den Unruhen Verbrechen begangen haben, immer noch nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft worden“, kritisiert Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

„Am Jahrestag der Protestbewegung ‚Frau, Leben, Freiheit‘ fordern wir, dass die furchtbaren Verbrechen der iranischen Behörden unter dem Weltrechtsprinzip strafrechtlich aufgearbeitet werden müssen. Die internationale Gemeinschaft muss die Behörden des Iran auffordern, den rechtswidrigen Einsatz von Schusswaffen gegen Demonstrierende einzustellen, Gefangene nicht zu foltern und alle Personen freizulassen, die lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.“

Gesetzlicher Kopftuchzwang mit Gewalt durchgesetzt

Trotz monatelanger Proteste gegen den gesetzlichen Kopftuchzwang hat die iranische „Sittenpolizei“ ihre Arbeit vor einigen Monaten wieder aufgenommen. Zudem haben die Behörden eine Reihe weiterer Maßnahmen eingeführt, um Frauen und Mädchen, die sich der Verschleierungspflicht widersetzen, ihrer Rechte zu berauben.

So beschlagnahmen die Behörden beispielsweise Autos und verweigern Frauen den Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Bankdienstleistungen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Gleichzeitig werden Frauen strafrechtlich verfolgt und zu Haft- und Geldstrafen verurteilt. Es werden auch erniedrigende Strafen wie das Waschen von Leichen gegen sie verhängt.

Dieser Angriff auf die Rechte der Frauen wird von hasserfüllten offiziellen Äußerungen begleitet, die das Ablegen des Kopftuchs als „Virus“, „soziale Krankheit“ oder „Störung“ bezeichnen und die Entscheidung, sich ohne Kopftuch zu zeigen, mit „sexueller Verdorbenheit“ gleichsetzen.

Tötungen und massenhafte willkürliche Inhaftierungen

Zwischen September und Dezember 2022 gingen die Sicherheitskräfte brutal und mit militärischen Mitteln gegen Protestierende vor und waren im Zuge dessen für die rechtswidrige Tötung Hunderter Demonstrierender und Unbeteiligter verantwortlich, darunter auch Dutzende Minderjährige. Mehr als die Hälfte der rechtswidrig Getöteten gehörte den unterdrückten belutschischen oder kurdischen Minderheitengruppen an.

Während der Proteste und in den darauffolgenden Monaten nahmen die Behörden Zehntausende Menschen willkürlich fest, darunter Demonstrant*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Personen, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzen. Unter den Festgenommenen befanden sich mindestens 90 Journalist*innen und andere Medienschaffende sowie 60 Rechtsbeistände, von denen einige die Familienangehörigen von rechtswidrig getöteten Personen vertraten. Zahlreiche weitere Rechtsbeistände wurden zu Verhören vorgeladen.

Im Vorfeld des Jahrestages setzen die Behörden wieder verstärkt auf willkürliche Festnahmen und nehmen unter anderem Familienmitglieder der rechtswidrig Getöteten ins Visier. Zudem wurden Tausende Universitätsstudierende gezwungen, sich schriftlich zu verpflichten, nicht an Protesten zum Jahrestag teilzunehmen.

Während der Proteste im Jahr 2022 feuerten die Sicherheitskräfte widerrechtlich mit scharfer Munition und Metallkugeln, um die Demonstrant*innen auseinanderzutreiben und Angst zu verbreiten. Dabei trugen Tausende Menschen Verletzungen davon: Einige Menschen erblindeten, verloren Gliedmaßen oder haben seither eine eingeschränkte Mobilität. Darüber hinaus wurden unter Aufsicht der Behörden Tausende inhaftierte Demonstrierende gefoltert und anderweitig misshandelt. Auch inhaftierte Kinder wurden gefoltert.

Im vergangenen Jahr haben die Behörden die Todesstrafe zunehmend als Mittel politischer Unterdrückung eingesetzt, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. So wurden in Verbindung mit den Protesten sieben Männer willkürlich hingerichtet, nachdem sie in grob unfairen Scheinprozessen zum Tode verurteilt worden waren. Manche von ihnen wurden wegen mutmaßlicher Straftaten wie Beschädigung öffentlichen Eigentums hingerichtet, andere im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften während der Proteste.

Die Hinrichtungen wurden vollstreckt, nachdem der Oberste Gerichtshof die Schuldsprüche und Todesurteile trotz mangelnder Beweise und ohne Untersuchung ihrer Foltervorwürfe bestätigt hatte.

Systemische Straflosigkeit

Die Behörden haben bisher keine gründlichen, unabhängigen und unparteiischen Untersuchungen zu den Menschenrechtsverletzungen durchgeführt, die während und nach den Protesten der Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ begangen wurden. Auch haben sie keine Schritte unternommen, um die mutmaßlich Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Stattdessen haben sie die Sicherheitskräfte für die Niederschlagung der Unruhen gelobt und sie vor Rechenschaftslegung geschützt. Von der Straflosigkeit profitierten unter anderem zwei Männer, die zugaben, in Teheran Demonstrant*innen vergewaltigt zu haben. Sie haben auch Beschwerden von Betroffenen und/oder deren Familien abgewiesen und ihnen mit dem Tod oder anderen Konsequenzen gedroht, wenn sie an ihren Beschwerden festhielten.

Amnesty International appelliert dringend an alle Staaten, sich auf das Weltrechtsprinzip und andere Mechanismen der extraterritorialen Gerichtsbarkeit zu berufen, um völkerrechtlichen Verbrechen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die iranischen Behörden zu begegnen, ungeachtet dessen, ob sich die Beschuldigten auf ihrem Territorium aufhalten oder nicht. Dies umfasst auch, dass mit angemessenen Mitteln ausgestattete strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden, die darauf abzielen, die Wahrheit über die Verbrechen ans Licht zu bringen sowie die mutmaßlichen Verantwortlichen – einschließlich Befehlshaber*innen und andere Vorgesetzte – zu identifizieren und, wenn genügend zulässige Beweise vorliegen, internationale Haftbefehle auszustellen. Die Staaten sollten sich auch für Wiedergutmachung für die Opfer einsetzen.

Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: antonio.prokscha@amnesty.at

Veranstaltungshinweis: „Frau, Leben, Freiheit“ Iranische Frauen im Aufbruch. Podiumsdiskussion am Internationalen Weltfrauentag

Anlässlich des Internationalen Weltfrauentages zeigt sich die VHS Wiener Urania solidarisch mit der Widerstandsbewegung der Frauen im Iran und diskutiert mit Expert*innen über die Proteste gegen das Regime, was sich gegenüber den Forderungen der iranischen Revolution von 1979 verändert hat und wie die Frauen ihre Zukunft im Iran sehen.

Dabei wird auch ein Blick darauf geworfen, wie der Protest vor dem Hintergrund des arabischen Frühlings und der Entwicklung in anderen islamischen Ländern einzuordnen ist und was wir in Europa tun können.

Begrüßung: Prof.in Mag.a Doris Zametzer, Direktorin der VHS Wiener Urania und Landstraße

Keynote: Dr. Homayoun Alizadeh, Gründer des Personenkomitees zur Unterstützung der Frauen und Jugendbewegung im Iran – die Mahsa Jina Amini Initiative

Moderation: Siobhan Geets, Journalistin im Ressort Außenpolitik bei „Profil“

Am Podium:
Mag.a jur.Shoura Zehetner Hashemi, Juristin im diplomatischen Dienst

Prof.in Mag.a Art. Mitra Shahmoradi-Strohmaier, iranisch-österreichische Malerin und Poetin

Shiva Badihi, ehrenamtliches Mitglied des Frauenrechtsnetzwerks von Amnesty International

Teilnehmer:inneninfos:
Aufgrund von begrenzten Raumkapazitäten wird vorab um Anmeldung persönlich, telefonisch oder per E-Mail gebeten.

PA: Katar: 84 Prozent der Fußballfans fordern von FIFA Entschädigung für Arbeitsmigrant*innen

Neue Umfrage zur WM in Katar zeigt: Fast drei Viertel (73 %) der Befragten unterstützen die Zahlung von Entschädigungen durch die FIFA an Arbeiter*innen, die bei der Vorbereitung des Turniers Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, berichtet Amnesty International und fordert die FIFA auf, vor dem Beginn der Weltmeisterschaft am 20. November 2022 ein Entschädigungsprogramm aufzusetzen.

Wien / London (15.9.2022) – Die FIFA soll Arbeitsmigrant*innen, deren Menschenrechte während der Vorbereitungen für die Fußballweltmeisterschaft 2022 verletzt wurden, entschädigen. Diese Forderung wird von fast drei Viertel der Bevölkerung (73%) in 15 Ländern unterstützt. Das ergab eine neue, von Amnesty International in Auftrag gegebene weltweite Umfrage. Noch höher ist die Zustimmung bei denjenigen, die sich wahrscheinlich mindestens ein Spiel des Turniers ansehen werden (84 %).

Die YouGov-Umfrage, an der sich mehr als 17.000 Erwachsene in 15 Ländern beteiligten, ergab auch, dass eine deutliche Mehrheit (67 %) befürwortet, dass sich ihre nationalen Fußballverbände öffentlich zu den Menschenrechtsverstößen im Zusammenhang mit der WM 2022 in Katar äußern und dabei auch die Entschädigung von Arbeitsmigrant*innen unterstützen.

„Diese Ergebnisse senden ein deutliches Signal an die Führung der Fußballwelt. Überall auf der Welt sind sich die Menschen einig, dass die FIFA aktiv werden und versuchen sollte, das Leid der Arbeitsmigrant*innen in Katar abzumildern, indem sie Entschädigungen zahlt. Sie wollen auch, dass ihre nationalen Verbände eine viel entschiedenere Haltung einnehmen“, sagte Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.

„Weniger als 50 Tage vor dem Anpfiff der WM tickt die Uhr. Aber noch hat die FIFA Zeit, das Richtige zu tun. Die Fans wollen keine Weltmeisterschaft, die unauslöschlich mit Menschenrechtsverletzungen behaftet ist. Die Vergangenheit kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber ein Entschädigungsprogramm ist ein klarer und gangbarer Weg, wie die FIFA und Katar für die Hunderttausenden von Arbeiter*innen, die dieses Turnier möglich gemacht haben, zumindest ein gewisses Maß an Wiedergutmachung leisten können.“

Weltweite Unterstützung für #PayUpFIFA

Die Ergebnisse unterstützen die #PayUpFIFA-Kampagne, die im Mai 2022 von einem Zusammenschluss aus Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International und Human Rights Watch –, Fangruppen und Gewerkschaften ins Leben gerufen wurde. Die Kampagne fordert die FIFA dazu auf, einen Fonds zur Entschädigung der Arbeiter*innen einzurichten und künftige Menschenrechtsverstöße zu verhindern.

Die Organisationen fordern, dass die FIFA mindestens 440 Millionen Dollar für den Fonds bereitstellt – so viel, wie sie an Preisgeldern bei der Weltmeisterschaft ausschüttet. Die FIFA wird durch das Turnier schätzungsweise 6 Milliarden Dollar einnehmen.

Nach dem Start der Kampagne teilte die FIFA Amnesty International mit, dass sie den Vorschlag in Erwägung ziehe. Bisher hat sie aber noch keine öffentliche Stellungnahme abgegeben.

Die #PayUpFIFA-Kampagne erinnert auch daran, dass die nationalen Fußballverbände, deren Mannschaften an der Weltmeisterschaft teilnehmen, gemäß internationalen Menschenrechtsstandards verpflichtet sind, Arbeitsmigrant*innen zu unterstützen.

Obwohl die Fußballverbände von Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien, Deutschland und Norwegen auf Anfrage von Journalist*innen ihre Unterstützung für das Prinzip der Entschädigung zum Ausdruck gebracht haben, hat bisher kein Fußballverband eine offizielle Erklärung abgegeben, in der er die FIFA ausdrücklich auffordert, ein solches Entschädigungsprogramm einzurichten.

Methode

Alle Zahlen, sofern nicht anders angegeben, stammen von YouGov Plc. und basieren auf einer Umfrage, an der sich 17.477 Erwachsene beteiligten. Die Umfrage fand zwischen dem 16. August und dem 6. September 2022 online statt. Die Zahlen wurden gewichtet und sind repräsentativ für alle befragten Länder (Erwachsene ab 18 Jahren), darunter Argentinien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Kenia, Mexiko, Marokko, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, die Schweiz und die USA.

Fast drei Viertel (73 %) der Befragten und 84 % derjenigen, die wahrscheinlich mindestens ein WM-Spiel sehen werden,erklärten, dass sie den Vorschlag unterstützen würden, dass die FIFA einen Teil der Einnahmen der WM 2022 zur Entschädigung von Arbeitsmigrant*innen verwendet, die bei der Vorbereitung des Turniers Menschenrechtsverstößen ausgesetzt waren. Nur 10 % der Befragten sprachen sich gegen eine Entschädigung durch die FIFA aus, die restlichen 17 % wussten nicht, wie sie sich entscheiden sollten.

Die stärkste Unterstützung gab es in Kenia, wo 93 % der Befragten eine Entschädigung befürworteten. Tausende Kenianer*innen arbeiten in Katar, wo Amnesty International zahlreiche Verstöße dokumentiert hat, darunter die Zwangsarbeit von kenianischen Beschäftigten bei Sicherheitsdiensten, Bauarbeitern und Hausangestellten.

Hintergrund

Seit 2010, als die FIFA Katar den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2022 erteilte, ohne eine Verbesserung des Arbeitnehmer*innen-Schutzes zu verlangen, wurden Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen beim Bau und bei der Wartung der Stadien, Hotels, Verkehrsmittel und anderer Infrastrukturen, die für die Ausrichtung des Turniers erforderlich sind, Opfer von Menschenrechtsverstößen.

Seit 2018 hat Katar eine Reihe wichtiger arbeitsrechtlicher Reformen eingeführt, um die Rechte der Arbeitnehmer*innen zu verbessern. Die mangelnde Durchsetzung führt jedoch dazu, dass es weiterhin zu schwerwiegenden Verstößen kommt.

Amnesty International fordert die FIFA und Katar auf, ein Entschädigungsprogramm unter umfassender Beteiligung von Arbeitnehmer*innen, Gewerkschaften, der Internationalen Arbeitsorganisation und der Zivilgesellschaft aufzusetzen. Das Programm sollte noch vor Beginn des Turniers am 20. November 2022 initiiert werden.

Das Programm muss nicht nur eine Reihe von Entschädigungskosten abdecken, einschließlich der Erstattung nicht gezahlter Löhne, der von Hunderttausenden von Arbeitnehmer*innen gezahlten horrenden Vermittlungsgebühren und der Entschädigung für Verletzungen und Todesfälle, sondern auch Initiativen zum Schutz der Arbeitnehmer*innen-Rechte in der Zukunft unterstützen.

Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: presse@amnesty.at

PA: Welle von Hinrichtungen im Iran: Amnesty International fordert ein sofortiges Ende

Die Menschenrechtsorganisation berichtet von mindestens 251 Hinrichtungen seit Anfang 2022, Todesurteilen nach grob unfairen Gerichtsverfahren, einem Anstieg an Hinrichtungen wegen Drogendelikten und Massenhinrichtungen in überfüllten Gefängnissen.

Wien / London (27. Juli 2022) – Neue Recherchen von Amnesty International und dem Abdorrahman-Boroumand-Zentrum für Menschenrechte im Iran zeigen, dass die iranischen Behörden zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2022 mindestens 251 Menschen hingerichtet haben.

Sollten die Hinrichtungen in der gleichen Geschwindigkeit weitergehen, könnte die Gesamtzahl von 314 Exekutionen im Vorjahr schon bald übertroffen werden, warnten die beiden Menschenrechtsorganisationen.

Es ist gut dokumentiert, dass im Iran systematisch Menschen exekutiert werden, deren Todesurteil in einem grob unfairen Gerichtsverfahren gefällt wurde.

Die meisten der im ersten Halbjahr 2022 Hingerichteten (146 Personen) waren wegen Mordes zum Tode verurteilt worden. Mindestens 86 weitere Menschen wurden wegen Drogendelikten hingerichtet – ein Vergehen, das laut Völkerrecht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden darf. Am 23. Juli wurde in Fars ein Mann öffentlich exekutiert, nachdem öffentliche Hinrichtungen zuvor aufgrund der Pandemie zwei Jahre lang ausgesetzt worden waren.

„Im ersten Halbjahr 2022 ließen die iranischen Behörden im Durchschnitt mindestens eine Person pro Tag hinrichten. Die Staatsmaschinerie führt im ganzen Land massenhaft Tötungen durch und tritt dabei das Recht auf Leben mit Füßen. Die haarsträubende Hinrichtungsrate, die wir im ersten Halbjahr [2022] im Iran beobachtet haben, erinnert auf horrende Weise an 2015, als die Zahl der Exekutionen ebenfalls emporschnellte“, so Diana Eltahawy, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

„Diese erneute Hinrichtungswelle, die auch öffentliche Exekutionen mit einschließt, zeigt einmal mehr auf, dass der Iran nicht auf demselben Kurs ist wie der Rest der Welt – global haben 144 Länder die Todesstrafe im Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Die iranischen Behörden müssen als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe umgehend ein Hinrichtungsmoratorium verhängen“, fordert Roya Boroumand, Geschäftsführerin der iranischen Menschenrechtsorganisation Abdorrahman-Boroumand-Zentrum.

Die vom Abdorrahman-Boroumand-Zentrum und Amnesty International erhobenen Daten beruhen auf einer Reihe unterschiedlicher Quellen wie z. B. auf Angaben von Gefangenen, Verwandten von hingerichteten Personen, Menschenrechtler*innen und Journalist*innen sowie auf Berichten sowohl staatlicher als auch unabhängiger Medien und Menschenrechtsorganisationen.

Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen liegt wahrscheinlich noch höher, da die Behörden Zahlen zu verhängten und vollstreckten Todesurteilen geheim halten.

Massenhinrichtungen in Gefängnissen

Den vorliegenden Informationen zufolge führen die iranischen Behörden seit Anfang 2022 im ganzen Land regelmäßig Massenhinrichtungen durch.

Am 15. Juni 2022 vollzogen die Behörden mindestens zwölf Hinrichtungen im Raja’i-Shahr-Gefängnis in der Provinz Alborz. Zuvor waren im Zahedan-Gefängnis in der Provinz Sistan und Belutschistan am 6. Juni mindestens zwölf Menschen exekutiert worden.

Im Juni 2022 erfuhr Amnesty International von einer gut informierten Quelle, dass im Raja’i-Shahr-Gefängnis – in dem sehr viele Gefangene im Todestrakt einsitzen – seit Beginn des Jahres im Durchschnitt jede Woche fünf Menschen hingerichtet wurden; manchmal fanden bis zu zehn Exekutionen pro Woche statt. Dieselbe Quelle gab an, dass der Staatsanwalt des Raja’i-Shahr-Gefängnisses (dadyar) den Gefangenen kürzlich mitgeteilt habe, dass die Vollstreckungsbehörde sich schriftlich an die Verwandten von etwa 530 Mordopfern gewandt und sie gebeten habe, bis Ende März 2023 zu entscheiden, ob die wegen der Morde verurteilten Personen begnadigt oder hingerichtet werden sollen.

Darüber hinaus gab die Quelle an, dass in den vergangenen Monaten die Oberste Justizautorität Gholamhossein Mohseni Ejei sowie andere hochrangige Justizangehörige wiederholt angedeutet haben, dass die Überbelegung in den Gefängnissen dringend bewältigt werden müsse. Dies lasse befürchten, dass der Anstieg der Hinrichtungen mit den Bemühungen der Behörden zusammenhänge, die überfüllten Gefängnisse zu entlasten.

Erneut zahlreiche Hinrichtungen wegen Drogendelikten

Im ersten Halbjahr 2022 wurden mindestens 86 Personen hingerichtet, die wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt worden waren. Dies erinnert auf grauenhafte Weise an den Zeitraum 2010 bis 2017, als die Behörden scharfe Drogenbekämpfungsmaßnahmen verfolgten und die meisten erfassten Exekutionen auf Drogendelikte zurückgingen.

Von 2018 bis 2020 ging die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten erheblich zurück. Doch 2021 wurden mindestens 132 Menschen aufgrund von Drogendelikten hingerichtet, was 42 % aller erfassten Hinrichtungen ausmachte und einen Anstieg um mehr als das Fünffache gegenüber 2020 (damals 23 Menschen) darstellte.

Die internationale Gemeinschaft – einschließlich die EU und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung – muss dringend auf höchster Ebene einschreiten und die iranischen Behörden auffordern, die Todesstrafe nicht mehr länger auf Drogendelikte anzuwenden. Sie muss sicherstellen, dass ihre Zusammenarbeit mit dem Iran im Rahmen internationaler Maßnahmen gegen den Drogenschmuggel weder direkt noch indirekt zum willkürlichen Entzug des Rechts auf Leben beiträgt – derzeitig das charakteristische Merkmal der iranischen Drogenbekämpfungspolitik.

Bei mindestens 65 (26 %) der im Jahr 2022 bisher hingerichteten Personen handelte es sich um Angehörige der belutschischen Minderheit, die etwa 5 % der iranischen Bevölkerung ausmachen und häufig am Existenzminimum leben. Mehr als die Hälfte von ihnen (38 Personen) wurden wegen Drogendelikten hingerichtet.

Das Abdorrahman-Boroumand-Zentrum und Amnesty International lehnen die Todesstrafe ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder anderer Eigenschaften der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das Recht auf Leben und ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen.

Hintergrund

Im Jahr 2021 fanden im Iran so viele Hinrichtungen statt wie seit 2017 nicht mehr. Der Anstieg begann im September 2021, nachdem die damalige Oberste Justizautorität Ebrahim Raisi das Präsidentenamt übernahm und der Religionsführer den ehemaligen Geheimdienstminister Gholamhossein Mohseni Ejei zur neuen Obersten Justizautorität ernannte.

Die iranischen Behörden ließen 2022 eine Person, 2021 keine, 2020 eine, 2019 13 und 2018 ebenfalls 13 Personen öffentlich hinrichten. Offizielle Angaben lassen darauf schließen, dass im Jahr 2022 mindestens zwei weitere Personen in der Provinz Isfahan und eine Person in der Provinz Lorestan zur öffentlichen Vollstreckung ihrer Todesurteile verurteilt wurden.

Im Iran werden Todesurteile häufig im Zuge von Gerichtsverfahren verhängt, die systematisch internationalen Standards für faire Verfahren zuwiderlaufen und in denen durch Folter erzwungene „Geständnisse“ routinemäßig als Beweismittel eingesetzt werden. Der Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran stellte fest, dass „fest verwurzelte gesetzliche Mängel … bedeuten, dass die meisten, wenn nicht gar alle, Hinrichtungen ein willkürlicher Entzug des Rechts auf Leben sind.“

Laut iranischem Recht ist die Todesstrafe auf zahlreiche Straftaten anzuwenden, u. a. auf Finanzdelikte, Vergewaltigung und bewaffneten Raubüberfall. Ebenfalls mit der Todesstrafe geahndet werden völkerrechtlich geschützte Aktivitäten wie z. B. einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen und außereheliche sexuelle Beziehungen sowie Äußerungen, die nach Ansicht der Behörden „den Propheten des Islam beleidigen“. Auch vage formulierte Straftatbestände wie z. B. „Feindschaft zu Gott“ und „Verdorbenheit auf Erden“ ziehen Todesurteile nach sich.

Für Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: presse@amnesty.at

PA: Katar: FIFA soll Millionen Dollar für ausgebeutete Arbeitsmigrant*innen zahlen

Preisgelder in Höhe von 440 Millionen Dollar warten bei der Fußball-WM in Katar auf die teilnehmenden Mannschaften. Entschädigungen in mindestens derselben Höhe soll die FIFA für Hunderttausende Arbeitsmigrant*innen bereitstellen, deren Menschenrechte im Zuge der Vorbereitungen auf die WM verletzt wurden, fordert Amnesty International in einem neuen Bericht sechs Monate vor Beginn der WM.

Wien/London, 19.05.2022 – In einem offenen Brief gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen und Fan-Gruppen fordert Amnesty International den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino auf, gemeinsam mit Katar ein umfassendes Wiedergutmachungsprogramm aufzusetzen. Der Weltfussballverband und Katar müssen abgesehen von den Entschädigungszahlungen auch sicherstellen, dass sich diese Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholen, weder in Katar noch bei zukünftigen Turnieren. Als Entschädigungssumme für die zahlreichen Menschenrechtsverstöße, die seit 2010 begangen wurden, soll die FIFA laut Forderung der Organisationen nicht weniger als den Betrag der Preisgelder dieser WM in Höhe von 440 Millionen Dollar bereitstellen.

„Nach internationalem Recht und dem Regelwerk der FIFA haben sowohl Katar als auch die FIFA jeweils die Pflicht und die Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und den Betroffenen Abhilfe bereitzustellen. Der von Amnesty International und anderen geforderte Wiedergutmachungsfonds ist angesichts des Ausmaßes der erlittenen Verstöße völlig gerechtfertigt und ist nur ein kleiner Teil der sechs Milliarden Dollar, die die FIFA mit dem Turnier einnehmen wird“, betont Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, angesichts des heute veröffentlichten Berichts und offenen Briefs.

FIFA trägt Mitverantwortung an den Menschenrechtsverstößen in Katar

2010 hatte die FIFA Katar die Austragung der Weltmeisterschaft zugesprochen, ohne im Gegenzug auch nur die geringste Verbesserung des Arbeitsschutzes zu fordern. „Angesichts der Geschichte von Menschenrechtsverletzungen in Katar wusste die FIFA um die offensichtlichen Gefahren für die Arbeitnehmer*innen – oder hätte davon wissen müssen –, als sie dem Land den Zuschlag für das Turnier gab. Dennoch wurden in der Bewertung der katarischen Bewerbung die Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt, und es wurden keine Bedingungen für den Schutz der Arbeitnehmer*innen gestellt“, kritisiert Callamard. „Die FIFA hat seitdem viel zu wenig getan, um derartige Gefahren zu auszuschließen oder zu mindern. Indem sie die Augen vor vorhersehbaren Menschenrechtsverletzungen verschlossen hat und sie nicht stoppte, hat sie unbestreitbar zu den Menschenrechtsverstößen gegen Arbeitsmigrant*innen beigetragen, die an Projekten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft in Katar beteiligt waren.“

Entschädigungssumme könnte sogar noch höher sein

Nach Schätzungen von Amnesty International dürfte die Summe von 440 Millionen Dollar das Minimum sein, um eine Reihe von Entschädigungszahlungen zu decken und Initiativen zum Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte in der Zukunft zu unterstützen. Die Gesamtsumme für die Erstattung nicht gezahlter Löhne, die von Hunderttausenden von Arbeitnehmer*innen gezahlten erpresserischen Vermittlungsgebühren und die Entschädigung für Verletzungen und Todesfälle könnte auch höher ausfallen und sollte im Rahmen eines partizipativen Prozesses mit Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen ermittelt werden.

Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen nicht erfüllt

„Es mag zu spät sein, um das Leid vergangener Menschenrechtsverstöße zu lindern, aber die FIFA und Katar können und müssen handeln, um Wiedergutmachung zu leisten und weitere Verstöße zu verhindern. Die Entschädigung der Arbeiter*innen, die so viel für die Realisierung der WM 2022 getan haben, und die Ergreifung von Maßnahmen, die sicherstellen, dass solche Verstöße nie wieder vorkommen, könnten einen wichtigen Wendepunkt im Umgang der FIFA mit den Menschenrechten darstellen“, so Agnès Callamard.

Gemäß der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und ihren eigenen Vorschriften muss die FIFA Menschenrechtsverletzungen beseitigen, zu denen sie beigetragen hat. Diese Verantwortung sollte sich laut Amnesty nicht nur auf die Arbeitnehmer*innen erstrecken, die fußballspezifische Einrichtungen wie Stadien und Trainingsplätze, von der FIFA akkreditierte Hotels und das Übertragungszentrum bauen, sondern auch auf die für den Betrieb dieser Einrichtungen erforderlichen Dienstleistungen, inklusive Arbeitnehmer*innen, die am Bau und an der Instandhaltung der Verkehrs-, Unterkunfts- und sonstigen Infrastruktur beteiligt sind.

Auch der Staat Katar ist verpflichtet, für die Wiedergutmachung jeder Menschenrechtsverletzung in seinem Hoheitsgebiet zu sorgen, unabhängig davon, ob sie mit der Fußballweltmeisterschaft zusammenhängt oder nicht. Zwar wurden durch die Initiativen des Supreme Committee for Delivery and Legacy, die für die Planung und Durchführung der Weltmeisterschaft zuständigen katarischen Behörde, und das begrüßenswerte Arbeitsreformprogramm Katars einige Fortschritte erzielt, doch ihr begrenzter Geltungsbereich und ihre geringe Umsetzung haben dazu geführt, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen fortbestehen und Arbeitsmigrant*innen nur eingeschränkt Zugang zu Rechtsmitteln haben, so die Analyse von Amnesty International. „Jahrelang wurde die Ausbeutung derer, die diese Weltmeisterschaft möglich gemacht haben, unter den Teppich gekehrt. Es ist an der Zeit, dass die FIFA und Katar gemeinsam an einem umfassenden Entschädigungsprogramm arbeiten, das die Arbeitnehmer*innen in den Mittelpunkt stellt“, fordert Agnès Callamard.

Hintergrund

Seit 2010 wurden Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen beim Bau der Stadien, Hotels, Verkehrsmittel und anderer Infrastrukturen, die für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 erforderlich sind, Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitsmigrant*innen in Katar hat beispielsweise illegale Anwerbegebühren von durchschnittlich mehr als 1.300 US-Dollar gezahlt, um sich den Arbeitsplatz zu sichern. Bis vor zwei Jahren waren Arbeitsmigrant*innen in ihrer Möglichkeit eingeschränkt, den Arbeitsplatz zu wechseln oder das Land zu verlassen.

Seit 2018 hat Katar eine Reihe wichtiger arbeitsrechtlicher Reformen eingeführt, die die Rechte der Arbeitnehmer*innen verbessern sollen, doch aufgrund mangelnder Durchsetzung kommt es nach wie vor zu Verstößen. Verbesserungen für Beschäftigte an offiziellen FIFA-Standorten wie z. B. in Stadien wurden 2014 mit den Supreme Committee’s Worker Welfare Standards eingeführt, aber diese Standards werden nicht allgemein eingehalten und gelten nur für eine Minderheit der Hunderttausenden von Beschäftigten an WM-bezogenen Projekten. 2018 startete der Oberste Ausschuss eine Initiative, die u.a. eine Vereinbarung mit Auftragnehmer*innen auf offiziellen WM-Stätten zur Erstattung der Einstellungsgebühren von 48.000 Arbeitnehmer*innen umfasst, wiewohl dies wiederum nur eine Minderheit aller Arbeitnehmer*innen ist, die an für die WM wichtigen Projekten gearbeitet haben.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA: Folgen des Ukraine-Konflikts: „Wenn Brot nicht mehr erhältlich ist, was bleibt dann übrig?“

Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, desto größer wird im Nahen Osten und Nordafrika die Gefahr von Hungersnöten, berichtet CARE Österreich.

Wien, 16. März 2022. Bereits drei Wochen nach Kriegsbeginn in der Ukraine sind der Nahe Osten und Nordafrika, die 50 Prozent des Weizens aus Russland und der Ukraine beziehen, mit verheerenden Auswirkungen konfrontiert. Am stärksten trifft es Länder wie Ägypten, Libanon, Syrien, Jemen, Jordanien und Palästina. Dort kämpft die Bevölkerung ohnehin schon gegen Ernährungsunsicherheit und Hunger. Die derzeit ausfallenden Weizenimporte könnten die Situation in diesen Gebieten nun verschärfen, warnt die Hilfsorganisation CARE Österreich.

„Der Ukraine-Krieg erreicht nun auch den Nahen Osten und Nordafrika – und zwar in Form einer drohenden Hungersnot“, warnt Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von CARE Österreich. „Gewalt, Konflikte, COVID-19, die Auswirkungen des Klimawandels, fehlende Arbeitsplätze: All das führt dazu, dass im Jahr 2022 Millionen von Kindern, Frauen und Männern in der Region hungern müssen. Akut wird die Situation nun durch einen Konflikt, der tausende Kilometer entfernt ist.“

Folgen des Krieges in der Ukraine gehen weit über Europa hinaus
Die Menschen in Ägypten sorgen sich wegen der ansteigenden Lebensmittelpreise und den Auswirkungen der Ereignisse in der Ukraine auf ihre Lebensgrundlage. Das nordafrikanische Land ist ohnehin von Ernährungsunsicherheit betroffen. Weil der heimische Agrarsektor nicht genügend Getreide und Ölsaaten produzieren kann, ist Ägypten einer der größten Weizenimporteure der Welt. 85 Prozent des Weizens kommen aus Russland.

Im Libanon wurde bereits mit der Rationierung von Brot begonnen, weil der Preis dafür kontinuierlich steigt. Zwei Millionen Libanesen, zusätzlich zu einer Million syrischer und palästinensischer Flüchtlinge, leiden jetzt schon unter Nahrungsmittelknappheit. Auch im Libanon ist man stark von Weizenimporten abhängig: 66 Prozent aus der Ukraine und 12 Prozent aus Russland.

„Wenn Brot aber nicht mehr erhältlich ist, was bleibt dann übrig?“
Im Norden Syriens ist jedes fünfte Kind von Mangelernährung betroffen. Syrische Familien müssen um jede Mahlzeit kämpfen, während die Lebensmittelpreise ansteigen. „Seit Beginn des Krieges vor elf Jahren haben die Menschen mit unzähligen Herausforderungen zu kämpfen. Nun müssen sie stundenlang Schlange stehen, um Brot zu bekommen. Bis jetzt die einzige Mahlzeit, die sie sich viele leisten konnten. Wenn Brot aber nicht mehr erhältlich ist, was bleibt dann übrig?“, so Barschdorf-Hager.

Laut neuesten Zahlen des IPC (Integrated Food Security Phase Classification, ein Instrument zur Einstufung von Ernährungsunsicherheit) drohen im Jemen zur zweiten Jahreshälfte etwa 19 Millionen Menschen von Hunger und rund 1,3 Millionen stillende und schwangere Frauen von akuter Unterernährung betroffen zu sein. Eine verheerende Prognose, die durch fehlende Getreide- und Öl-Lieferungen noch dramatischer ausfallen könnte. „Im Jemen herrscht eine der größten humanitären Krisen weltweit. Ende des Monats jährt sich der Krieg im Land zum siebten Mal. Die Menschen haben schlichtweg keine Reserven mehr. Insbesondere für Frauen und Mädchen fehlen Einkommensmöglichkeiten und Perspektiven, daher steigt das Risiko, dass sie sich etwa für sexuelle Dienste anbieten, um überleben zu können“, warnt Barschdorf-Hager.

So hilft CARE: CARE arbeitet seit 1948 im Nahen Osten/Nordafrika und leistet sowohl Nothilfe als auch längerfristige Unterstützung. Der Fokus der humanitären Arbeit liegt dabei auf der Stärkung der Menschen und Maßnahmen zur Krisenanpassung. CARE unterstützt mit Nahrungsmittelhilfe, Hygienehilfe, wirtschaftlicher Stärkung von Frauen sowie dem Schutz gefährdeter Gruppen.

Rückfragehinweis und Interviewanfragen:
Stephanie Weber
Kommunikation
CARE Österreich
A-1080 Wien, Lange Gasse 30/4
Tel.: +43 (1) 715 0 715-42
E-mail: stephanie.weber@care.at
Internet: www.care.at

PA: Katar-WM: Amnesty International übergibt Petition an FIFA

Amnesty International hat mehr als 280.000 Unterschriften von Fußballfans aus aller Welt an die FIFA übergeben, um diese aufzufordern, mehr für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden zu tun, die die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar ermöglichen.

Wien/ Zürich, 14.03.2022. Die FIFA muss die Bedenken der Fußballfans ernst nehmen und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Rechte von Arbeitsmigrant*innen zu verbessern. Die FIFA muss dazu ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und ihren ganzen Einfluss geltend machen, um Katar dazu zu bringen, sein Programm für Arbeitsreformen vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft in weniger als acht Monaten umzusetzen.

Im März 2021 hat Amnesty die FIFA in einem ausführlichen vierseitigen Schreiben an FIFA-Präsident Gianni Infantino aufgefordert, ihren internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte muss die FIFA sicherstellen, dass die Menschenrechte bei der Organisation und Durchführung der Weltmeisterschaft geachtet werden, u. a. durch eine eigene, unabhängige und regelmäßige Überwachung der WM-Projekte und -Standorte sowie durch die Wahrung der Sorgfaltspflicht, um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Turnier zu erkennen und zu verhindern.

Als Ausrichterin der WM ist die FIFA nach internationalen Standards dafür verantwortlich, die mit dem Turnier verbundenen Menschenrechtsrisiken zu minimieren. Je näher das Turnier rückt, desto dringender müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Tausende von Hotelangestellten, Kellner*innen, Taxifahrer*innen, Reinigungskräften und Sicherheitskräften richten, die sowohl an den offiziellen Austragungsorten der Weltmeisterschaft als auch an anderen Standorten tätig sind und entscheidend dazu beitragen, dass alle Fußballspieler, Funktionäre und Fans die WM 2022 in Katar genießen können.

Die in dieser Woche stattfindenden Qualifikationsspiele sind eine Mahnung, dass das Zeitfenster, in dem die FIFA Einfluss auf Katar nehmen kann, immer kleiner wird – sie muss jetzt handeln, um sicherzustellen, dass die Weltmeisterschaft 2022 ein Turnier ist, auf das man stolz sein kann, und nicht eines, das in erster Linie durch Arbeitsrechtsverletzungen von sich reden macht.

Amnesty würdigt die Schritte, die von der FIFA in den letzten Jahren unternommen wurden, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Allerdings zeigen laufende Recherchen von Amnesty, dass es noch etliche Defizite gibt und schwere Arbeitsrechtsverletzungen nach wie vor weit verbreitet sind. Dies macht deutlich, dass noch viel zu tun ist. Die FIFA könnte einen echten Beitrag für die Rechte von Arbeitsmigrant_innen in Katar leisten – aber die Zeit drängt.

Die FIFA und Katar müssen einen soliden Aktionsplan aufstellen, um sicherzustellen, dass Arbeitsmigrant_innen in allen mit der Weltmeisterschaft verbundenen Sektoren angemessen bezahlt und fair behandelt werden und nicht der Willkür ausbeuterischer Arbeitgeber_innen ausgeliefert sind. Insbesondere trägt die FIFA die Verantwortung dafür, dass für alle Schäden, die Arbeitnehmende im Rahmen der bisherigen WM-Projekte erlitten haben, in Zusammenarbeit mit den katarischen Behörden und anderen relevanten Interessengruppen angemessene Abhilfe durch Rechtshilfe und Entschädigungen geschaffen wird.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Antonio Prokscha
Tel.: +43-664-621 10 31
E-Mail: antonio.prokscha@amnesty.at

PA: AMNESTY zu Katar: Noch ein Jahr bis zur WM – jüngste Reformen werden untergraben

Nur noch ein Jahr bis zum Anpfiff der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und Katar muss seine Versprechen einlösen, das Kafala-Sponsorensystem abzuschaffen und die rechtliche Situation der Arbeitsmigrant*innen im Land besser zu schützen, erklärt Amnesty International anlässlich der Veröffentlichung eines neuen Berichts.

16. 11. 2021, London / Wien . Im „Reality Check 2021“ analysiert die Organisation erneut die Veränderungsprozesse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in Katar und kommt zu dem Schluss, dass die Fortschritte im Jahr 2021 stagniert haben. Mehr noch: Alte missbräuchliche Praktiken sind wieder aufgetaucht. Die schlimmsten Elemente des Kafala-Systems, also der Abhängigkeit der Arbeitsmigrant*innen von ihren Arbeitgeber*innen, wurden wieder aufgenommen und so einige der jüngsten Reformen untergraben.

In ihrer Analyse stellte Amnesty International außerdem fest, dass die verspätete oder ausbleibende Zahlung von Löhnen und anderen vertraglichen Leistungen nach wie vor zu den häufigsten Verstößen gegen die Rechte von Arbeitsmigrant*innen in Katar zählt. Dennoch haben diese nach wie vor kaum Zugang zur Justiz, und es ist den Beschäftigten weiterhin untersagt, sich zu organisieren, um gemeinsam für ihre Rechte einzutreten.

Reformen wurden eingeführt – aber nicht ausreichend umgesetzt
Katar hat seit 2017 eine Reihe positiver Reformen zugunsten von Arbeitsmigrant*innen durchgeführt, doch trotz dieser eingeleiteten Prozesse ist der Alltag vieler Arbeitsmigrant*innen in Katar nach wie vor hart und die Ausbeutung geht weiter – was unter anderem daran liegt, dass die Reformen nicht angemessen umgesetzt werden.

Arbeitsmigrant*innen von ihren Arbeitgeber*innen kontrolliert
So hat Katar zwar die Anforderung einer Ausreisegenehmigung und einer Unbedenklichkeitsbescheinigung (No-Objection Certificate – NOC) für die meisten Arbeitsmigrant*innen abgeschafft, sodass sie theoretisch das Land verlassen und den Arbeitsplatz wechseln können, ohne die Zustimmung ihrer Sponsor*innen einzuholen; aber de facto besteht für Arbeitgeber*innen weiterhin die Möglichkeit, den Arbeitsplatzwechsel von Beschäftigten zu blockieren und ihren rechtlichen Status zu kontrollieren. Auch durch die Einbehaltung von Gehältern und Sozialleistungen wird es Beschäftigten erschwert, den Arbeitsplatz zu verlassen. Arbeitsmigrant*innen sind auch weiterhin von ihren Arbeitgeber*innen abhängig, um nach Katar einreisen und sich dort aufhalten zu können – so können Arbeitgeber*innen können nach wie vor Klage wegen „unerlaubtem Verlassen des Arbeitsplatzes“ einreichen und Aufenthaltsgenehmigungen annullieren – Praktiken, die zur Kontrolle der Arbeitskräfte missbraucht werden.

Ausbeutung nach wie vor in massivem Ausmaß
Die Versäumnisse der katarischen Behörden werden auch in Bezug auf die unsicheren Arbeitsbedingungen sichtbar. Trotz der Einführung einiger neuer Schutzmaßnahmen für Arbeiter*innen bestehen nach wie vor große Risiken – so sehen die neuen Verordnungen beispielsweise keine verpflichtenden Ruhezeiten vor, die dem lokalen Klima oder der Art der Tätigkeit angemessen sind, was zu massiven gesundheitlichen Problemen führen kann. Im August 2021 dokumentierte Amnesty International das Versäumnis der katarischen Behörden, den Tod Tausender Arbeitsmigrant*innen zu untersuchen, obwohl es Beweise für einen Zusammenhang zwischen vorzeitigen Todesfällen und unsicheren Arbeitsbedingungen gab.

Amnesty-Forderung: Katarische Behörden müssen Reformprozess dringend beschleunigen
Angesichts der zunehmenden Kritik an der Menschenrechtslage in Katar im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft fordert Amnesty International die Behörden des Gastgeberlandes nun erneut auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um den Reformprozess zu beschleunigen. „Die Uhr tickt, aber es ist noch nicht zu spät, die unterschriebenen Reformvorhaben in Taten umzusetzen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die katarischen Behörden echte Entschlossenheit zeigen und ihr Programm für Arbeitsreformen in vollem Umfang umsetzen. Alle bisherigen Fortschritte werden zunichte gemacht, wenn Katar sich mit einer schwachen Umsetzung der Maßnahmen zufrieden gibt und die für Verstöße Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft zieht“, so Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. Sie findet klare Worte: „Die offensichtliche Selbstgefälligkeit der Behörden führt dazu, dass Tausende von Arbeitsmigrant*innen weiterhin der Gefahr ausgesetzt sind, von skrupellosen Arbeitgeber*innen ausgebeutet zu werden. Viele sind nicht in der Lage, den Arbeitsplatz zu wechseln oder dagegen vorzugehen, wenn Löhne nicht gezahlt werden. Sie haben kaum Hoffnung auf rechtliche Abhilfe, eine Entschädigung oder gar umfassende Gerechtigkeit. Nach der Fußballweltmeisterschaft wird das Schicksal der in Katar verbleibenden Arbeitsmigrant*innen noch ungewisser sein.“

Appell an Veranstalterin FIFA
Amnesty International fordert auch die WM-Veranstalterin FIFA auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die mit dem Turnier verbundenen Menschenrechtsrisiken zu erkennen, zu verhindern, zu mindern und zu beheben. Dazu gehören auch Risiken für Beschäftigte in Branchen wie dem Hotel- und Gastgewerbe und dem Transportwesen, die massiv expandieren, um die Durchführung der Spiele zu erleichtern. Zudem muss die FIFA öffentlich ihre Stimme erheben, um die Regierung von Katar aufzufordern, ihr Programm für Arbeitsreformen noch vor dem Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft umzusetzen.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA: Katar – WM 2022: Todesfälle von Arbeitsmigranten nicht untersucht

Der Tod vieler Arbeitsmigrant*innen in Katar bleibt wegen mangelnder Untersuchungen seitens der Behörden bis heute ungeklärt. In einem neuen Bericht dokumentiert Amnesty International, wie die wahrscheinliche Todesursache – stundenlange Arbeit in extremer Hitze – nicht untersucht und stattdessen pauschal Totenscheine verfasst und die Todesfälle auf „natürliche Ursachen“ oder vage definierte Herzfehler zurückgeführt wurden.

London /Wien, 26. August 2021. Für den neuen Bericht In the Prime of their Lives befragte Amnesty International medizinische Expert*innen und überprüfte die Regierungsangaben zu Tausenden von Todesfällen; außerdem wurden 18 Totenscheine analysiert und die Familien von sechs Männern, die zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 30 und 40 Jahre alt waren, befragt.

15 der 18 Totenscheine enthielten keine Informationen über die zugrundeliegenden Ursachen, stattdessen wurden Bezeichnungen wie „akutes Herzversagen natürlicher Ursache“, „Herzversagen unspezifiziert“ und „akutes Atemversagen aufgrund natürlicher Ursache“ verwendet. Ähnliche Formulierungen wurden in den Berichten für mehr als die Hälfte der 35 Todesfälle verwendet, die seit 2015 als „nicht arbeitsbedingt“ auf den WM-Baustellen verzeichnet wurden. Dies lässt darauf schließen, dass in den betreffenden Fällen wahrscheinlich keine aussagekräftigen Untersuchungen durchgeführt wurden. Dr. David Bailey, ein führender Pathologe und Mitglied der WHO-Arbeitsgruppe zur Bescheinigung von Todesursachen, erklärte gegenüber Amnesty International: „Im Grunde stirbt am Ende jeder an Atem- oder Herzversagen, und die Formulierungen sind ohne eine Erklärung des Grundes dafür bedeutungslos.“

Forderung nach Entschädigungszahlungen an die Familien
„Wenn relativ junge und gesunde Männer nach langen Arbeitsstunden in extremer Hitze plötzlich sterben, wirft dies ernste Fragen über die Arbeitsbedingungen in Katar auf. Den Tod von Arbeitsmigranten nicht zu untersuchen und zu verhindern, ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung Katars, das Recht auf Leben zu wahren und zu schützen“, sagt Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International. „Wir fordern die katarischen Behörden auf, alle Todesfälle von Arbeitsmigranten vollständig zu untersuchen. Wenn die Arbeiter gefährlichen Bedingungen wie extremer Hitze ausgesetzt waren und keine andere Todesursache festgestellt werden kann, muss Katar den Familien eine angemessene Entschädigung zukommen lassen und unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um den Schutz für andere Arbeiter zu verbessern.“

Das Ausmaß der ungeklärten Todesfälle
Die von Amnesty durchgeführte Analyse von Angaben zu Sterbefällen aus verschiedenen Quellen deutet darauf hin, dass die Quote der ungeklärten Todesfälle von Arbeitsmigrant*innen in Katar bei fast 70 Prozent liegen könnte. Statistiken der katarischen Behörden zeigen, dass zwischen 2010 und 2019 mehr als 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben sind. Wie viele davon Arbeitsmigrant*innen waren, die aufgrund der Arbeitsbedingungen starben, lässt sich aus diesen Daten nicht schliessen, da die Todesursachen nicht systematisch erhoben werden. Auch gibt es keine umfassenden Statistiken zu Todesfällen bei allen WM-Projekten. Plötzliche Todesfälle Amnesty untersuchte die Todesfälle von sechs Arbeitsmigranten im Detail: vier Bauarbeiter, ein Wachmann und ein LKW-Fahrer. Bei keinem der Männer waren gesundheitliche Probleme bekannt und alle hatten die vorgeschriebenen medizinischen Tests bestanden, bevor sie nach Katar reisten. Keine der Familien hat nach dem Tod des Angehörigen eine Entschädigung erhalten. Auch wurde keiner der von Amnesty befragten Familien irgendeine Form der Obduktion angeboten, um die eigentliche Todesursache ihrer Angehörigen zu ermitteln. Dies bedeutete, dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Arbeitsbedingungen zum Tod der Angehörigen beigetragen hatten. Somit war die Möglichkeit einer Entschädigung durch den Arbeitgeber oder die katarischen Behörden ausgeschlossen.

Suman Miah, 34 Jahre, arbeitete als Bauarbeiter. Er starb am 29. April 2020, nachdem er eine lange Schicht bei Temperaturen von bis zu 38°C absolviert hatte. Amnesty traf die Familie von Suman Miah, darunter seine beiden kleinen Kinder, in ihrem Haus in Bangladesch. Sie erfuhren von seinem Tod durch seine Kollegen und wurden weder von den katarischen Behörden kontaktiert noch wurde ihnen eine Autopsie angeboten. „Ich konnte die Nachricht zunächst nicht glauben. Ich hatte noch ein paar Stunden zuvor mit ihm gesprochen“, sagte Suman Miahs Frau Sumi Akter. Die bangladeschische Wohlfahrtsbehörde zahlte der Familie von Suman Miah 300.000 bangladeschische Taka (ca. 3.500 US-Dollar), aber diese Summe deckte gerade mal die Schulden, die er durch Anwerbegebühren während seiner Migration nach Katar gemacht hatte.

Hintergrund: Pflicht eines Staates, das Recht auf Leben zu schützen
Die Pflicht eines Staates, das Recht auf Leben zu schützen, sowie seine Verpflichtung, gesunde Arbeits- und Umweltbedingungen zu gewährleisten, muss durch Gesetze oder andere Maßnahmen untermauert werden. Bis vor kurzem bestand der wichtigste Schutz gegen berufsbedingte Hitzebelastungen in Katar in einem Verbot der Arbeit im Freien zu bestimmten Zeiten, nämlich zwischen dem 15. Juni und dem 31. August. Im Mai 2021 verlängerte Katar das Verbot der Sommerarbeitszeit vom 1. Juni bis zum 15. September und führte weitere Vorschriften ein, darunter ein Verbot der Arbeit im Freien, wenn der Index für Hitze und Feuchtigkeit 32 Grad erreicht. Die neuen Rechtsvorschriften geben den Arbeitnehmer*innen auch das Recht, die Arbeit zu unterbrechen und sich beim Ministerium für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales zu beschweren, wenn sie sich Sorgen angesichts der hohen Temperaturen machen.

Professor David Wegman, ein Experte für Gesundheit und Sicherheit im Baugewerbe, erklärte gegenüber Amnesty, dass das neue Gesetz zwar eine Verbesserung darstelle, aber „weit hinter dem zurückbleibe, was für den Schutz der Arbeiter notwendig sei.“ Die neuen Vorschriften sehen keine obligatorischen Ruhezeiten vor, stattdessen wird den Arbeitnehmern das Recht zugestanden, bei heißem Wetter das Arbeitspensum „in ihrem eigenen Tempo zu verrichten“. In Anbetracht der extrem ungleichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen in Katar ist es laut Expert*innen jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitszeiten selbst einteilen.

Verbesserung des gesetzlichen Schutzes notwendig
Amnesty International fordert Katar auf, in seinen Gesetzen zum Schutz der Arbeiter*innen vor extremer Hitze obligatorische Ruhepausen einzuführen sowie die Untersuchung, Zertifizierung und Entschädigung von Todesfällen unter Arbeitsmigrant*innen zu verbessern.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at