Archiv der Kategorie: Menschenrechte

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PA: Welle von Hinrichtungen im Iran: Amnesty International fordert ein sofortiges Ende

Die Menschenrechtsorganisation berichtet von mindestens 251 Hinrichtungen seit Anfang 2022, Todesurteilen nach grob unfairen Gerichtsverfahren, einem Anstieg an Hinrichtungen wegen Drogendelikten und Massenhinrichtungen in überfüllten Gefängnissen.

Wien / London (27. Juli 2022) – Neue Recherchen von Amnesty International und dem Abdorrahman-Boroumand-Zentrum für Menschenrechte im Iran zeigen, dass die iranischen Behörden zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2022 mindestens 251 Menschen hingerichtet haben.

Sollten die Hinrichtungen in der gleichen Geschwindigkeit weitergehen, könnte die Gesamtzahl von 314 Exekutionen im Vorjahr schon bald übertroffen werden, warnten die beiden Menschenrechtsorganisationen.

Es ist gut dokumentiert, dass im Iran systematisch Menschen exekutiert werden, deren Todesurteil in einem grob unfairen Gerichtsverfahren gefällt wurde.

Die meisten der im ersten Halbjahr 2022 Hingerichteten (146 Personen) waren wegen Mordes zum Tode verurteilt worden. Mindestens 86 weitere Menschen wurden wegen Drogendelikten hingerichtet – ein Vergehen, das laut Völkerrecht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden darf. Am 23. Juli wurde in Fars ein Mann öffentlich exekutiert, nachdem öffentliche Hinrichtungen zuvor aufgrund der Pandemie zwei Jahre lang ausgesetzt worden waren.

„Im ersten Halbjahr 2022 ließen die iranischen Behörden im Durchschnitt mindestens eine Person pro Tag hinrichten. Die Staatsmaschinerie führt im ganzen Land massenhaft Tötungen durch und tritt dabei das Recht auf Leben mit Füßen. Die haarsträubende Hinrichtungsrate, die wir im ersten Halbjahr [2022] im Iran beobachtet haben, erinnert auf horrende Weise an 2015, als die Zahl der Exekutionen ebenfalls emporschnellte“, so Diana Eltahawy, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

„Diese erneute Hinrichtungswelle, die auch öffentliche Exekutionen mit einschließt, zeigt einmal mehr auf, dass der Iran nicht auf demselben Kurs ist wie der Rest der Welt – global haben 144 Länder die Todesstrafe im Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Die iranischen Behörden müssen als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe umgehend ein Hinrichtungsmoratorium verhängen“, fordert Roya Boroumand, Geschäftsführerin der iranischen Menschenrechtsorganisation Abdorrahman-Boroumand-Zentrum.

Die vom Abdorrahman-Boroumand-Zentrum und Amnesty International erhobenen Daten beruhen auf einer Reihe unterschiedlicher Quellen wie z. B. auf Angaben von Gefangenen, Verwandten von hingerichteten Personen, Menschenrechtler*innen und Journalist*innen sowie auf Berichten sowohl staatlicher als auch unabhängiger Medien und Menschenrechtsorganisationen.

Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen liegt wahrscheinlich noch höher, da die Behörden Zahlen zu verhängten und vollstreckten Todesurteilen geheim halten.

Massenhinrichtungen in Gefängnissen

Den vorliegenden Informationen zufolge führen die iranischen Behörden seit Anfang 2022 im ganzen Land regelmäßig Massenhinrichtungen durch.

Am 15. Juni 2022 vollzogen die Behörden mindestens zwölf Hinrichtungen im Raja’i-Shahr-Gefängnis in der Provinz Alborz. Zuvor waren im Zahedan-Gefängnis in der Provinz Sistan und Belutschistan am 6. Juni mindestens zwölf Menschen exekutiert worden.

Im Juni 2022 erfuhr Amnesty International von einer gut informierten Quelle, dass im Raja’i-Shahr-Gefängnis – in dem sehr viele Gefangene im Todestrakt einsitzen – seit Beginn des Jahres im Durchschnitt jede Woche fünf Menschen hingerichtet wurden; manchmal fanden bis zu zehn Exekutionen pro Woche statt. Dieselbe Quelle gab an, dass der Staatsanwalt des Raja’i-Shahr-Gefängnisses (dadyar) den Gefangenen kürzlich mitgeteilt habe, dass die Vollstreckungsbehörde sich schriftlich an die Verwandten von etwa 530 Mordopfern gewandt und sie gebeten habe, bis Ende März 2023 zu entscheiden, ob die wegen der Morde verurteilten Personen begnadigt oder hingerichtet werden sollen.

Darüber hinaus gab die Quelle an, dass in den vergangenen Monaten die Oberste Justizautorität Gholamhossein Mohseni Ejei sowie andere hochrangige Justizangehörige wiederholt angedeutet haben, dass die Überbelegung in den Gefängnissen dringend bewältigt werden müsse. Dies lasse befürchten, dass der Anstieg der Hinrichtungen mit den Bemühungen der Behörden zusammenhänge, die überfüllten Gefängnisse zu entlasten.

Erneut zahlreiche Hinrichtungen wegen Drogendelikten

Im ersten Halbjahr 2022 wurden mindestens 86 Personen hingerichtet, die wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt worden waren. Dies erinnert auf grauenhafte Weise an den Zeitraum 2010 bis 2017, als die Behörden scharfe Drogenbekämpfungsmaßnahmen verfolgten und die meisten erfassten Exekutionen auf Drogendelikte zurückgingen.

Von 2018 bis 2020 ging die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten erheblich zurück. Doch 2021 wurden mindestens 132 Menschen aufgrund von Drogendelikten hingerichtet, was 42 % aller erfassten Hinrichtungen ausmachte und einen Anstieg um mehr als das Fünffache gegenüber 2020 (damals 23 Menschen) darstellte.

Die internationale Gemeinschaft – einschließlich die EU und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung – muss dringend auf höchster Ebene einschreiten und die iranischen Behörden auffordern, die Todesstrafe nicht mehr länger auf Drogendelikte anzuwenden. Sie muss sicherstellen, dass ihre Zusammenarbeit mit dem Iran im Rahmen internationaler Maßnahmen gegen den Drogenschmuggel weder direkt noch indirekt zum willkürlichen Entzug des Rechts auf Leben beiträgt – derzeitig das charakteristische Merkmal der iranischen Drogenbekämpfungspolitik.

Bei mindestens 65 (26 %) der im Jahr 2022 bisher hingerichteten Personen handelte es sich um Angehörige der belutschischen Minderheit, die etwa 5 % der iranischen Bevölkerung ausmachen und häufig am Existenzminimum leben. Mehr als die Hälfte von ihnen (38 Personen) wurden wegen Drogendelikten hingerichtet.

Das Abdorrahman-Boroumand-Zentrum und Amnesty International lehnen die Todesstrafe ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder anderer Eigenschaften der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das Recht auf Leben und ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen.

Hintergrund

Im Jahr 2021 fanden im Iran so viele Hinrichtungen statt wie seit 2017 nicht mehr. Der Anstieg begann im September 2021, nachdem die damalige Oberste Justizautorität Ebrahim Raisi das Präsidentenamt übernahm und der Religionsführer den ehemaligen Geheimdienstminister Gholamhossein Mohseni Ejei zur neuen Obersten Justizautorität ernannte.

Die iranischen Behörden ließen 2022 eine Person, 2021 keine, 2020 eine, 2019 13 und 2018 ebenfalls 13 Personen öffentlich hinrichten. Offizielle Angaben lassen darauf schließen, dass im Jahr 2022 mindestens zwei weitere Personen in der Provinz Isfahan und eine Person in der Provinz Lorestan zur öffentlichen Vollstreckung ihrer Todesurteile verurteilt wurden.

Im Iran werden Todesurteile häufig im Zuge von Gerichtsverfahren verhängt, die systematisch internationalen Standards für faire Verfahren zuwiderlaufen und in denen durch Folter erzwungene „Geständnisse“ routinemäßig als Beweismittel eingesetzt werden. Der Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran stellte fest, dass „fest verwurzelte gesetzliche Mängel … bedeuten, dass die meisten, wenn nicht gar alle, Hinrichtungen ein willkürlicher Entzug des Rechts auf Leben sind.“

Laut iranischem Recht ist die Todesstrafe auf zahlreiche Straftaten anzuwenden, u. a. auf Finanzdelikte, Vergewaltigung und bewaffneten Raubüberfall. Ebenfalls mit der Todesstrafe geahndet werden völkerrechtlich geschützte Aktivitäten wie z. B. einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen und außereheliche sexuelle Beziehungen sowie Äußerungen, die nach Ansicht der Behörden „den Propheten des Islam beleidigen“. Auch vage formulierte Straftatbestände wie z. B. „Feindschaft zu Gott“ und „Verdorbenheit auf Erden“ ziehen Todesurteile nach sich.

Für Rückfragen:
Presseteam Amnesty International Österreich
Antonio Prokscha
+43-664-621 10 31
E-Mail: presse@amnesty.at

PA: Amnesty: Äthiopischen Behörden müssen Oromo-Massaker untersuchen

Wien / London (21. Juli 2022) – Nach der Hinrichtung von mehr als 400 amharischen Bewohner*innen in der Region Oromia im Westen Äthiopiens vor rund einem Monat fordert Amnesty International in einer heute veröffentlichten Stellungnahme die äthiopischen Behörden auf, dringend eine unparteiische Untersuchung der Vorgänge zu veranlassen.

Die Organisation hat den Angriff untersucht und mit Angehörigen der Opfer und Überlebenden gesprochen. Dabei berichteten die Befragten übereinstimmend, dass Menschen gezielt getötet und Häuser in Brand gesteckt und geplündert wurden. Eine vom Amnesty International Crisis Evidence Lab durchgeführte Analyse von Satellitenbildern bestätigte die Angaben, dass am 18 Juni in Dörfern in Tole Kebele Feuer ausbrachen. Nach Angaben eines lokalen Behördenvertreters kamen bei dem Angriff mindestens 450 Menschen ums Leben.

Vor allem Frauen und Kinder getötet

Der Angriff begann am 18. Juni gegen 9 Uhr, als viele Erwachsene in der Gegend ihre Häuser verlassen hatten, um ihrer Arbeit nachzugehen. Zeug*innenberichten zufolge seien Dörfer in der Gegend von OLA-Kräften umstellt worden, dann habe es einen Schuss als Startsignal für den Angriff gegeben. Die meisten der in den Häusern zurückgebliebenen und getöteten Personen waren unbewaffnete Frauen und Kinder, die nicht fliehen konnten.

22 Angehörige verloren – unter den Toten auch Neugeborene

Ein 64-jähriger Mann, der bei dem Angriff 22 seiner Angehörigen verloren hatte, erzählte, wie er sei um sein Leben gerannt war, als die Schüsse begannen, während Frauen und Kinder daheim geblieben seien, in dem Glauben, dort sicher zu sein. „An einem Ort haben sie 42 Menschen auf einmal getötet. Darunter war nur ein erwachsener Mann, der Rest waren Frauen und Kinder. Wir haben ihre Leichen übereinander liegend vorgefunden. Unter den Toten waren auch Neugeborene. Von den 42 Toten waren 22 meine Kinder oder Enkel. Eine meiner Töchter starb mit ihren fünf Kindern, die andere mit vier, eine weitere mit fünf und noch eine mit zwei Kindern, einer frisch verheirateten Tochter und einem Sohn.“

Behörden reagierten nicht

Nach Angaben eines von Amnesty International befragten örtlichen Beamten wurde der Angriff sofort den Bezirks- und Regionalbehörden gemeldet, die jedoch nicht reagieren konnten, weil die Straße gesperrt war. Zeugen erzählten, dass die Regierungstruppen während der fünf Stunden, in denen die Täter*innen töteten und Häuser niederbrannten und plünderten, nicht eingriffen. Die Stadt Gimbi, in der die örtliche Bezirksverwaltung ihren Sitz hat, ist nur 49 Straßenkilometer von Tole entfernt. Erst Stunden nach dem Abzug der OLA-Kämpfer trafen Regierungstruppen ein, als Überlebende bereits die Leichen ihrer Angehörigen einsammelten.

„Die allgegenwärtige Kultur der Straflosigkeit in Äthiopien treibt den Kreislauf der Gewalt an. Die Behörden müssen dringend eine glaubwürdige und unabhängige Untersuchung aller im Lande begangenen Gräueltaten anordnen und der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten internationalen Menschenrechtsexpert*innenkommission den Zugang ermöglichen“, so Deprose Muchena, Director for East and Southern Africa bei Amnesty International.

Presseteam Amnesty International Österreich
Eleonore Rudnay
+43-664-400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA: China: Amnesty International drängt UN zur Veröffentlichung des längst überfälligen Berichts über Menschenrechtsverstöße in Xinjiang

Amnesty International dokumentiert Aussagen von Familienangehörigen weiterer fast 50 willkürlich in Xinjiang Inhaftierter. Bericht des UN-Hochkommissariats trotz kürzlichem Chinabesuch wurde noch immer nicht veröffentlicht.

Wien/London, 06.07.2022 – Amnesty International liegen neue Aussagen der Familienangehörigen von 48 weiteren Uigur*innen und Kasach*innen vor, die das Grauen der Inhaftierung in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang in China beschreiben. Die Organisation fordert die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, erneut zum Handeln auf.

Michelle Bachelet, die noch bis August im Amt ist, hat den lang ersehnten Bericht über schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang noch immer nicht veröffentlicht und die von den chinesischen Behörden in der Region begangenen Menschenrechtsverstöße nicht ausreichend verurteilt. Aufgrund dieser Verzögerung geht diese Woche erneut eine Sitzung des UN-Menschenrechtsrats zu Ende, ohne dass die Erkenntnisse der Vereinten Nationen über Xinjiang diskutiert werden konnten.

Die neuen Aussagen von Verwandten der Inhaftierten wurden von Amnesty International in die Kampagne Free Xinjiang Detainees aufgenommen. Die Familienangehörigen von insgesamt 120 Personen, die in Xinjiang in Gefängnissen oder Internierungslagern festgehalten werden, berichten nun im Rahmen der Kampagne über ihre Erfahrungen.

„Die Angaben dieser Familien zeigen anschaulich auf, dass in Xinjiang haarsträubende Taten begangen werden, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen. Viele der Gesprächspartner*innen hatten gleich mehrere inhaftierte Familienmitglieder, was das schiere Ausmaß der Menschenrechtsverstöße verdeutlicht. Ein Mann gab an, dass 40 seiner Verwandten inhaftiert seien“, so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

„China geht seit 2017 mit Masseninhaftierungen, Folter und Verfolgung gegen mehrheitlich muslimische Minderheiten in Xinjiang vor. Die schleppende Reaktion der Vereinten Nationen auf diesen dystopischen Albtraum macht die Lage für die Betroffenen und Überlebenden nur noch schlimmer. Wir fordern die chinesische Regierung nach wie vor auf, alle Internierungslager zu schließen und die Praxis des Verschwindenlassens sowie willkürlicher Inhaftierungen und Misshandlungen zu beenden, ob in Gefängnissen oder an anderen Orten. Zudem muss die Verfolgung von Uigur*innen, Kasach*innen und anderen Minderheiten in Xinjiang aufhören.

Die chinesischen Behörden müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Ein wichtiger Schritt hierfür ist die Veröffentlichung des überfälligen Berichts der Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet, der dringend dem UN-Menschenrechtsrat vorgestellt werden muss. Die Menschenrechtskommissarin ist bisher davor zurückgeschreckt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu verurteilen – dies trägt zusätzlich dazu bei, den Betroffenen Gerechtigkeit vorzuenthalten, und ist eine Schande für das UN-System.“

Auseinandergerissene Familien

Amnesty International sprach vor Kurzem persönlich mit in der Türkei lebenden Verwandten von 48 Inhaftierten. Sie beschrieben, wie ihre Familienangehörigen wegen „terrorismusbezogener“ oder anderer konstruierter Vorwürfe festgenommen wurden, offenbar wegen solch banaler Aktivitäten wie Reisen ins Ausland oder dem Bezahlen einer ausländischen Ausbildung für ihre Kinder. Wieder andere wurden offenkundig lediglich aufgrund ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit inhaftiert.

Die Kasachin Gulaisha Oralbay beschrieb das Schicksal ihres Bruders Dilshat Oralbay, ein pensionierter uigurischer Journalist und Übersetzer, der 2017 auf Geheiß der chinesischen Behörden aus Kasachstan nach Xinjiang zurückkehrte. Direkt nach seiner Rückkehr wurde sein Reisepass eingezogen und wenige Monate später wurde er festgenommen.

„Es gab keine Gerichtsentscheidung, sie steckten ihn einfach ins Gefängnis und sagten, es sei für 25 Jahre“, so Gulaisha Oralbay. „Ich glaube, nicht mal er selbst kennt den Grund. Jemand sagte, es sei, weil er nach Kasachstan gereist war, und ähnliche Ausflüchte. Es gibt keine klare Rechtfertigung oder Begründung.“

Die beiden Schwestern von Gulaisha und Dilshat Oralbay, Bakytgul und Bagila Oralbay, befinden sich ebenfalls in Haft.

Abdullah Rasul sagte Amnesty International, dass sein Bruder Parhat Rasul, ein uigurischer Bauer und Metzger, im Mai 2017 festgenommen und in ein Internierungslager gebracht wurde. Seitdem hat seine Familie keinen direkten Kontakt mehr zu ihm gehabt, doch 2018 erfuhren sie von einer zuverlässigen Quelle, dass Parhat Rasul zu neun Jahren Haft verurteilt worden sei.

Die Familie von Parhat Rasul ist der Überzeugung, dass er nur deshalb festgenommen wurde, weil er praktizierender Moslem ist, der sich gemeinnützig engagierte. Laut Angaben der Familienangehörigen wurden auch seine Frau Kalbinur und seine Schwiegermutter Parizat Abdugul in Haft genommen. Parhat Rasul und Kalbinur haben zwei 14- und 16-jährige Töchter und einen elfjährigen Sohn.

„Sie [die chinesische Regierung] wollen unsere Identität, Kultur und Religion auslöschen“, so Abdullah Rasul. „Ich hoffe, dass alle deutlich sehen können, was in unserem Heimatland passiert.“

Medine Nazimi beschrieb das letzte Mal, als sie die Stimme ihrer Schwester Mevlüde Hilal hörte, Ende des Jahres 2016. Mevlüde Hilal hatte zuvor in der Türkei studiert, kehrte dann aber nach Xinjiang zurück, um ihre kranke Mutter zu unterstützen. Im Jahr 2017 wurde sie in ein Internierungslager gebracht und später offenbar wegen „Separatismus“ zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Sie ist verheiratet und hat eine kleine Tochter.

„Als meine Schwester festgenommen wurde, war meine Nichte Aisha erst ein Jahr alt“, sagte Medine Nazimi. „Wir haben einfach nur unser Leben gelebt und waren eine glückliche Familie. Meine Schwester wurde nur aus einem einzigen Grund inhaftiert: weil sie Uigurin ist.“

Wer die Situation anprangert, setzt sich einem großen Risiko aus. Mehrere Familienangehörige von Inhaftierten beschrieben, wie sie von den Behörden bedroht wurden, weil sie sich öffentlich geäußert hatten.

Abudurehman Tothi, ein in der Türkei lebender uigurischer Geschäftsmann und Aktivist, gab internationalen Medien ein Interview über die Inhaftierung seiner Frau und seiner Mutter und über die willkürliche Festnahme seines Vaters. Er sagte Amnesty International, dass er daraufhin von Vertreter*innen des chinesischen Konsulats in der Türkei kontaktiert und mit Inhaftierung oder dem Tod bei einem „Autounfall“ bedroht wurde.

Umfassende Beweislage

Das brutale Vorgehen der chinesischen Regierung gegen Uigur*innen, Kasach*innen und andere vornehmlich muslimische ethnische Minderheiten in Xinjiang unter dem Deckmantel der „Terrorismusbekämpfung“ wird seit 2017 umfassend dokumentiert.

Amnesty International veröffentlichte 2017 einen Bericht, in dem aufgezeigt wird, dass die chinesischen Behörden systematisch auf Masseninhaftierungen, Folter und Verfolgung zurückgreifen, und dass es sich hierbei um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Dokumentation: Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte

Bericht von der Buchpräsentation und Podiumsdiskussion
vom 5. 5. 2022 des VIDC Global Dialogue.

Die weit verbreitete These, halb Afrika sitze auf gepackten Koffern und wolle am liebsten nach Europa, ist laut Buchautor Olaf Bernau nicht haltbar.

Migration spielt sich innerhalb Westafrikas ab. Nur 15 % verlassen die Region. Ein zweiter Mythos besteht darin, Fluchtursachen nur in den Ländern Afrikas zu verorten. Diese sind auch auf die europäische Ausbeutung des Kontinents, auf ungleiche Handelsbeziehungen und gescheiterte Interventionen zurückzuführen. Afrika trägt wenig zur Klimakrise bei, aber die Menschen leiden unter den Folgen. Die aktuelle Dürre im Sahel hat Millionen von Menschen zu Hilfsempfänger*innen gemacht – sofern sie angesichts der hohen Lebensmittelpreise überhaupt Unterstützung bekommen. Europa sollte ihre Verantwortung eingestehen. Dabei ginge es nicht um Hilfe, sondern um Wiedergutmachung, so die Diskutant*innen Olaf Bernau, Joana Adesuwa Reiterer und Kojo Taylor.

Hier finden Sie den Veranstaltungsbericht der Podiumsdiskussion.

PA: Intransparenz und Unwille beim Menschenrechtsschutz in der Schuh- und Lederwarenindustrie

Fünf von zehn Unternehmen verweigern Auskünfte über ihre Lieferketten, Menschenrechtliche Risiken werden ungenügend adressiert, berichten die NGOs Südwind und INKOTA und starten eine neue Initiative für mehr Transparenz in Leder-Lieferketten.

Wien / Berlin, 10. Juni 2022. Die Produktion von Handtaschen, Schuhen und anderen Lederwaren in Ländern wie Indien, Bangladesch und Pakistan ist weitgehend geprägt von der Missachtung von Arbeitsrechten, einem verantwortungslosen Umgang mit Chemikalien und extrem niedrigen Löhnen.
Die entwicklungspolitischen Organisationen INKOTA und Südwind haben daher bei Branchengrößen von About You über Otto bis hin zu Tamaris und Zalando nachgefragt, wie die Unternehmen die Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten von Lederkleidung und Schuhen garantieren. Der Bericht „Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Praxis“ zeichnet ein düsteres Bild von Intransparenz und mangelndem Bemühen: Fünf von zehn der befragten Schuhunternehmen verweigerten die Auskunft. Darunter auch der Branchenriese Wortmann mit der Marke Tamaris. 
„Gerade in einem Risikosektor wie der Leder- und Schuhherstellung, wo zu Billigstlöhnen und unter gefährlichen Bedingungen gearbeitet wird, müssen Händler und Hersteller ihre Verantwortung wahrnehmen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantieren“, fordert Lieferketten-Expertin Gertrude Klaffenböck von Südwind. „Unternehmen, die sich bedeckt halten, sollten wissen, dass sie damit Vertrauen verlieren. Sie können sich nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Gemeinsam mit der deutschen Partnerorganisation INKOTA startet Südwind die neue Initiative „Für Leder ohne Ausbeutung und fordert volle Transparenz von Schuh- und Lederunternehmen sowie einen klaren Rechtsrahmen in Form eines strengen Lieferkettengesetzes.

Unternehmensbefragung mit bedenklichem Ergebnis
Die Studie verdeutlicht: Bei Lederwaren werden Sorgfaltspflichten noch weniger adressiert als bei Bekleidung und Textilien. „Der Bericht zeigt einmal mehr die großen Lücken der freiwilligen Selbstverantwortung von Unternehmen auf. Ohne strengen Rechtsrahmen ignorieren viele Unternehmen Menschenrechte und Umweltbestimmungen und geben nicht einmal Auskunft darüber“, sagt Gertrude Klaffenböck. 
Zehn in Europa tätige Leder- und Schuhunternehmen wurden seit Sommer 2021 zu ihren Richtlinien und Maßnahmen im Bereich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten befragt. Fünf Unternehmen ARA, Avocado Store, Leder und Schuh, Lorenz Shoe Group und Wortmann / Tamaris, verweigerten die Auskunft. Die anderen fünf – Zalando, Otto Group, About You, Legero united und Görtz – gaben an, ihre Strukturen und Maßnahmen an den Anspruch internationaler Leitlinien wie der OECD oder der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) auszurichten. Die Auswertung zeigt gleichzeitig eine mangelhafte Umsetzung, etwa bei der Umsetzung von Gewerkschaftsfreiheit, existenzsichernden Löhnen und nachhaltigen Einkaufspraktiken. „Die Bemühungen sind nicht ausreichend“, resümiert Südwind-Expertin Klaffenböck.
„Auskünfte zu Risiken und konkreten Maßnahmen der Abhilfe wurden nicht gegeben. In den genutzten Prüfsystemen und Audits wird meist nur der erste Zulieferer untersucht. Somit sind bei den meisten Unternehmen etwa Gerbereien gar nicht Teil der Risikobetrachtung.“

Der aktuelle Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz nimmt eigens auf die besonderen Risikofaktoren der Leder- und Schuhindustrie Bezug. Der neue Bericht von Südwind und INKOTA kommt zum Schluss, dass Unternehmen im Kontext des angekündigten EU-Lieferkettengesetzes zwar mit einer Strategieentwicklung beginnen und sich auf eine Risiko-Analyse vorbereiten. Gleichzeitig fehlt es weitgehend an einer wirkungsorientierten Umsetzung und an nachvollziehbarer Berichtslegung über Beschwerden sowie der Beseitigung von Missständen. Angaben über Risiko-Einschätzungen sind oft mangelhaft, effektive Abhilfe-Mechanismen fehlen zumeist. Die zum Nachweis angegebenen Industriestandards stellen der Öffentlichkeit wenig aussagekräftige Informationen bereit. „Der Schlüssel für bessere Arbeitsbedingungen liegt in der Risikoabschätzung und wirksamen Maßnahmen, um Missstände zu vermeiden“, resümiert Klaffenböck. „Damit Risiken gut erkannt,  Probleme gelöst und präventiv verhindert werden können, bedarf es einer ambitionierten Umsetzung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, mehr Transparenz und einer gesetzlichen Regelung der Haftung.“

„Frag nach“ – Neue Aktion für mehr Transparenz
„Gerade Branchengrößen wie Wortmann/Tamaris, die in ihrem Marketing einen Schwerpunkt auf soziale Verantwortung legen, müssen glaubhaft aufzeigen, wie menschenrechtliche Verantwortung in ihren Lieferketten auch tatsächlich gelebt wird. Kundinnen und Kunden haben ein Recht zu erfahren, wie ihre Schuhe, Accessoirs oder Lederkleidung hergestellt werden“, so  Gertrude Klaffenböck. Südwind fordert von Unternehmen Arbeitsrechte zu respektieren, Lieferketten offenzulegen und eine transparente Berichterstattung über die Risiko-Minimierung öffentlich zugänglich zu machen. Im Zuge der neuen gemeinsamen Initiative „Volle Transparenz – Für Leder ohne Ausbeutung“ können Konsument*innen bei der Aktion „Frag nach: Fair produziert?“ auf einfachem Wege direkt bei Tamaris nachfragen, wo, von wem und unter welchen Arbeitsbedingungen ihre Schuhe und Lederwaren hergestellt wurden.

Link zur Mail-Aktion „Frag nach: Fair produziert?“: www.suedwind.at/fairproduziert

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des Berichts: „Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Praxis

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Rückfragehinweis
Vincent Sufiyan
Kommunikationsleitung Südwind
Tel.: +43 6509677577
Email: vincent.sufiyan@suedwind.at

Gertrude Klaffenböck
Lieferketten-Expertin Südwind
Tel.: +43 676 4460833
Email: Gertrude.Klaffenboeck@suedwind.at

PA: Aktion „Menschenkette gegen Kinderarbeit“ fordert gesetzliche Verpflichtungen gegen Kinderarbeit

Anlässlich des Welttags gegen Kinderarbeit am 12. Juni präsentiert die Initiative „Kinderarbeit stoppen“ den beachtlichen Zwischenstand der Mitmachaktion „Menschenkette gegen Kinderarbeit“.

Gemeinsam mit knapp 1.000 Menschen, die sich bereits mit ihrer persönlichen Botschaft der „Menschenkette gegen Kinderarbeit“ angeschlossen haben, fordert die Initiative – bestehend aus FAIRTRADE Österreich, Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, weltumspannend arbeiten (ÖGB), Jugend Eine Welt, Kindernothilfe Österreich sowie Butterfly Rebels – von österreichischen Regierungsmitgliedern und Parlamentarier*innen ein strenges Lieferkettengesetz, das effektiv gegen Kinderarbeit wirkt. Jeder einzelne Beitrag zur Menschenkette gegen Kinderarbeit ist eine klare Forderung und ein Auftrag an die Politik, gegen ausbeuterische Kinderarbeit aktiv zu werden. Die Beiträge, die auf www.kinderarbeitstoppen.at einsehbar sind, ergeben in Summe bereits eine Menschenkette vom Justizministerium bis zum Haus der EU und zeigen die starke Unterstützung der österreichischen Zivilgesellschaft.

Weltweit sind rund 160 Millionen Kinder von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen. Besonders besorgniserregend ist der erstmalige Anstieg dieser Zahl seit 20 Jahren. Am 23. Februar wurde von der Europäischen Kommission ein Vorschlag für eine EU-Richtlinie für menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten vorgelegt. Damit sollen Unternehmen verpflichtet werden, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung entlang ihrer Lieferkette bestmöglich zu verhindern. Der Richtlinienvorschlag ist ein Meilenstein, jedoch ist der Weg zur Ziellinie noch ein weiter. „Damit das Gesetz noch umfassender gegen ausbeuterische Kinderarbeit wirken kann, benötigt es intensive weitere Verhandlungen und Verbesserungsschritte, wie die Ausweitung auf alle Unternehmen und deren gesamte Lieferkette, die Miteinbeziehung von Betroffenen in den gesamten Prozess sowie spezielle Vorkehrungen zum Schutz von Kindern“, sagt Hartwig Kirner für das Bündnis „Kinderarbeit stoppen“.

FAIRTRADE Österreich verbietet in seinen Standards ausbeuterische Kinderarbeit explizit. Die Einhaltung dieser Grundregel wird regelmäßig von einer unabhängigen Kontrollstelle überprüft. Doch freiwillige Standards alleine reichen nicht aus: „Es braucht vor allem auch politische und gesetzliche Rahmenbedingungen, um ausbeuterische Kinderarbeit weltweit zu beenden“, so Kirner weiter.

Das Bündnis „Kinderarbeit stoppen” appelliert darum an österreichischen Regierungsmitglieder und Parlamentarier*innen, den Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit zu einer politischen Priorität zu machen und sich aktiv für ein strengeres Lieferkettengesetz einzusetzen. Damit faire Produkte – frei von ausbeuterischer Kinderarbeit – auf unseren Tellern und in unseren Kleiderschränken landen.

Hier kann man sich mit wenigen Klicks der “Menschenkette gegen Kinderarbeit” anschließen: www.kinderarbeitstoppen.at/mach-mit

Kontakt für Rückfragen:
Mag. Bernhard Moser
bernhard.moser@fairtrade.at
+43 664 526 74 65

PA: Welttag gegen Kinderarbeit: Ohne starkes Lieferkettengesetz ist keine Besserung in Sicht

Landwirtschaft bleibt größter Problemsektor, nationale Regeln sind oft wirkungslos – Südwind fordert ein starkes Lieferkettengesetz und Aus für Produkte aus Kinderhänden  

Wien, 8. Juni 2022: Im Vorfeld des Welttags gegen Kinderarbeit am 12. Juni verweist Südwind auf Untätigkeit und falsche Strategien im Kampf gegen die weltweite Kinderarbeit.

Die österreichische Menschenrechtsorganisation fordert verbindliche, international gültige Regeln für Unternehmen und Konzerne. „Solange Unternehmen keine rechtlichen Konsequenzen fürchten müssen, wird die Ausbeutung von Kindern weiterhin ihren Weg in unsere Supermarktregale finden“, sagt Stefan Grasgruber-Kerl, Menschenrechts-Experte bei Südwind. „Die Politik muss endlich Ernst machen! Anstelle von freiwilliger Selbstverpflichtung braucht es wirksame Strafen für Unternehmen, die Kinderarbeit in ihren Lieferketten ermöglichen.“

Der aktuelle EU-Richtlinienentwurf für ein Lieferkettengesetz ist davon noch weit entfernt: Nur 0,2 Prozent der europäischen Unternehmen werden darin in die Pflicht genommen. Südwind fordert daher von Justizministerin Alma Zadić und Wirtschaftsminister Martin Kocher vollen Einsatz für umfassende Nachschärfungen. „Für ein effektives Lieferkettengesetz muss die gesamte Lieferkette von Unternehmen aller Größen abgedeckt und eine zugängliche Durchsetzung des Rechts ermöglicht werden“, so Grasgruber-Kerl.  

Nach aktueller Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des Kinderhilfswerks UNICEF sind weltweit knapp 160 Millionen Buben und Mädchen Kinderarbeiter*innen. Damit stagniert die Zahl, nachdem zuletzt sogar ein Anstieg verzeichnet wurde.

Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind gefährlichen Arbeitsbedingungen, schlechter Behandlung oder Gewalt ausgesetzt. Sie werden ihrer Rechte auf Gesundheit und Kindheit beraubt, in den extremsten Fällen versklavt, ihrer Familie entrissen und lebensbedrohenden Gefahren ausgesetzt.  

Problemsektor: Landwirtschaft
Der größte Problemsektor im Kampf gegen die weltweite Kinderarbeit ist die Landwirtschaft. Besonders prekär ist die Lage im Kakaoanbau. „Die großen Schokoladenkonzerne haben sich schon vor 20 Jahren Ziele selbst vorgegeben, diese wenig später dennoch verwässert und am Ende verfehlt. Viele internationale Marken üben weiterhin gewaltigen Preisdruck auf die Produzent*innen aus und befeuern damit Missstände wie Kinderarbeit“, sagt Stefan Grasgruber-Kerl. „Gerade weil die nationale Gesetzgebung gegen Kinderarbeit in vielen Ländern nicht durchsetzungsfähig ist, kommt internationalen Regelwerken wie einem EU-Lieferkettengesetz eine besonders große Bedeutung zu.“  

Südwind ist Mitglied der Treaty Alliance und fordert mit der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“ ein Lieferkettengesetz in Österreich und der EU sowie Unterstützung für das UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten.  

Mehr Infos zur Kampagne: www.menschenrechtebrauchengesetze.at

Rückfragehinweis: Silvia Haselhuhn, M.A.
Pressesprecherin Südwind
Silvia.haselhuhn@suedwind.at 
0680 1583016

PA: Todesstrafen-Bericht 2021: Hinrichtungen und Todesstrafen-Urteile stiegen weltweit an

Lockerungen der Coronamaßnahmen führten weltweit zu mehr Exekutionen, berichtet Amnesty International.

Wien/London, 24.05.2022 – Der neue Bericht von Amnesty International zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe zeigt für 2021 eine besorgniserregende Zunahme von Todesurteilen und Hinrichtungen. Mit der Aufhebung von Coronamaßnahmen fällten Gerichte im vergangenen Jahr wieder mehr Todesurteile. In manchen Ländern sind Exekutionen wieder an der Tagesordnung. Mindestens 579 Hinrichtungen in 18 Staaten dokumentierte Amnesty International im vergangenen Jahr – verglichen mit dem Vorjahr ist das ein trauriges Plus um 20 Prozent.

„Statt auf den Hinrichtungsstopps von 2020 aufzubauen, zeigten einige Staaten einen besorgniserregenden Enthusiasmus für staatliche Tötungen und stellten die Todesstrafe über wirksame Lösungen. Damit missachten sie das Recht auf Leben auf grausame Weise – und das inmitten von dringenden und anhaltenden weltweiten Menschenrechtskrisen,“ so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

Trotz dieser Rückschläge stellt die Anzahl dokumentierter Hinrichtungen des vergangenen Jahres nach 2020 den zweitniedrigsten Hinrichtungsstand weltweit dar, den Amnesty seit mindestens 2010 aufgezeichnet hat. Insgesamt zählen die Zahlen von 2021 zu den niedrigsten, die die Menschenrechtsorganisation seit der ersten weltweiten Datenerhebung zur Todesstrafe 1979 erfasst hat. Die Veränderungen bezüglich Informationszugang, Territorienverschiebung sowie Methodologie über die Jahrzehnte hinweg machen es jedoch schwierig, weit auseinanderliegende Zahlen akkurat zu vergleichen.

Starker Anstieg von Exekutionen im Iran: Drogendelikte werden mit Todesstrafe geahndet

Für den größten Teil des Anstiegs war der Iran verantwortlich, wo mindestens 314 Menschen hingerichtet wurden (nach mindestens 246 im Jahr 2020), so viele wie seit 2017 nicht mehr. Diese steigenden Zahlen sind teilweise darauf zurückzuführen, dass die iranischen Behörden Drogendelikte vermehrt mit der Todesstrafe ahndeten – was einer offenkundigen Verletzung des Völkerrechts gleichkommt, laut dem Todesurteile nur für die schwerwiegendsten Verbrechen wie z. B. vorsätzliche Tötung verhängt werden dürfen. Außerdem vollstreckte der Staat mehr bekannte Todesurteile gegen Frauen: von neun im Jahr 2020 stieg die Zahl 2021 auf 14. Zudem setzten sich die iranischen Behörden erneut erbarmungslos über Kinderrechte hinweg: Sie ließen drei Menschen hinrichten, die zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Straftat unter 18 Jahre alt waren. Auch damit verstößt der Iran gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen.

Saudi-Arabien: Doppelt so viele Hinrichtungen wie im Jahr zuvor

In Saudi-Arabien verdoppelte sich die Zahl der Hinrichtungen von 27 im Jahr 2020 auf 65 im Jahr 2021 – eine düstere Entwicklung, die auch 2022 nicht abreißt: An einem einzigen Tag im März 2022 ließ die Regierung 81 Menschen hinrichten. „Nach sinkenden Hinrichtungszahlen im Jahr 2020 fuhren der Iran und Saudi-Arabien ihre Hinrichtungsapparate 2021 wieder hoch. Damit verstießen sie gegen völkerrechtlich verbindliche Verbote“, kritisierte Agnès Callamard scharf.

Neben der steigenden Hinrichtungszahl in Saudi-Arabien waren auch in folgenden Staaten erheblich mehr Exekutionen zu beobachten: Somalia (von mind. 11 auf mind. 21), Südsudan (von mind. 2 auf mind. 9) und Jemen (von mind. 5 auf mind. 14). In Belarus (mind. 1), Japan (3) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (mind. 1) wurden nach Hinrichtungsstopps im Vorjahr erneut Todesurteile vollstreckt.

Bilanz ohne China, Nordkorea und Vietnam – dort vermutliche Tausende Hinrichtungen vollzogen

Wie bereits in den Vorjahren sind in der Bilanz von Amnesty International keine Angaben zu China, Nordkorea und Vietnam enthalten. Amnesty International geht aber davon aus, dass Tausende Hinrichtungen in China und eine beträchtliche Zahl in Nordkorea und China vollzogen wurden. Die Regierungen dieser drei Staaten halten Angaben zur Todesstrafe unter Verschluss und behandeln sie als Staatsgeheimnis, sodass eine unabhängige und genaue Überprüfung unmöglich ist; der eingeschränkte Zugang zu Informationen erschwert dies zusätzlich. Für diverse andere Staaten sind die dokumentierten Zahlen als Mindestwerte anzusehen; die tatsächliche Zahl ist in der Realität oft höher. Agnès Callamard: „China, Nordkorea und Vietnam versuchten weiterhin, ihren Einsatz der Todesstrafe hinter verschlossenen Türen und Geheimniskrämerei zu verbergen. Das wenige, das die Welt erfährt, lässt jedoch auf Schlimmes schließen.”

Todesurteile um 40 Prozent gestiegen

Stark gestiegen ist auch die Zahl der ausgesprochenen Todesurteile: Weltweit wurden beinahe 40 Prozent mehr Todesurteile verhängt als 2020. In 56 Staaten verurteilten Gerichte mindestens 2.052 Menschen zum Tode. Der Anstieg war besonders markant in Bangladesch (von mind. 113 auf mind. 181), Indien (von 77 auf 144) und Pakistan (von mind. 49 auf mind. 129), außerdem in Ägypten (von mind. 264 auf mind. 356), der Demokratischen Republik Kongo (von mind. 20 auf mind. 81), dem Irak (von mind. 27 auf mind. 91), Jemen (von mind. 269 auf mind. 298), Myanmar (von mind. 1 auf mind. 86) und Vietnam (von mind. 54 auf mind. 119).

Todesstrafe als Instrument von staatlicher Repression

Amnesty International beobachtete, dass im vergangenen Jahr die Todesstrafe in zahlreichen Staaten als Instrument der staatlichen Repression von Minderheiten und Demonstrierenden eingesetzt wurden. Die verantwortlichen Regierungen verstießen damit gegen Einschränkungen für die Anwendung der Todesstrafe, die laut Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsstandards gelten.

So war etwa die Militärregierung in Myanmar für einen besorgniserregenden Anstieg in der Anwendung der Todesstrafe verantwortlich. Das Militär stellte unter dem herrschenden Kriegsrecht Zivilpersonen vor Militärgerichte, wo sie in Eilverfahren zum Tode verurteilt wurden und keine Rechtsmittel einlegen konnten. In einer augenscheinlich gezielten Repressionskampagne gegen Demonstrierende und Journalist*innen verurteilten die Behörden beinahe 90 Menschen willkürlich zum Tode; mehrere von ihnen wurden in Abwesenheit verurteilt.

Die ägyptischen Behörden verurteilten viele Menschen in unfairen Gerichtsverfahren vor Staatssicherheitsgerichten zum Tode und griffen auch weiterhin auf Folter und Massenhinrichtungen zurück.

Im Iran wurden überdurchschnittlich viele Todesurteile gegen Angehörige ethnischer Minderheiten ausgesprochen, u. a. wegen vage formulierter Anklagepunkte wie „Feindschaft zu Gott“. Mindestens 19 Prozent der 61 exekutierten Menschen waren Angehörige der ethnischen Minderheit der Belutsch*innen. Sie stellen nur ca. fünf Prozent von Irans Gesamtbevölkerung dar.

Positive Entwicklung in Richtung Abschaffung der Todesstrafe

Trotz dieser beunruhigenden Daten konnten positive Anzeichen für eine Entwicklung hin zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe beobachtet werden. Die Anzahl an Staaten, von denen bekannt ist, dass sie die Todesstrafe anwendeten, blieb das zweite Jahr in Folge auf dem tiefsten Marker seit der ersten Datenerfassung von Amnesty International im Jahr 1979. So verabschiedete das Parlament von Sierra Leone im Juli einstimmig eine Gesetzesänderung, die die Todesstrafe für sämtliche Straftaten abschafft – sie muss jedoch erst noch in Kraft treten. Auch in Kasachstan wurde das Gesetz im Dezember geändert, sodass keine Straftaten mehr mit der Todesstrafe geahndet werden können. Die Gesetzesänderung trat Anfang 2022 in Kraft. Auch Papua-Neuguinea unternahm entsprechende Schritte: 2021 fanden Beratungen statt, und im Januar 2022 wurde ein Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe angenommen – die Gesetzesänderung ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Die malaysische Regierung kündigte an, im dritten Quartal 2022 geplante Rechtsreformen zur Todesstrafe zu vorzulegen. In der Zentralafrikanischen Republik und in Ghana wurden rechtliche Prozesse zur Abschaffung der Todesstrafe eingeleitet, die noch im Gange sind.

In den USA schaffte der Bundesstaat Virginia schaffte 2021 als 23. Staat (und als erster Südstaat) die Todesstrafe ab. Für das dritte Jahr in Folge wurden im Bundesstaat Ohio alle geplanten Hinrichtungen verschoben oder ausgesetzt. Zudem gab die neue US-Regierung im Juli bekannt, dass sie alle Hinrichtungen auf Bundesebene bis auf Weiteres aussetzen würde. 2021 war daher seit 1988 das Jahr mit den wenigsten Exekutionen in den USA.

„Welt ohne staatliches Töten in unmittelbarer Reichweite“
Ende 2021 hatten mehr als zwei Drittel aller Staaten die Todesstrafe abgeschafft. Agnès Callamard: „Eine Welt ohne staatliches Töten ist nicht nur vorstellbar, sondern in unmittelbarer Reichweite. Wir werden weiterkämpfen und die inhärente Willkür, Diskriminierung und Grausamkeit der Todesstrafe anprangern, bis niemand mehr zum Tode verurteilt wird. Es ist höchste Zeit, die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen in die Geschichtsbücher zu verbannen!“


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Eine deutschsprachige Kurzversion des Todesstrafen-Berichts finden Sie hier.
Den vollständigen Todesstrafen-Bericht auf Englisch finden Sie hier.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

Veranstaltungshinweis: „Corona & Arbeitsausbeutung im Globalen Süden“

Welchen Beitrag kann ein EU-Lieferkettengesetz leisten, um Arbeiter:innen in Zukunft besser zu schützen? Wie wirkte sich die Pandemie auf Arbeiter:innen in unterschiedlichen Sektoren aus? Diese und viele weitere spannende Fragen werden im Zuge der Veranstaltung von Netzwerk Soziale Verantwortung, Clean Clothes und Südwind diskutiert.

Der Ausbruch der Covid19-Pandemie und die damit einhergehenden Folgen stellten unsere Welt auf den Kopf. Weltweit hatte die Krise verheerende Folgen für Arbeiter:innen, insbesondere für jene, die bereits vor der Krise von Ausbeutung betroffen waren und keinen Zugang zum Gesundheitssystem hatten. Die Pandemie verschärfte die bereits bestehenden Missstände eklatant: so stornierten zahlreiche Modemarken ihre Bestellungen bei ihren Zulieferbetrieben im Globalen Süden oder weigerten sich für bereits produzierte Waren zu zahlen. In weiterer Folge verloren tausende Arbeiter:innen ihren Arbeitsplatz. Arbeiter:innen weltweit sind von Lohndiebstahl betroffen, werden nicht ausreichend vor Corona geschützt und Proteste von Gewerkschaften werden mit Gewalt beantwortet.

Mit Inputs von:
Tina Rosenberger (NeSoVe)
Gertrude Klaffenböck (Clean Clothes Kampagne)

Datum & Uhrzeit: 31.5., 18:30
Ort: VHS Praterstern, Heinestraße 41, 1020 Wien, (Zugang zum Saal durch den Hof)

Anmeldung: office@nesove.at

PA: Katar: FIFA soll Millionen Dollar für ausgebeutete Arbeitsmigrant*innen zahlen

Preisgelder in Höhe von 440 Millionen Dollar warten bei der Fußball-WM in Katar auf die teilnehmenden Mannschaften. Entschädigungen in mindestens derselben Höhe soll die FIFA für Hunderttausende Arbeitsmigrant*innen bereitstellen, deren Menschenrechte im Zuge der Vorbereitungen auf die WM verletzt wurden, fordert Amnesty International in einem neuen Bericht sechs Monate vor Beginn der WM.

Wien/London, 19.05.2022 – In einem offenen Brief gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen und Fan-Gruppen fordert Amnesty International den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino auf, gemeinsam mit Katar ein umfassendes Wiedergutmachungsprogramm aufzusetzen. Der Weltfussballverband und Katar müssen abgesehen von den Entschädigungszahlungen auch sicherstellen, dass sich diese Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholen, weder in Katar noch bei zukünftigen Turnieren. Als Entschädigungssumme für die zahlreichen Menschenrechtsverstöße, die seit 2010 begangen wurden, soll die FIFA laut Forderung der Organisationen nicht weniger als den Betrag der Preisgelder dieser WM in Höhe von 440 Millionen Dollar bereitstellen.

„Nach internationalem Recht und dem Regelwerk der FIFA haben sowohl Katar als auch die FIFA jeweils die Pflicht und die Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und den Betroffenen Abhilfe bereitzustellen. Der von Amnesty International und anderen geforderte Wiedergutmachungsfonds ist angesichts des Ausmaßes der erlittenen Verstöße völlig gerechtfertigt und ist nur ein kleiner Teil der sechs Milliarden Dollar, die die FIFA mit dem Turnier einnehmen wird“, betont Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, angesichts des heute veröffentlichten Berichts und offenen Briefs.

FIFA trägt Mitverantwortung an den Menschenrechtsverstößen in Katar

2010 hatte die FIFA Katar die Austragung der Weltmeisterschaft zugesprochen, ohne im Gegenzug auch nur die geringste Verbesserung des Arbeitsschutzes zu fordern. „Angesichts der Geschichte von Menschenrechtsverletzungen in Katar wusste die FIFA um die offensichtlichen Gefahren für die Arbeitnehmer*innen – oder hätte davon wissen müssen –, als sie dem Land den Zuschlag für das Turnier gab. Dennoch wurden in der Bewertung der katarischen Bewerbung die Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt, und es wurden keine Bedingungen für den Schutz der Arbeitnehmer*innen gestellt“, kritisiert Callamard. „Die FIFA hat seitdem viel zu wenig getan, um derartige Gefahren zu auszuschließen oder zu mindern. Indem sie die Augen vor vorhersehbaren Menschenrechtsverletzungen verschlossen hat und sie nicht stoppte, hat sie unbestreitbar zu den Menschenrechtsverstößen gegen Arbeitsmigrant*innen beigetragen, die an Projekten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft in Katar beteiligt waren.“

Entschädigungssumme könnte sogar noch höher sein

Nach Schätzungen von Amnesty International dürfte die Summe von 440 Millionen Dollar das Minimum sein, um eine Reihe von Entschädigungszahlungen zu decken und Initiativen zum Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte in der Zukunft zu unterstützen. Die Gesamtsumme für die Erstattung nicht gezahlter Löhne, die von Hunderttausenden von Arbeitnehmer*innen gezahlten erpresserischen Vermittlungsgebühren und die Entschädigung für Verletzungen und Todesfälle könnte auch höher ausfallen und sollte im Rahmen eines partizipativen Prozesses mit Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen ermittelt werden.

Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen nicht erfüllt

„Es mag zu spät sein, um das Leid vergangener Menschenrechtsverstöße zu lindern, aber die FIFA und Katar können und müssen handeln, um Wiedergutmachung zu leisten und weitere Verstöße zu verhindern. Die Entschädigung der Arbeiter*innen, die so viel für die Realisierung der WM 2022 getan haben, und die Ergreifung von Maßnahmen, die sicherstellen, dass solche Verstöße nie wieder vorkommen, könnten einen wichtigen Wendepunkt im Umgang der FIFA mit den Menschenrechten darstellen“, so Agnès Callamard.

Gemäß der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und ihren eigenen Vorschriften muss die FIFA Menschenrechtsverletzungen beseitigen, zu denen sie beigetragen hat. Diese Verantwortung sollte sich laut Amnesty nicht nur auf die Arbeitnehmer*innen erstrecken, die fußballspezifische Einrichtungen wie Stadien und Trainingsplätze, von der FIFA akkreditierte Hotels und das Übertragungszentrum bauen, sondern auch auf die für den Betrieb dieser Einrichtungen erforderlichen Dienstleistungen, inklusive Arbeitnehmer*innen, die am Bau und an der Instandhaltung der Verkehrs-, Unterkunfts- und sonstigen Infrastruktur beteiligt sind.

Auch der Staat Katar ist verpflichtet, für die Wiedergutmachung jeder Menschenrechtsverletzung in seinem Hoheitsgebiet zu sorgen, unabhängig davon, ob sie mit der Fußballweltmeisterschaft zusammenhängt oder nicht. Zwar wurden durch die Initiativen des Supreme Committee for Delivery and Legacy, die für die Planung und Durchführung der Weltmeisterschaft zuständigen katarischen Behörde, und das begrüßenswerte Arbeitsreformprogramm Katars einige Fortschritte erzielt, doch ihr begrenzter Geltungsbereich und ihre geringe Umsetzung haben dazu geführt, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen fortbestehen und Arbeitsmigrant*innen nur eingeschränkt Zugang zu Rechtsmitteln haben, so die Analyse von Amnesty International. „Jahrelang wurde die Ausbeutung derer, die diese Weltmeisterschaft möglich gemacht haben, unter den Teppich gekehrt. Es ist an der Zeit, dass die FIFA und Katar gemeinsam an einem umfassenden Entschädigungsprogramm arbeiten, das die Arbeitnehmer*innen in den Mittelpunkt stellt“, fordert Agnès Callamard.

Hintergrund

Seit 2010 wurden Hunderttausende von Arbeitsmigrant*innen beim Bau der Stadien, Hotels, Verkehrsmittel und anderer Infrastrukturen, die für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 erforderlich sind, Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitsmigrant*innen in Katar hat beispielsweise illegale Anwerbegebühren von durchschnittlich mehr als 1.300 US-Dollar gezahlt, um sich den Arbeitsplatz zu sichern. Bis vor zwei Jahren waren Arbeitsmigrant*innen in ihrer Möglichkeit eingeschränkt, den Arbeitsplatz zu wechseln oder das Land zu verlassen.

Seit 2018 hat Katar eine Reihe wichtiger arbeitsrechtlicher Reformen eingeführt, die die Rechte der Arbeitnehmer*innen verbessern sollen, doch aufgrund mangelnder Durchsetzung kommt es nach wie vor zu Verstößen. Verbesserungen für Beschäftigte an offiziellen FIFA-Standorten wie z. B. in Stadien wurden 2014 mit den Supreme Committee’s Worker Welfare Standards eingeführt, aber diese Standards werden nicht allgemein eingehalten und gelten nur für eine Minderheit der Hunderttausenden von Beschäftigten an WM-bezogenen Projekten. 2018 startete der Oberste Ausschuss eine Initiative, die u.a. eine Vereinbarung mit Auftragnehmer*innen auf offiziellen WM-Stätten zur Erstattung der Einstellungsgebühren von 48.000 Arbeitnehmer*innen umfasst, wiewohl dies wiederum nur eine Minderheit aller Arbeitnehmer*innen ist, die an für die WM wichtigen Projekten gearbeitet haben.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Mag. Eleonore Rudnay
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