Endspurt für Weltentwicklungsziele

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Im Jahr 2000 unterzeichneten 189 Staaten auf dem UN-Millenniumsgipfel die Millenniumserklärung. Die im Anschluss formulierten Ziele, die Millennium Development Goals (MDGs), sollten bis 2015 erreicht sein. Eine Bilanz.

 Von Christina Bell

(Wien, 22.12.2014). 8 Ziele, 21 Unterziele, 60 Indikatoren. Mit den Millennium Development Goals (MDGs – siehe z.B. hier) sagte die internationale Gemeinschaft unter anderem Armut, Kinder- und Müttersterblichkeit sowie tödlichen Krankheiten wie AIDS und Tuberkulose den Kampf an. Die mdgs_deZielsetzungen, die durchaus umstritten waren, wurden zu internationalen Leitlinien der Entwicklungszusammenarbeit, an denen sich Entwicklungsprojekte in Kenia genauso orientierten wie Gesundheitsreformen in Brasilien oder Fraueninitiativen in Indien.

Die Bilanz, soviel steht fest, wird durchwachsen ausfallen: Als größte Errungenschaft gilt die Erreichung des ersten Ziels, die Halbierung des Anteils der in Armut lebenden Menschen. Das gelang bereits 2010. Hierfür zeichnet allerdings weniger die Entwicklungszusammenarbeit als vor allem das rasante Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern China und Indien verantwortlich, wie der Entwicklungszusammenarbeits-Praktiker Friedbert Ottacher unlängst in einem Artikel im Südwind-Magazin festhielt.

(Teil-)Erfolge konnten auch beim Thema Bildung, konkret bei den Einschulungsraten, sowie bei Kinder- und Müttersterblichkeit erzielt werden.

Wenig erreicht wurde hingegen im Bereich ökologische Nachhaltigkeit (MDG7): Weder eine deutliche Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes, noch ein Stopp des Artensterbens gelang der internationalen Gemeinschaft in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten.

Insgesamt ist die Hoffnung, die man mit den Zielen verband, über die Jahre zunehmend einer Skepsis gewichen. Vor allem die Zusagen der reichen Länder enttäuschten. Dabei nahm sowieso nur eines von acht Milleniumszielen direkt die Industrieländer in die Pflicht: MDG 8, der Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft. Dieses war zudem so vage gehalten, dass es sich de facto nicht überprüfen lässt.

Messbar sind hingegen die finanziellen Beiträge zur Umsetzung der MDGs. Die Hilfszahlungen der Industrieländer erreichten 2013 zwar einen Höchststand, wie auch Johannes Trimmel in einem Interview erklärt. Die Zahlungen verfehlen aber die seit Jahrzehnten immer wieder in Aussicht gestellten 0,7 Prozent des BIP bei weitem. Zudem ist die Unterstützung für die ärmsten Entwicklungsländer rückläufig.

Zu den Stärken der MDGs zählten ihre Mobilisierungskraft und recht gute Kommunizierbarkeit, wie Jens Martens in einem Bericht zu globalen Nachhaltgkeitszielen argumentiert: Die MDGs lenkten mit einfacher Sprache die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Armutsbekämpfung. Dass der Publicity keine echten Lösungsansätze folgten, kritisiert unter anderem die nigerianische Wissenschaftlerin und Bloggerin Chika Ezeanya.

Vieles soll nun anders werden. Die Vorbereitungen der Nachfolge-Agenda laufen auf Hochtouren. Fest steht bereits eine Zusammenführung mit den parallel in Planung befindlichen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) deren Schaffung bei der Rio+20-Konferenz 2012 festgelegt worden war. Seit Juli gibt es den Draft – er überzeugte nicht alle.
Beschlossen werden die Ziele, die wie ihre Vorgänger, die MDGs nicht rechtlich bindend sein werden, nach einer weiteren Überarbeitungsphase im September 2015.


Christina Bell ist Redakteurin beim Südwind-Magazin. Die Journalistin, die ein Master-Degree in Human Rights besitzt, zeichnete für einen Schwerpunkt zu den MDGs verantwortlich (siehe Südwind-Magazin 11/2014)

Globale Nachhaltigkeitsziele für die Post-2015-Entwicklungsagenda von Jens Martens

Abschied von der Führungsrolle von Andreas Novy

Blog von Chika Ezeanya, geboren in Nigeria, Wissenschaftlerin, Autorin und Bloggerin: www.chikaforafrica.com

Die Post-2015-Agenda. Reform oder Transformation?, Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung

Der jüngste MDG-Bericht der Vereinten Nationen

 

Entwicklung tagt in Salzburg

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A4Die 6. Österreichische Entwicklungstagung findet von 14. bis 16. November 2014 an der Universität Salzburg statt. Sie ist ein wichtiger Event innerhalb der Szene. Aber nicht nur das. 

Bei der Tagung geht es nicht nur um Vernetzung und Austausch innerhalb der entwicklungspolitischen Szene. Gerade der Zeitpunkt gibt der Konferenz mehr Bedeutung. Entwicklung befindet sich im Umbruch: Öffentliche Fördermittel für Entwicklungshilfe wurden in Österreich gekürzt. Stichwort SDGs: Es herrscht Uneinigkeit darüber, was den Millenium-Entwicklungszielen 2015 folgen soll. Und: Das European Year of Development 2015 (EYD2015) steht vor der Tür.

Das EYD2015 soll wegweisend sein, in welche Richtung sich eine zeitgemäße Entwicklungszusammenarbeit entwickelt. Bei der Österreichischer Entwicklungstagung in Salzburg werden entscheidende Themen bereits behandelt werden:  Umbruch Aufbruch ist denn auch das Motto.

Nicht nur Entwicklung ist dabei im Umbruch, sondern auch die globalen Verhältnisse, wie der „rote Faden“ der Tagung zeigt:

  • Welt im Umbruch – neue globale Verhältnisse (BRICS, Weltwirtschaftskrise, Klima-Krise, …)
  • Entwicklung im Umbruch: neue Paradigmen & Diskurse (MDG, post 2015, „Gutes Leben“, feministische Zugänge, post-development)
  • Entwicklung im Aufbruch: für eine neue Entwicklungsagenda

Unter den ReferentInnen sind interessante Personen aus dem EZA-„Szene“ und aus anderen Bereichen: Etwa die Journalistin Susanne Scholl,  die Soziologin Christa Wichterich sowie internationale Gäste aus den Ländern des Südens.


Die Website zur 6. Österreichischen Entwicklungstagung (auf der Website des Paolo Freire-Zentrums)

Dokumentation vergangener Entwicklungstagungen

 

 

 

 

 

Lokal vernetzt durchs Kriegsgebiet

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(Wien, 10.10.) Kontakte, Kontakte, Kontakte. Journalist Ali Safi konnte nicht zu wenig oft betonen, wie wichtig es ist, als JournalistIn in einer Konfliktregion vernetzt zu sein.

Ali Safi (Foto: Christina Bell/ISJE)
Ali Safi (Foto: Christina Bell/ISJE)

Der Afghane weiß wovon der spricht. Safi berichtete u.a. schon für das Time Magazine, die BBC, The Guardian und das ZDF. 2010 wurde er mit dem Amnesty International Award for Investigative Journalism ausgezeichnet.

Im Rahmen der Gesprächsreihe „Medien & Entwicklung“ am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien in Zusammenarbeit mit der ISJE erzählte Safi am 9.10. aus seinem Erfahrungsschatz. Mehrmals, auch im Einsatz als Reporter, war Safis Leben bedroht. So wurde er 2012 von den Taliban festgehalten – mitsamt Equipment und Material, das ihn als Berichterstatter für westliche Medien auswies.

Nicht immer könne man das Risiko genau abwägen, meint Safi. Aber man könne versuchen es möglichst zu minimieren. Durch exakte Vorbereitung und vor allem durch Vernetzung mit der lokalen Bevölkerung. In der Region, in der man arbeitet (oder plant, zu arbeiten), Kontakte zu haben, auf die man vertraut, sei dabei das Um und Auf.

Für ausländische JournalistInnen wäre das zwar ungleich schwieriger als für einheimische, aber möglich. Lokale JournalistInnen sind es dabei oft, die als erste Schnittstelle zwischen der Region der Berichterstattung und den ausländischen KorrespondentInnen dienen.

Safi, der seit zwei Jahren in Wien lebt, glaubt zudem, dass es auch in der Praxis möglich ist, nicht nur über die Krisen und Katastrophen in einer Region zu informieren. Im Sinne des Friedensjournalismus sollten Medien auch die Ursachen und Hintergründe vermitteln – im Fall von Afghanistan nimmt Safi dabei auch westliche Medien in die Pflicht.

Ali Safi beantwortete die Fragen von ISJE-Koordinator Richard Solder (l.) und Nikolaus Koller (r.), Leiter des Instituts für Journalismus & Medienmanagement
Ali Safi beantwortete die Fragen von ISJE-Koordinator Richard Solder (l.) und Nikolaus Koller (r.), Leiter des Instituts für Journalismus & Medienmanagement (Foto: Christina Bell/ISJE)

Ali Safi war im Rahmen der Reihe „Medien & Entwicklung“ zu Gast am Institut für Journalismus & Medienmanagement. Die Veranstaltungsreihe findet in Kooperation mit der Informationsstelle für Journalismus und Entwicklungspolitik statt.

Bericht des Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien zum Gespräch

Foto-Galerie (Rechte: Institut für Journalismus & Medienmanagement)

Ali Safis Coverstory in der September-Ausgabe des Südwind-Magazin

 

Am Scheideweg

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Trotz Einigung: Afghanistan könnte im Zuge der Streitigkeiten nach den Präsidentschaftswahlen auseinanderfallen, warnt Ali Safi*.

Berge hinter Kabul (Foto: Joe Burger/Creative Commons License)
Kabul und seine Berg-Szenerie (Foto: Joe Burger/Creative Commons License)

(Sept 2014) Früher in diesem Jahr gaben Millionen meiner Landsleute ihre Stimme ab, um einen neuen afghanischen Präsidenten zu wählen. Ich konnte nicht wählen, da ich derzeit in Wien lebe. Aber zu sehen, wie andere am demokratischen Übergang mitwirken, hat mich mit Hoffnungen für eine bessere Zukunft für mein Land erfüllt. Es kam anders: Der demokratische Prozess wurde mit den Betrugsvorwürfen, die die Spitzekandidaten jeweils gegen den Kontrahenten lancierten, gestoppt.

Die so wichtige Stichwahl in der Suche nach einem Nachfolger von Hamid Karsai fand im Juni statt. Ashraf Ghani Ahmadzai, der frühere Finanzminister, wurde nun unlängst zum Präsidenten ernannt. Abdullah Abdullah, einst Außenminister, wird Chief Executive Officer, eine neu geschaffene Position, die einem Ministerpräsidentenamt ähnelt. Die Einigung auf eine Einheitsregierung wurde vor wenigen Tagen von beiden Seiten unterschrieben. Demzufolge ist Ghani designierter Präsident, während Abdullahs Lager zukünftig die täglichen Geschicke des Landes leiten wird.

Der Deal wurde in dieser Form wurde von US-Außenminister John Kerry vorgeschlagen. Im Rahmen seiner Besuche in Kabul überzeugte er beide Kandidaten. Die Kandidaten haben selbst, genauso wie die internationale Gemeinschaft erkannt, dass beide Seiten Teil einer Einheitsregierung sein müssen.

Allerdings kommt die für nächste Woche angekündigte Machtübergabe des bisherigen Präsidenten Hamid Karzai jetzt nach drei Monaten – nach drei Monaten Blockade und Stillstand. Und nach der Prüfung und Neuauszählung der Stimmen.

Afghanistan hat eine traurige Geschichte von gewaltvollen Machtübernahmen, Staatstreichen und Stürzen hinter sich. Das ist einer der Gründe, warum die aktuelle Wahl so wichtig fwar für den demokratischen Zustand des Staates. Sie hätte die Macht einer neuen Führung übergeben – auf friedliche Art und Weise.

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Afghanisches Parlament (Archivaufnahme: Wiki Commons)

Aber die Wahlen waren mehr: es ging um eine – zumindest mentale – Roadmap für einen Übergang in verschiedenen Bereichen, hin zu mehr Sicherheit und Stabilität. Eine transparente Wahl hätte die Basis gelegt für eine Einheit der unterschiedlichen Volksgruppen Afghanistan und wäre ein Startschuss für die Entwicklungsagenda des Landes gewesen.

Jetzt, da ich weiß, dass die Wahlen nicht unsere Zukunft in Afghanistan bestimmen, muss ich zugeben, dass ich fast erleichtert bin, nicht in meiner Heimat gewesen zu sein. Meine Stimme hätte nichts verändert! In Wahrheit entscheidet der politische Handel zwischen den Kandidaten, unter der Kontrolle der USA.

Der neue Deal untergräbt die Rolle demokratischer Institutionen wie der der Wahlkommission.

Diese Wahlen haben Afghanistan unwiderruflich entlang ethnischer Trennlinen auseinandergerissen. Ich persönlich habe die Hoffnungen auf einen friedliche Afghanistan – zumindest für meine Generation – verloren.

Bisher haben alle Seiten, inklusive den Taliban, erklärt, dass sie für ein geeintes Afghanistan kämpfen. Nun, nach diesen Wahlen, reden immer mehr Menschen über eine Teilung des Landes. Für mich zeigt das einen Riss in der sozialen Struktur der Gesellschaft; eine systematische Bedrohung für die Vision einer gemeinsamen Zukunft.

Die NATO bereitet sich vor, Ende 2014 das Land zu verlassen. Einige wenige Einheiten werden zurückbleiben, um Al-Kaida zu bekämpfen und afghanische Sicherheitskräfte zu schulen. Die Taliban haben geschworen, zu kämpfen, bis der letzte ausländische Soldat das Land verlässt. Also wird auch Sicherheit im Land nach wie vor die größte Herausforderung für ein Post-2014-Afghanistan sein.

Entwicklung und Frieden gehören unweigerlich zusammen. Das eine kann nicht ohne das andere erreicht werden. Auch Sicherheit kann sich nicht ohne Entwicklung etablieren. Doch viele Entwicklungsprojekte, die in Afghanistan laufen, wurden aus dem Westen importiert. Sie wurden nicht dafür geschaffen, die Bedürfnisse des Landes zu befriedigen.

Und: Wenn der Westen ein friedliches Afghanistan will, ist Pakistan ein Schlüssel. Der Nachbarstaat ist ein wichtiger Verbündeter der USA. Auf der anderen Seite werden in Pakistan Terrorgruppen, deren Kämpfer auch nach Afghanistan ziehen, unterstützt.

Es ist an der Zeit, dass der Westen sein Engagement in Afghanistan überdenkt: reflexartige politische Interventionen können und werden keine Stabilität bringen.


Foto: Roska Vrgova
Foto: Roska Vrgova

*Ali Safi ist afghanischer Journalist und Friedensaktivist, der bereits für verschiedene internationale Medien (u.a. Time Magazine, BBC, The Guardian, ZDF) und Forschungsorganisationen gearbeitet hat. Mit einem investigativem Bericht gewann er 2010 Amnesty International Award. Ali Safi lebt in Wien.

NGOs aufgepasst: Netzwerktreffen zu EYD2015

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NGOs aufgepasst!

Die ISJE lädt zum Netzwerktreffen zum Thema EYD2015 – Entwicklung medial kommunizieren.

Wann? Di, 7. Oktober 2014 – 16-17:30 Uhr
Wo? Ort: Austrian Development Agency, Zelinkagasse 2, 1010 Wien, Zimmer 300.

Die Veranstaltung wird als Ergänzung im Anschluss an ein EYD-Netzwerktreffen der ADA mit dem ORF und einigen Stakeholdern, zu dem einige von Ihnen eingeladen sind, stattfinden.

Um was geht’s? Die ISJE trifft sich 1x/Jahr mit NGOs für einen Informationsaustausch. Dieses Mal wird das Treffen aus Anlass des Europäischen Jahres für Entwicklung 2015 auf die Frage fokussieren, wie man dieses Thema nutzen kann, um Entwicklungsinhalte medial besser zu kommunizieren und zu integrieren. Wie kann man die Chance nutzen, um verstärkt im ORF präsent zu sein? Was wird durch das EYD2015 möglich sein, wo sind Grenzen? Was ist abseits des EYD für Redaktionen interessant? Welche unterschiedlichen Materialien braucht man für verschiedene Sendeformate? …

Matthias Euba, Moderator, Producer, Sendungsplaner und Chef vom Dienst beim Aktuellen Dienst und bei Magazinen im ORF (vor allem ORF 1), steht dafür für Auskünfte und Fragen zur Verfügung.

Im zweiten Teil des Treffens werden wir uns austauschen, was in den Organisationen in Sachen Medienarbeit zum EYD2015 geplant ist und wo Synergien hergestellt werden können. Der Termin könnte ein Auftakt für mehrere Treffen sein, in denen sich die Organisationen auf dem Laufenden halten.

TeilnehmerInnen bitte Fragen für Herrn Euba und Infos zur geplanten Medienarbeit der eigenen Organisation zum EYD2015 bereit haben!

Um Anmeldung per Mail an richard.solder@isje.at wird gebeten!

AI: Nigeria foltert in „schockierendem Ausmaß“

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Die Menschenrechts-NGO Amnesty International meldet anlässlich einer Veröffentlichung eines Berichtes, dass Nigerias Polizei und Militär in großem Ausmaß foltern:

Folter gehört für nigerianische
Polizisten und Soldaten zur Routine. ... Gefoltert wird als Bestrafung, um Geld zu erpressen oder um Fälle
schneller zu „lösen“. Obwohl durch internationale Verträge verboten, ist
Folter in Nigeria kein Straftatbestand und die Täter bleiben ungestraft.

„Wir kennen viele Berichte über Folter, aber das Ausmaß und die Form der
Misshandlungen, die in diesem Bericht zusammengetragen wurden, ist selbst
für uns schockierend“, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty
International Österreich.

Für den Bericht wurden über zehn Jahre Zeugenaussagen und Beweise
gesammelt. Obwohl Folter durch die Verfassung verboten ist, wird sie von
Polizei und Militär routinemäßig eingesetzt. Grund dafür ist nicht zuletzt,
dass es kein Gesetz gibt, welches dieses Vorgehen bestraft.

Das Ausmaß der Folter in Nigeria hat nicht zuletzt mit dem Kampf gegen die radikalislamistische Terrormiliz Boko Haram zu tun:

Tausende Menschen – Schätzungen gehen von 5.000 bis 10.000 aus – sind bei den Militäroperationen gegen ...Boko Haram festgenommen worden. Nur wenige der Inhaftierten sind wieder
freigelassen worden. Viele der Gefangenen sollen gefoltert worden sein, und
nahezu alle werden unter extrem schlechten Haftbedingungen festgehalten,
die Misshandlung gleichkommen.
Ziehen von Nägeln und Zähnen, Würgen, Elektroschocks und sexuelle Gewalt
gehören zu den Folterpraktiken, viele Polizeiwachen haben inoffizielle
„Folterbeauftragte“. Erleichtert wird Folter auch dadurch, dass ein
Großteil der Gefangenen in Isolationshaft gehalten wird – ohne Kontakt zur
Außenwelt, zu Anwälten, Gerichten oder der Familie.

Nicht in einem der hunderten von Fällen, die Amnesty International
untersuchte, wurde ein Folteropfer entschädigt. In den meisten Fällen
ermittelten die Behörden halbherzig gegen die mutmaßlichen Folterer und
nichts wurde unternommen, um sie vor Gericht zu bringen.

Nigeria, das für Korruption bekannt ist, tut sich laut AI schwer, die nötigen Reformen umzusetzen:

„In den letzten zehn Jahren wurden mindestens fünf präsidentielle Komitees
und Arbeitsgruppen einberufen, um das Justizwesen zu reformieren und Folter
abzuschaffen. Der Regierung ist das Problem bekannt. Es scheitert an der
extrem langsamen Umsetzung“, so Patzelt. „Die wichtigsten Schritte sind klar. Nigeria muss Folter zum Straftatbestand machen, die
Praxis der Isolationshaft beenden und alle Misshandlungsvorwürfe gründlich
untersuchen.“

Die Fakten des Berichts in der Übersicht:

Nigeria torture_facts and figures


 

Rückfragen:

Gesine Schmiedbauer

Pressesprecherin
Amnesty International Österreich

Press Officer
Amnesty International Austria

Moeringgasse 10
A-1150 Wien
tel.: +43-1-78008- 39
fax: +43-1-78008-44
mobil: +43-664-4001056
gesine.schmiedbauer@amnesty.at
http://www.amnesty.at

Boko Haram – Hintergrund, Potential, Finanzierung

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Boko Haram, die militante islamistische Terrorgruppe, ist zu einer Logo_of_Boko_Haram.svggewaltigen Herausforderung für die Entwicklung Nigerias geworden. Laut Human Rights Watch (HRW) sind allein im ersten Halbjahr 2014 2.053 Menschen von Boko Haram getötet worden.
Für Schlagzeilen sorgte die Entführung von merh als 240 Schülerinnen aus der Stadt Chibok im Bundesstaat Borno. Im Web2.0 wurde #BringBackOurGirls zum Slogan.

Genau genommen heißt die Sekte auf Arabsich Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’Awati Wal-Jihad, was im Deutschen meist mit“Vereinigung der Sunniten für den Ruf zum Islam und den Dschihad“ übersetzt wird.

„Boko Haram“ wurde die militante Gruppe mit der Zeit von der internationalen Öffentlichkeit getauft.  Boko bedeutet auf Hausa „Westliche Bildun“, Haram auf Arabisch „verboten“.

Karte: Domenico-de-ga aus der deutschsprachigen Wikipedia
Karte: Domenico-de-ga aus der deutschsprachigen Wikipedia

Liegen die Wurzeln der Sekte weiter zurück, wurde sie in der heutigen Form  2002 von Mohammed Yusuf (1970-2009) in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Nordosten Nigerias, gegründet.

Laut dem in Wien ansässigen nigerianischen Afrikawissenschaftler Bashir Alhaji-Shehu, der selbst aus dem Bundesstaat Borno stammt, radikalisierte sich die Gruppe erst mit der Zeit. Die Behörden vor Ort hätten Yusuf lange unterschätzt, so Alhaji-Shehu in der September-Ausgabe des Südwind-Magazin. Anfangs sei Boko Haram nicht so militant wie heute gewesen, die Exekutive habe allerdings fallweise überhart eingegriffen und damit Reaktionen provoziert.

Das Verhalten der Behörden könnten auch dazu beigetragen haben, dass es erst zur Entführung der Schülerinnen von Chibok kam. Laut einem Artikel der deutschen Ausgabe der Le Monde Diplomatique hatte sie der Anführer Abubakar Shekau angekündigt – und zwar auf „Reaktion auf ähnliche Methoden der Polizei und der staatlichen Sicherheitsorgane“, so Elizabeth Pearson und Jacob Zenn in der Juni-Ausgabe der Le Monde Diplomatique.

Boko Haram agiert mittlerweile international. Immer wieder kommt es zu Angriffen in Nachbarstaaten Nigerias. Laut Alhaji-Shehu sind auch Staaten mit größeren nigerianischen Communitys gefährdet, etwa Frankreich und Großbritannien. Für Österreich sieht er keine Gefahr: zwar bestehen nigerianische Communitys, aber es gäbe verschwindend wenige Migranten aus dem Norden Nigerias.

Vieles um Boko Haram ist noch unklar. Etwa Details darüber, wie sich die Bewegung finanziert. Eine Art der Finanzierung ist nachweisbar: Entführungen. Immer wieder hat die Gruppe in der Vergangenheit Menschen verschleppt und gegen Lösegeld wieder freigelassen.  Auch Banküberfälle gehören wohl dazu.

Marc Engelhardt, Journalist mit Fokus auf Terror-Gruppen in Afrika, vertritt zudem die Ansicht, dass es bei der Entführung der Schulmädchen um Schutzgeld ging. So müssten alle Menschen im – immer größer werdenden – von Boko Haram kontrollierten Gebiet Schutzgeld zahlen. Zudem habe die Al-Kaida nach 9/11 über 2 Mio. Euro „in Westafrika verteilen“ lassen.

Laut Engelhardt ist Boko Haram finanziell und operationell unabhängig. Der Etat zwischen 2006 und 2011 wird auf über 50 Millionen Euro geschätzt, „heute dürfte er höher liegen“, so Engelhardt in der Schweizer WOZ. Waffen würden mit diesem Geld dabei mitunter von korrupten nigerianischen Militärs gekauft.  Alhaji-Shehu kritisiert, dass die Soldaten, die Boko Haram besiegen sollen, viel zu schlecht und unverlässlich bezahlt werden.

Eine langfristige Lösung, so sind sich alle ExpertInnen einig, ist nur dann möglich, wenn Nigeria das Problem Korruption bekämpft. Und den Menschen in der nordöstlichen Region des Landes eine Perspektive bietet.  (sol)


Siehe auch: Africa-Check-Factsheet zu Boko Haram

Interview mit Bashir Alhaji-Shehu im Südwind-Magazin
Kontakt zum Afrikawissenschaftler auf Anfrage

Artikel Boko Haram, der Schrecken Nigerias in LMD vom 13. Juni 2014

Artikel Das Finanzsystem von Boko Haram von Marc Engelhardt in der WOZ vom 17. Juli 2014
Der Journalist und Autor veröffentlichte 2014 das Buch „Heiliger Krieg, heiliger Profit. Afrika als neues Schlachtfeld des internationalen Terrorismus.“ Ch. Links Verlag

AnsprechpartnerInnen zum Thema Boko Haram kann auch das VIDC vermitteln, das eine Veranstaltung zum Thema durchführte Ankündigung – Dokumentation

www.vidc.org, T +43 1 713 35 94

 

Entwicklungsfinanzierung Österreichs

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Wieviel öffentliche Mittel gibt Österreich für Entwicklungszusammenarbeit aus? Inwiefern steigen bzw. vermindern sich die Ausgaben? Wie schaut dies im Vergleich zu anderen EU-Staaten aus? Die NGO-Kampagne „mir wurscht?“ beobachtet die EZA-Politik der österreichischen Regierung und fordert ein, das Versprechen umgesetzt werden.

Grafik: mirwurscht.org; Zahlen: OECD/DAC
Grafik: mirwurscht.org; Zahlen: OECD/DAC

2012 hat Österreich 0,28 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für so genannte ODA, also für Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance). Damit zählt Österreich in Europa  zu den Schlusslichtern. Ziel der österreichischen Bundesregierung sind laut Regierungsprogramm (S, 83) 0,7 Prozent des BNE.

Im April 2014 verkündete Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) Kürzungen in der Höhe von 17 Millionen Euro, in den Bereichen Entwicklungshilfe und Humanitäre Hilfe.

2014 und 2015 stehen für die Katastrophenhilfe im Ausland fünf Millionen Euro jährlich zur Verfügung, für die direkte Projekthilfe in der Entwicklungszusammenarbeit statt bisher 68 Millionen Euro nur mehr 51 Millionen Euro zur Verfügung – eine Kürzung um 25 Prozent.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte sich im Vorfeld gegen Kürzungen stark gemacht.

Weitere Fakten zu ODA im europäischen Vergleich im „mir wurscht“-Factsheet 2014

Kontakt zur Kampagne

 

Kann Fracking bio sein?

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In Österreich, konkret an der Montanuni Leoben, wird laut eigenen Aussagen Bio-Fracking entwickelt. Sprich ein Verfahren, das Schiefergas völlig ohne Umweltschäden fördern soll. Laut Erdöl-Experte Herbert Hofstätter zentral dabei ist Kaliumcarbonat. Dadurch sei es möglich, Bohrspülungen ohne Chemikalien durchzuführen. Im Labor funktioniere das Konzept, so Hofstätter im Juli gegenüber der Zeit.

Aber kann Fracking wirklich „bio“ sein?

NGOs sind skeptisch. Für Global2000 ist nicht geklärt, ob dank eine „Clean Fracking“ Methode wirklich alle Risiken ausgeschlossen werden können. „Dazu kommen der enorme Flächen- und Wasserverbrauch, sowie die, im Zuge des Bohrprozesses stattfindende, unkontrollierte Freisetzung des Treibhausgases Methan als umwelt- und klimaschädliche Nebeneffekte“, so die NGO auf ihrer Website weiter.


Weiterführende Infos:

Herbert Hofstätter, Montanuni Leoben

Pressekontakt Global 2000

Fracking – was ist das?

Was ist Fracking?

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Hydraulic Fracturing („Hydraulisches Brechen“), kurz „Fracking“, ist seit einiger Zeit in aller Munde.  Aber was ist Fracking genau? Und wie wird vorgegangen, wenn „gefract“ wird?

Das Südwind Magazin klärt im Rahmen eines Dossiers auf

Copyright: Südwind Magazin
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Eine Analyse zu Fracking als globales Phänomen gibt es hier

AnsprechpartnerInnen österreichischer NGOs sind u.a. Greenpeace und Global2000

Nach Überlegungen der OMV, auch im Weinviertel in Österreich auf Fracking zu setzen, formierte sich eine Initiative im Weinviertel, um auf die Gefahren der Methode hinzuweisen.