Archiv der Kategorie: Politik

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Veranstaltung: Global Inequality Talk #6: Gender – SDGs – Österreich

Genderdebatte zwischen Care, reproduktiver Gesundheit und Gleichberechtigung.

Geschlechtergleichstellung ist eine der zentralen Forderungen der Nachhaltigen Entwicklungsziele. Bis 2030 sollen alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beendet werden. Alle Formen von Gewalt gegen und die Ausbeutung von Frauen und Mädchen sollen abgeschafft werden. Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit soll anerkannt werden. So lauten einige Unterziele. Die Corona-Krise führte zu einem drastischen Anstieg von häuslicher Gewalt. Laut UNWomen sind in mehreren Ländern Anrufe bei Hilfetelefonen gegen häusliche Gewalt um 60-700 Prozent gestiegen.

Was kann Österreich tun, um Geschlechtergleichstellung weltweit durchzusetzen? Welche Rolle spielt dabei das österreichische Parlament?

Henrike Brandstötter setzt sich als Nationalratsabgeordnete und entwicklungspolitische Sprecherin der NEOS im österreichischen Parlament für Gendergerechtigkeit ein. Claudia Thallmayer arbeitet beim Entwicklungspolitischen Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven WIDE zum Thema Nachhaltige Entwicklung und Frauenrechte.

Am Podium: Henrike Brandstötter (NEOS) und Claudia Thallmayer (WIDE)
Moderation: Gerald Faschingeder (Paulo Freire Zentrum)
Termin: Mi., 27. Oktober 2021 um 16.00-16.45 Uhr
Anmeldeschluss:  Mo., 25. Oktober um 12.00 Uhr
Format: Zoom Webinar (Link wird im Vorfeld zugeschickt, daher bitte unbedingt pünktlich anmelden!)


Eine Veranstaltung von WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven und Paulo Freire Zentrum.

Kommentar: Die aktuelle Debatte um Österreichs „Hilfe vor Ort“ – eine Einschätzung

Von Michael Obrovsky (ÖFSE). „Hilfe vor Ort“ als neues Mantra der Bundesregierung ist ein unscharfer Begriff, der nicht mit eindeutigen Zahlen unterlegt werden kann. Auch wenn die humanitäre Hilfe Österreichs in den letzten Jahren deutlich angewachsen ist, zeigt ein Blick in die offizielle Statistik, dass Österreich nicht zu den Ländern mit überproportionalen Hilfsleistungen vor Ort zählt.

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PA: Jugendliche fordern Klimagerechtigkeit und Systemwandel von EU-Abgeordneten in Brüssel

Teilnehmer*innen des Südwind-Jugendprojektes „My Revolution“ übergeben umfassenden Forderungskatalog an EU-Parlamentarier – Hauptanliegen: Demokratie, Menschenrechte und Klimagerechtigkeit.

Wien / Brüssel, 29. September 2021. Bei einem Runden Tisch in der Österreichischen Vertretung in Brüssel diskutierten gestern, Dienstag, rund 30 Jugendliche aus Österreich, Polen, Italien und Slowenien mit Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer übergaben dabei ein Jugendmanifest mit einer Reihe konkreter Forderungen für einen politischen Wandel. Zentrale Anliegen sind „die Wahrung humanitärer und demokratischer Prinzipien“ sowie „Umweltschutz und Klimagerechtigkeit als die dringendsten Fragen unserer Zeit.“ Das Jugendmanifest wurde im Rahmen des länderübergreifenden Südwind-Jugendprojektes My Revolution erarbeitet. Die österreichische Menschenrechtsorganisation unterstützt Jugendliche dabei, politische Anliegen zu formulieren und diese direkt an die zuständigen Politikerinnen und Politiker heranzutragen. „Viele junge Menschen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Das kann zu Resignation und mangelnder demokratischer Teilhabe führen. Um dem vorzubeugen, zeigen wir Wege auf, wie politische Forderungen formuliert und direkt vorgebracht werden können“, erklärt Marlene Groß, Bildungsreferentin von Südwind. „Bei My Revolution lernen Jugendliche wie demokratische Teilhabe funktioniert und können dabei direkt auch ganz konkrete Forderungen übergeben.“

„Natürlich bieten sich viele Wege, selbst aktiv zu werden, doch nicht in so engem Kontakt mit so hochrangigen Politikern“, sagt Julia, 17 Jahre, Schülerin vom BORG Oberndorf und My Revolution-Teilnehmerin. „Als Österreicherin, junge Frau und Schülerin eröffnet sich mir hier die Möglichkeit, um auf direktem Weg Blickwinkel, Auffassungen und Meinungen mit Personen zu teilen, die uns ein offenes Ohr zu schenken.“

Für das Südwind-Projekt My Revolution kamen seit Frühjahr 2020 mehr als 300 junge Menschen aus Österreich, Italien, Polen und Slowenien zu mehreren Workshops und Konferenzen zusammen. Inspiriert von Jugendbewegungen im Revolutionsjahr 1989 wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach ihren aktuellen Forderungen an die Politik und die Gesellschaft gefragt. Am Ende jedes Workshops wurden die Hauptanliegen zu gemeinsamen Forderungen zusammengefasst und daraus ein Jugendmanifest erarbeitet. Die darin formulierten Hauptforderungen sind:

  • Systemwandel hin zu einem Wirtschaftssystem, das ökologische Grenzen respektiert und ein menschenwürdiges Leben auf einem lebenswerten Planeten ermöglicht;
  • Umweltschutz und Klimaschutz: Erhalt der natürlichen Ressourcen, der biologischen Vielfalt und die Bekämpfung der Klimakrise als eine der größten aktuellen Herausforderung der Menschheit;
  • Menschenrechte und Demokratie respektieren, erhalten und ausbauen. Die politische Beteiligung von Jugendlichen ermöglichen und die Pressefreiheit schützen;
  • Europäische Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden wahrnehmen;
  • Bildungssystem an aktuelle Erfordernisse anpassen, Fokus auf Vermittlung von Zusammenhängen, ganzheitliche Betrachtung von Lerninhalten und kritisches Denken;
  • Faire Arbeitsbedingungen und ethische Produktion von Konsumgütern hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Klimaschutz, Umweltschutz und Tierrechte.

Gleich mehrere Abgeordnete haben die Forderungen der Jugendlichen entgegengenommen. Zum gemeinsamen Runden Tisch eingeladen haben Thomas Waitz (AT, Greens/EFA), Bettina Vollath, (AT, S&D), Patrizia Toia (IT, S&D), Tanja Fajon (SI, S&D,), Irena Joveva (SI, Renew) und Brando Benifei (IT, S&D).

Das My Revolution-Projekt geht im Herbst 2021 in die nächste Runde. Anmeldungen sind noch möglich unter: https://www.suedwind.at/bilden/jugendarbeit/projekte/meine-revolution-1990/

Download: My Revolution-Jugendmanifest

Weitere Details zum My Revolution-Projektwww.suedwind.at/meine-revolution

Rückfragehinweis:
Stefan Grasgruber-Kerl
Kampagnenbereichsleiter Südwind
Tel.: +43 (0) 699 100 400 79
E-Mail: stefan.grasgruber-kerl@suedwind.at

Vincent Sufiyan
Kommunikationsleiter Südwind
Tel.: +43 (0) 650 96 77 577
E-Mail: vincent.sufiyan@suedwind.at

PA: Tag des Kaffees: FAIRTRADE mit neuem Kaffee-Standard für mehr Impact im Ursprung

Der Kaffeepreis steigt aktuell stark an und lag im August-Durchschnitt bei rund 216 USD pro Quintal (ICO Other Milds Arabica), berichtet FAIRTRADE. Diese für die Kleinbauernfamilien erfreuliche Entwicklung wird allerdings entscheidend getrübt, denn die Ursachen der Preissteigerung liegen nicht in strukturellen Änderungen, sondern in schlechten Ernteprognosen sowie politischen Unruhen und steigenden Transportkosten. FAIRTRADE reagiert auf die schwierigen Rahmenbedingungen mit einer Überarbeitung des internationalen Kaffee-Standards.

Der Weltmarktpreis für Kaffee zeigte sich in den vergangenen Jahren als sehr volatil. Derzeit machen sich witterungsbedingte Ernteausfälle in Brasilien (weltweit größter Kaffeeproduzent) sowie höhere Transportkosten infolge pandemiebedingter Probleme in den globalen Lieferketten bemerkbar – die Kaffeepreise steigen. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich das schnell wieder ändern kann. Noch Mitte 2019 waren die Durchschnittspreise um knapp 60% niedriger als heute, erholten sich in den darauffolgenden Monaten wieder, nur um Ende 2020 erneut massiv einzubrechen. „Diese Entwicklung erschwert die finanzielle Ressourcenplanung der Kaffee-Kooperativen. Um die Einkommenssituation der Kaffee-Kleinbauernfamilien signifikant und nachhaltig zu erhöhen, sind daher Rohkaffeepreise notwendig, die sich längerfristig, also über die kommenden Monate hinaus, auf dem aktuellen Niveau etablieren.“ formuliert Hartwig Kirner, Geschäftsführer von FAIRTRADE Österreich, einen Wunsch für die zukünftige Entwicklung des Kaffeehandels. Stabile und höhere Preise von Rohkaffee sind demnach ein entscheidender Faktor, um die Kosten einer nachhaltigen Produktion für die Kaffeebauernfamilien zu decken.

Neuer FAIRTRADE-Kaffee-Standard
FAIRTRADE zertifiziert ausschließlich Kaffee aus kleinbäuerlicher Produktion. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, steht im Zentrum aller Aktivitäten von Fairtrade International. Dafür wurden starke internationale Standards und ein unabhängiges Kontrollsystem dieser Richtlinien etabliert. Angesichts der aktuellen Entwicklungen wurde der Kaffee-Standard überarbeitet und weiter geschärft, um den positiven Impact in den Kaffee-Ursprungsregionen zu erhöhen. Zukünftige FAIRTRADE-Kaffeekooperativen müssen demnach bereits vorab eine konkrete Marktnachfrage nach ihrem Kaffee vorweisen können. „Denn nur durch Ernteverkäufe zu FAIRTRADE-Bedingungen profitieren die Kleinbauernfamilien durch eine vertraglich fixierte Zusatzprämie oder, bei biologischem Anbau, durch einen Bio-Aufschlag.“ betont Kirner die Auswirkungen der Standard-Änderung. Andere wichtige Neuerungen betreffen Maßnahmen, um besser auf zukünftige Umwelt- und Klimaherausforderungen reagieren zu können. „Kaffee-Kooperativen müssen die gerade in den Kaffeeanbaugebieten notwendigen Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise erleichtert und gefördert werden, und damit die Einkommen der Kleinbauernfamilien abgesichert werden. Der neue FAIRTRADE-Kaffee-Standard ist Mitte Juli 2021 in Kraft getreten, und gilt für kleinbäuerliche Organisationen und Händler. Für die Umsetzung der Kriterien gibt es Übergangsfristen von bis zu einem Jahr.

FAIRTRADE-Kaffee in Österreich
Kaffee war 1993 das erste FAIRTRADE-Produkt in heimischen Regalen und verzeichnet seit jeher ein jährliches Wachstum. 2020 gab es trotz (Corona-)Gastronomie-Lockdowns einen zweistelligen Zugewinn bei Rohkaffee (+10,5% auf 5.108 Tonnen) – auch im Gesamtjahr 2021 ist eine ähnliche Nachfrage nach fairem Kaffee in Österreich zu erwarten. Der geschätzte Marktanteil von FAIRTRADE-Kaffee in Österreich liegt bereits bei knapp 8 Prozent. „Kaffee ist das beliebteste Heißgetränk der Österreicherinnen und Österreicher. Es ist wirklich sehr erfreulich, dass beim Genuss des Kaffeehäferls zuhause oder im Kaffeehaus immer öfter auch an die Menschen gedacht wird, die bei der Kaffeeernte und –Weiterverarbeitung schwerste Arbeit verrichten. FAIRTRADE sorgt für faire Einkommen, und das bei hoher Qualität und gutem Geschmack in der Tasse“. so Kirner abschließend.

Quellen:

  • Der neue FAIRTRADE Kaffee-Standard als Download
  • Aktuelle internationale Kaffee-Preisstatistiken (International Coffee Organization)

Zum Presse-NewsroomPressebilder zum Download

Kontakt für Rückfragen:
Mag. Bernhard Moser
bernhard.moser@fairtrade.at
+43 664 526 74 65

Mag. Peter Ehrenberger
peter.ehrenberger@fairtrade.at
+43 660 380 72 80

PA: Amnesty-Bericht über Afghanistan: Taliban hebeln Menschenrechte im Land aus

Gemeinsamer Bericht der Menschenrechtsorganisation mit der Internationalen Föderation für Menschenrechte (FIDH) und der Weltorganisation gegen Folter (OMCT) belegt, dass Taliban die Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre im Bereich der Menschenrechte demontieren und dokumentiert das weitreichende Vorgehen der Taliban seit ihrer Eroberung von Kabul vor etwas mehr als fünf Wochen.

London / Wien (21. September 2021) Entgegen den wiederholten Beteuerungen der Taliban, sie würden die Rechte der Bevölkerung respektieren, zeigt der Bericht „Afghanistan’s fall into the hands of the Taliban“ eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen auf, darunter gezielte Tötungen von Zivilisten und sich ergebenden Soldaten sowie die Blockade humanitärer Hilfslieferungen im Panjshir-Tal. Auch die Rechte von Frauen, die Meinungsfreiheit und die Zivilgesellschaft wurden erneut eingeschränkt. „In den gut fünf Wochen seit der Übernahme der Kontrolle über Afghanistan haben die Taliban deutlich gezeigt, dass es ihnen mit dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte nicht ernst ist“, sagte Dinushika Dissanayake, stellvertretende Direktorin von Amnesty International für Südasien. Und warnt: „Angesichts des vorherrschenden Klimas der Angst, des Mangels an Mobilfunkverbindungen in vielen Gebieten und der von den Taliban erzwungenen Internetsperren stellen diese Ergebnisse wahrscheinlich nur eine Momentaufnahme dessen dar, was vor Ort geschieht.“

Frauenrechte, Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung stark eingeschränkt
Der aktuelle Amnesty-Bericht beschreibt, wie Frauen verboten wurde, ihrer Arbeit nachzugehen und Mädchen gehindert wurden, die Schule zu besuchen. Die Taliban schlugen Proteste gewaltsam nieder und schränkten die Rechte von Medien und der Zivilgesellschaft stark ein. Seit dem 15. August werden fast täglich Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen gemeldet. Die Taliban suchen von Tür zu Tür nach Menschenrechtsverteidiger*innen und zwingen viele von ihnen, sich zu verstecken.

„Die Bedrohung für Menschenrechtsverteidiger*innen, die nicht aus Afghanistan ausreisen konnten, ist real. Sie werden an allen Fronten angegriffen, da sie als Feinde der Taliban gelten. Ihre Büros und Wohnungen wurden gestürmt. Ihre Kolleg*innen wurden verprügelt. Sie sind gezwungen, sich ständig zu verstecken. Sie leben unter der ständigen Bedrohung von Verhaftung, Folter oder Schlimmerem. Diejenigen, denen es gelungen ist, das Land zu verlassen, sitzen nun in Militärlagern oder in Nachbarländern fest, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollen und wie sie ihr über Nacht zerstörtes Leben wieder aufbauen können“, sagte Delphine Reculeau, Programmdirektorin für Menschenrechtsverteidiger*innen bei der Weltorganisation gegen Folter (OMCT).

Frauen wird Zugang zum Sport und zur Arbeit verwehrt
Trotz der Versprechungen, dass die Rechte der Frauen im Rahmen der Scharia geachtet würden, wurden die Frauenrechte bereits stark eingeschränkt, die hart erkämpften Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte beginnen sich aufzulösen. So erklärte der stellvertretende Leiter der Taliban-Kulturkommission am 8. September 2021 gegenüber dem australischen Fernsehsender SBS, dass Frauen der Zugang zum Sport verwehrt werden soll, wobei er insbesondere die Cricket-Nationalmannschaft der Frauen erwähnte. Das Klima der Angst, das durch die Machtübernahme der Taliban entstanden ist, führte auch bereits dazu, dass viele afghanische Frauen jetzt die Burka tragen, das Haus nicht mehr ohne männlichen Vormund verlassen und andere Aktivitäten einstellen, um Gewalt und Repressalien zu vermeiden. Aus verschiedenen Teilen des Landes sind zudem besorgniserregende Berichte über Frauen aufgetaucht, denen der Zutritt zu ihren Arbeitsplätzen verwehrt wurde. Es ist noch nicht bekannt, ob es sich dabei um Einzelfälle handelt oder ob sie Teil eines Musters sind. Während eine Reihe von Journalistinnen und anderen Medienmitarbeiterinnen anscheinend vorsorglich zu Hause geblieben sind, entweder aus eigenem Antrieb oder aufgrund vorsichtiger Redakteure und Verleger, gab es eine Reihe von bestätigten Vorfällen, bei denen Taliban-Kämpfer Journalistinnen daran hinderten, ihre Büros zu betreten oder vor Ort zu berichten.

Frauen und das Recht auf Protest
Trotz der zahllosen Bedrohungen haben Frauen im ganzen Land Proteste organisiert. Während einige Demonstrationen friedlich abgehalten werden konnten, wurden viele von den Taliban gewaltsam unterdrückt. Am 4. September wurden etwa 100 Frauen, die an einer Demonstration in Kabul teilnahmen, von Taliban-Spezialkräften auseinandergetrieben, die in die Luft schossen und Berichten zufolge Tränengas einsetzten. Nazir, ein Menschenrechtsverteidiger, berichtete Amnesty International wie sein Freund Parwiz von den Taliban schwer verprügelt und gefoltert wurde, nachdem er am 8. September an einer Demonstration für die Rechte der Frauen teilgenommen hatte. „Als die Taliban Parwiz freiließen, zwangen sie ihn, neue Kleidung anzuziehen, weil sein Gewand von seinem Blut durchnässt war.“ Schließlich erließ das von den Taliban kontrollierte Innenministerium am 8. September eine Anordnung, die alle Demonstrationen und Versammlungen in ganz Afghanistan verbot, „bis eine Demonstrationsverordnung erlassen wird.“

Klima der Angst: Augenzeugenberichte eines Menschenrechtsverteidigers
Für den vorliegenden Bericht sprachen die Menschenrechtsexpert*innen unter anderem mit Mahmud, einem afghanischen Menschenrechtsverteidiger, dem es gelungen ist, das Land zu verlassen. Mahmud beschrieb, wie er an dem Tag, als die Taliban in Kabul einmarschierten, einen Anruf erhielt, in dem er aufgefordert wurde, sein Fahrzeug, die Ausrüstung und das Geld seiner Organisation an die Taliban zu übergeben. Der Anrufer kannte seinen Namen und warnte ihn, er habe keine andere Wahl als zu kooperieren. In den folgenden Tagen erhielt Mahmud weitere Anrufe und WhatsApp-Nachrichten, in denen er nach seiner Privatadresse gefragt und aufgefordert wurde, sich an bestimmten Orten zu treffen. Zwei Kollegen seiner Nichtregierungsorganisation waren von den Taliban verprügelt worden. Bilder, die von einem seiner Mitarbeiter geteilt und von Amnesty International und einem Gerichtsmediziner bestätigt wurden, zeigen Peitschenhiebe auf den Rücken und Blutergüsse am linken Arm des Opfers.

Einschüchterung gegen Journalist*innen
Auch zwei in Kabul lebende Journalistinnen, mit denen Amnesty International sprach, berichteten von den Drohungen und Einschüchterungen, denen sie nach der Machtübernahme der Taliban ausgesetzt waren. Aadila etwa beschrieb die ersten zwei Wochen der Taliban-Herrschaft als eine Zeit der Angst und Unsicherheit. Sie hatte zunächst beschlossen, in Afghanistan zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen, bis die Taliban eines Nachts zu ihrem Haus kamen und nach ihr fragten. Auf Drängen von Verwandten verließ sie kurz darauf das Land. Ein anderer Journalist, Abdul, erzählte, dass Redakteur*innen, Journalist*innen und Medienmitarbeitende von den Taliban die Anweisung erhalten hätten, dass sie nur im Rahmen der Scharia und der islamischen Regeln und Vorschriften arbeiten dürften. „Ich habe mich seit dem Fall der Republik nicht mehr bei meiner Arbeit gemeldet. Die Taliban kamen mehrmals zu meinem Haus, aber ich habe mich versteckt. Seit dem Zusammenbruch ist unser Büro geschlossen“, sagte er.

UNO gefordert: Menschenrechtsverletzungen durch Taliban werden nicht geduldet
Gemeinsam mit der Veröffentlichung des aktuellen Berichts fordert Amnesty den UN-Menschenrechtsrat auf, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten, um Beweise für Verbrechen nach internationalem Recht und andere schwere Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche in ganz Afghanistan zu sammeln und zu dokumentieren.“ Bereits letzte Woche, im Vorfeld der UN-Abstimmung über die Verlängerung der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA), erklärte Lawrence Moss, Vertreter von Amnesty International bei den Vereinten Nationen, dass „dass die UN-Menschenrechtsbeobachter*innen vor Ort bleiben und sich in dieser gefährlichen Zeit für die Rechte der Afghan*innen einsetzen müssen.“ Juliette Rousselot, FIDH-Programmverantwortliche für Südasien, ergänzt: „Die internationale Gemeinschaft darf die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nicht verschließen. Wenn der UN-Menschenrechtsrat konkrete Maßnahmen verhängt, sendet dies nicht nur die klare Botschaft, dass Straffreiheit nicht geduldet wird, sondern er trägt auch dazu bei, Verstöße auf breiterer Ebene zu verhindern. Gleichzeitig muss der Internationale Strafgerichtshof von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden, damit die in Afghanistan begangenen Völkerrechtsverbrechen eingehend untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA: Österreichs Modeunternehmen nachlässig bei Engagement für sichere Nähereien

Neues internationales Abkommen über Gebäude- und Feuersicherheit für Textilarbeiterinnen ohne österreichische Beteiligung – Südwind und Clean Clothes fordern von heimischen Modeunternehmen ein klares Bekenntnis zu verbindlichen Sicherheitsstandards.

Wien, 13. September 2021. Anlässlich des Starts der Vienna Fashion Week kritisieren Südwind und die Clean Clothes Kampagne das fehlende Engagement von Österreichs Modeunternehmen für sichere Arbeitsbedingungen. „Obwohl Nachhaltigkeit zum gerne bemühten Trendwort in der Modebranche geworden ist, vergessen die Unternehmen weiterhin viel zu oft auf die Arbeits- und Menschenrechte in ihren Produktionsländern“, kritisiert Gertrude Klaffenböck, Südwind-Projektleiterin für die Clean Clothes Kampagne. 

Ende August 2021 gaben globale Modeunternehmen und internationale Gewerkschaftsverbände eine Einigung über ein neues internationales Abkommen für Gebäude- und Feuersicherheit in der Bekleidungsindustrie bekannt. Während sich bereits etliche internationale Unternehmen zu den verbindlichen Sicherheitsstandards bekennen, hat noch kein einziges österreichisches Unternehmen das neue Abkommen unterzeichnet. „Die heimische Modebranche stellt sich selbst ein verheerendes Zeugnis aus. Trotz der massiven Importabhängigkeit aus Bangladesch und Pakistan ziehen sich Österreichs Modeunternehmen weiterhin aus der Verantwortung und nehmen die Gefährdung ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter in Billiglohnländern in Kauf“, sagt Klaffenböck. Österreichische Importe aus Bangladesch (96%) und Pakistan (73%) bestehen zum überwiegenden Teil aus Kleidung und Schuhen. Die Einfuhren belaufen sich jedes Jahr auf Waren im Wert von etwa 709 Millionen Euro (Bangladesch) beziehungsweise 175 Millionen Euro (Pakistan). Südwind und die Clean Clothes Kampagne fordern daher Österreichs Modeunternehmen auf, den „International Accord“ zu unterzeichnen, der seit 1. September 2021 in Kraft ist.

Das neue internationale Sicherheitsabkommen (International Accord for Health and Safety in the Textile and Garment Industry) wurde nach langen Verhandlungen zwischen Bekleidungsunternehmen und Gewerkschaften am 26. August verabschiedet und versteht sich als Erweiterung des Bangladesch-Abkommens von 2013. Nach dem tragischen Einsturz der Rana Plaza-Fabrik sahen sich Modeunternehmen damals dazu gezwungen, aktiv zu werden und mit der Verabschiedung des Bangladesch-Akkords zur Verbesserung der Gebäudesicherheit von Textilfabriken beizutragen. Das neue Abkommen von August 2021 behält die wesentlichen Elemente bei und soll zudem auf andere Länder erweitert werden. Die Unternehmen verpflichten sich damit, Zulieferern Preise zu zahlen, die ausreichen, um sichere Arbeitsplätze zu unterstützen und keine Geschäfte mehr mit Fabriken zu machen, die sich weigern die Sicherheit am Arbeitsplatz zu garantieren. Die Verpflichtungen sind rechtlich verbindlich und unterliegen einer unabhängigen Überprüfung.

„Die Erweiterung des Abkommens über den Geltungsbereich von Bangladesch hinaus ist ein überfälliger Schritt. Es kann zu einem Meilenstein werden für Textilarbeiterinnen in ihrem jahrelangen Kampf um Sicherheit am Arbeitsplatz. Für Unternehmen, die sich das Engagement für Nachhaltigkeit und Menschenrechte auf die Fahne schreiben, ist es ein Instrument, das die Achtung auf das Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen ausreichend gewährleisten kann“, erklärt Gertrude Klaffenböck. „Sämtliche Unternehmen, die in Ländern wie Bangladesch oder Pakistan produzieren lassen, sind dringend aufgefordert, mit der Unterzeichnung des Abkommens für sichere Arbeitsplätze in ihren Textilfabriken beizutragen.“ 

Weiterführende Informationen unter:
https://internationalaccord.org/
https://bangladeshaccord.org/
https://fashionchecker.org/
https://cleanclothes.org/campaigns/protect-progress

Rückfragehinweis:
Vincent Sufiyan
Kommunikationsleiter Südwind
Tel.: +43 650 96 77 577
E-Mail: vincent.sufiyan@suedwind.at

Gertrude Klaffenböck
Clean Clothes Kampagne Österreich
Tel.: +43 (0)1 405 55 15 331
E-Mail: gertrude.klaffenboeck@suedwind.at

PA: Syrien: Neuer Amnesty-Bericht zeigt Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen zurückgekehrter Geflüchteter

WIEN, 07.09.2021 – Syrische Sicherheitskräfte haben Syrer*innen, die nach ihrer Flucht in ihre Heimat zurückgekehrt sind, inhaftiert, verschwinden lassen und gefoltert, so Amnesty International in einem aktuellen Bericht heute. Die Menschenrechtsorganisation fordert die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, Menschen aus Syrien internationalen Schutz zu gewähren und keine Abschiebungen nach Syrien durchzuführen.

Unter dem Titel „You’re going to your death“ dokumentiert die Menschenrechtsorganisation eine ganze Reihe von Menschenrechtsverletzungen, die von syrischen Geheimdienstangehörigen gegen 66 Rückkehrende, darunter 13 Kinder, begangen wurden. Unter anderem werden fünf Fälle beschrieben, bei denen die Betroffenen nach ihrer Rückkehr in Haft starben; in 17 Fällen von Verschwindenlassen ist der Verbleib der Vermissten nach wie vor nicht bekannt.

Die Rückkehrer*innen berichteten, dass Geheimdienstangehörige es gezielt auf sie abgesehen hätten, weil sie aus Syrien geflohen seien. Ihnen sei Illoyalität und „Terrorismus“ vorgeworfen worden. Das bestätigt auch Marie Forestier, Expertin für die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen bei Amnesty International: „Die militärischen Feindseligkeiten mögen nachgelassen haben, aber massive Menschenrechtsverletzungen der syrischen Regierung sind weiterhin an der Tagesordnung. Allein die Tatsache, aus Syrien geflohen zu sein, genügt, um von den Behörden ins Visier genommen zu werden.“ Ins Visier genommen, weil sie geflohen sind Rückkehrer*innen werden oft von den Behörden des Verrats oder der Unterstützung des „Terrorismus“ beschuldigt – allein in dem Bericht dokumentiert Amnesty 24 Fälle, in denen Männer, Frauen und Kinder aufgrund solcher Anschuldigungen zur Zielscheibe wurden. Sie waren massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Vergewaltigungen und weitere Formen sexualisierter Gewalt, willkürlicher und rechtswidriger Inhaftierung sowie Folter und anderen Formen der Misshandlung.

Sexualisierte Gewalt
Die Bestrafungen derjenigen, die das Misstrauen der Regierung erregen, sind brutal. In dem Amnesty-Bericht werden 14 Fälle von sexualisierter Gewalt durch Sicherheitskräfte beschrieben, in sieben Fällen davon handelte es sich um Vergewaltigungen, unter anderem bei einem Teenager und einem fünfjährigen Mädchen. Klar ist: Frauen sind bei ihrer Rückkehr nach Syrien genauso gefährdet wie Männer und sollten das gleiche Maß an Schutz erhalten.

Folter und Verschwindenlassen
Insgesamt dokumentierte Amnesty International 59 Fälle von Männern, Frauen und Kindern, die nach ihrer Rückkehr in Syrien willkürlich festgenommen wurden, meist aufgrund von weit gefassten Terrorismus-Anschuldigungen. 33 Menschen wurden in Haft oder während eines Verhörs gefoltert oder anderweitig misshandelt. In dem Bericht dokumentiert wurden außerdem 27 Fälle von Verschwindenlassen. In fünf davon wurden die Familienangehörigen schließlich informiert, dass ihre Angehörigen in Haft gestorben waren. Fünf weitere Personen wurden freigelassen. Der Verbleib der anderen 17 Menschen ist nach wie vor unbekannt. In 27 dokumentierten Fällen wurden Rückkehrende festgehalten, um Lösegeld für sie zu erpressen. Durchschnittlich bezahlten Angehörige zwischen drei und fünf Millionen syrische Pfund (das entspricht 1.000 bis 1.700 Euro) für ihre Freilassung.

Syrien ist nicht sicher
Die erschütternden Aussagen im Bericht sind laut Amnesty ein Beweis dafür, dass es in Syrien keinen sicheren Ort für gibt. „Jede Regierung, die behauptet, Syrien sei jetzt sicher, ignoriert vorsätzlich die schreckliche Situation vor Ort und lässt die Geflüchtete erneut um ihr Leben fürchten. Wir fordern die europäischen Regierungen auf, Menschen aus Syrien den Flüchtlingsstatus zu gewähren und sofort jede Praxis einzustellen, die Menschen direkt oder indirekt zur Rückkehr nach Syrien zwingt. Auch die Regierungen des Libanon, der Türkei und Jordaniens müssen im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen syrische Geflüchtete vor Abschiebung oder anderen erzwungenen Rückführungsmaßnahmen schützen.“

HINTERGRUND: Druck zur Rückkehr
Die Kämpfe in Syrien haben in den letzten drei Jahren deutlich abgenommen und die syrische Regierung kontrolliert inzwischen mehr als 70 Prozent des Landes. Vor diesem Hintergrund haben die syrischen Behörden Geflüchtete öffentlich zur Rückkehr aufgefordert. Viele Aufnahmeländer haben angefangen, ihre Schutzmaßnahmen für Menschen aus Syrien zu überdenken. Im Libanon und in der Türkei, wo Geflüchtete unter prekären Bedingungen leben und Diskriminierung ausgesetzt sind, üben die Regierungen zunehmend Druck auf Syrer*innen aus, damit sie zurückkehren. Anhand der im Bericht dokumentierten Forschungsergebnisse kommt Amnesty International jedoch zu dem Schluss, dass es für Rückkehrende nirgendwo in Syrien sicher ist. Diejenigen, die Syrien seit Beginn des Konflikts verlassen haben, sind einem hohen Risiko ausgesetzt, nach ihrer Rückkehr verfolgt zu werden – sei es aufgrund der ihnen zugeschriebenen politischen Ansichten oder einfach als Strafe dafür, dass sie aus dem Land geflohen sind. „Die Assad-Regierung versucht, Syrien als ein Land im Aufschwung darzustellen. In Wirklichkeit begehen Angehörige syrischer Behörden nach wie vor systematisch Menschenrechtsverletzungen – ein Grund, weswegen Millionen von Menschen überhaupt im Ausland Schutz suchen“, sagte Marie Forestier.

In dem Bericht dokumentiert Amnesty International schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung an Geflüchteten, die zwischen Mitte 2017 und Frühjahr 2021 aus dem Libanon, Rukban (einer informellen Siedlung zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze), Frankreich, Deutschland, der Türkei, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Syrien zurückgekehrt sind. Er basiert auf Interviews mit 41 Syrer*innen, darunter Rückkehrende, deren Angehörige und Freund*innen sowie mit Anwält*innen, Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen und Syrien-Expert*innen.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

Veranstaltung: Global Inequality Talk #5: SDGs und Österreich

Was tut unser Parlament gegen Ungleichheit?

Wie sieht es mit der politischen Umsetzung der Sustainable Development Goals in Österreich aus?

Darüber reden Carmen Jeitler-Cincelli, Bereichssprecherin für die SDGs der ÖVP im österreichischen Nationalrat, und Daniel Bacher von der Dreikönigsaktion, der 2015 selbst beim making of der SDGs in New York mitarbeitete.

Moderation: Monika Austaller (Paulo Freire Zentrum)
Termin: Mo., 27. September 2021, 16.00-16.45 Uhr
Details und Anmeldung: https://entwicklungstagung.at/global-inequality-talk-5-sdgs-und-oesterreich/  
Anmeldeschluss: Fr., 24. September um 12.00 Uhr
Format: Zoom Webinar; Zoom-Link wird den Angemeldeten kurzfristig zugesendet.

PA: Katar – WM 2022: Todesfälle von Arbeitsmigranten nicht untersucht

Der Tod vieler Arbeitsmigrant*innen in Katar bleibt wegen mangelnder Untersuchungen seitens der Behörden bis heute ungeklärt. In einem neuen Bericht dokumentiert Amnesty International, wie die wahrscheinliche Todesursache – stundenlange Arbeit in extremer Hitze – nicht untersucht und stattdessen pauschal Totenscheine verfasst und die Todesfälle auf „natürliche Ursachen“ oder vage definierte Herzfehler zurückgeführt wurden.

London /Wien, 26. August 2021. Für den neuen Bericht In the Prime of their Lives befragte Amnesty International medizinische Expert*innen und überprüfte die Regierungsangaben zu Tausenden von Todesfällen; außerdem wurden 18 Totenscheine analysiert und die Familien von sechs Männern, die zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 30 und 40 Jahre alt waren, befragt.

15 der 18 Totenscheine enthielten keine Informationen über die zugrundeliegenden Ursachen, stattdessen wurden Bezeichnungen wie „akutes Herzversagen natürlicher Ursache“, „Herzversagen unspezifiziert“ und „akutes Atemversagen aufgrund natürlicher Ursache“ verwendet. Ähnliche Formulierungen wurden in den Berichten für mehr als die Hälfte der 35 Todesfälle verwendet, die seit 2015 als „nicht arbeitsbedingt“ auf den WM-Baustellen verzeichnet wurden. Dies lässt darauf schließen, dass in den betreffenden Fällen wahrscheinlich keine aussagekräftigen Untersuchungen durchgeführt wurden. Dr. David Bailey, ein führender Pathologe und Mitglied der WHO-Arbeitsgruppe zur Bescheinigung von Todesursachen, erklärte gegenüber Amnesty International: „Im Grunde stirbt am Ende jeder an Atem- oder Herzversagen, und die Formulierungen sind ohne eine Erklärung des Grundes dafür bedeutungslos.“

Forderung nach Entschädigungszahlungen an die Familien
„Wenn relativ junge und gesunde Männer nach langen Arbeitsstunden in extremer Hitze plötzlich sterben, wirft dies ernste Fragen über die Arbeitsbedingungen in Katar auf. Den Tod von Arbeitsmigranten nicht zu untersuchen und zu verhindern, ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung Katars, das Recht auf Leben zu wahren und zu schützen“, sagt Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International. „Wir fordern die katarischen Behörden auf, alle Todesfälle von Arbeitsmigranten vollständig zu untersuchen. Wenn die Arbeiter gefährlichen Bedingungen wie extremer Hitze ausgesetzt waren und keine andere Todesursache festgestellt werden kann, muss Katar den Familien eine angemessene Entschädigung zukommen lassen und unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um den Schutz für andere Arbeiter zu verbessern.“

Das Ausmaß der ungeklärten Todesfälle
Die von Amnesty durchgeführte Analyse von Angaben zu Sterbefällen aus verschiedenen Quellen deutet darauf hin, dass die Quote der ungeklärten Todesfälle von Arbeitsmigrant*innen in Katar bei fast 70 Prozent liegen könnte. Statistiken der katarischen Behörden zeigen, dass zwischen 2010 und 2019 mehr als 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben sind. Wie viele davon Arbeitsmigrant*innen waren, die aufgrund der Arbeitsbedingungen starben, lässt sich aus diesen Daten nicht schliessen, da die Todesursachen nicht systematisch erhoben werden. Auch gibt es keine umfassenden Statistiken zu Todesfällen bei allen WM-Projekten. Plötzliche Todesfälle Amnesty untersuchte die Todesfälle von sechs Arbeitsmigranten im Detail: vier Bauarbeiter, ein Wachmann und ein LKW-Fahrer. Bei keinem der Männer waren gesundheitliche Probleme bekannt und alle hatten die vorgeschriebenen medizinischen Tests bestanden, bevor sie nach Katar reisten. Keine der Familien hat nach dem Tod des Angehörigen eine Entschädigung erhalten. Auch wurde keiner der von Amnesty befragten Familien irgendeine Form der Obduktion angeboten, um die eigentliche Todesursache ihrer Angehörigen zu ermitteln. Dies bedeutete, dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Arbeitsbedingungen zum Tod der Angehörigen beigetragen hatten. Somit war die Möglichkeit einer Entschädigung durch den Arbeitgeber oder die katarischen Behörden ausgeschlossen.

Suman Miah, 34 Jahre, arbeitete als Bauarbeiter. Er starb am 29. April 2020, nachdem er eine lange Schicht bei Temperaturen von bis zu 38°C absolviert hatte. Amnesty traf die Familie von Suman Miah, darunter seine beiden kleinen Kinder, in ihrem Haus in Bangladesch. Sie erfuhren von seinem Tod durch seine Kollegen und wurden weder von den katarischen Behörden kontaktiert noch wurde ihnen eine Autopsie angeboten. „Ich konnte die Nachricht zunächst nicht glauben. Ich hatte noch ein paar Stunden zuvor mit ihm gesprochen“, sagte Suman Miahs Frau Sumi Akter. Die bangladeschische Wohlfahrtsbehörde zahlte der Familie von Suman Miah 300.000 bangladeschische Taka (ca. 3.500 US-Dollar), aber diese Summe deckte gerade mal die Schulden, die er durch Anwerbegebühren während seiner Migration nach Katar gemacht hatte.

Hintergrund: Pflicht eines Staates, das Recht auf Leben zu schützen
Die Pflicht eines Staates, das Recht auf Leben zu schützen, sowie seine Verpflichtung, gesunde Arbeits- und Umweltbedingungen zu gewährleisten, muss durch Gesetze oder andere Maßnahmen untermauert werden. Bis vor kurzem bestand der wichtigste Schutz gegen berufsbedingte Hitzebelastungen in Katar in einem Verbot der Arbeit im Freien zu bestimmten Zeiten, nämlich zwischen dem 15. Juni und dem 31. August. Im Mai 2021 verlängerte Katar das Verbot der Sommerarbeitszeit vom 1. Juni bis zum 15. September und führte weitere Vorschriften ein, darunter ein Verbot der Arbeit im Freien, wenn der Index für Hitze und Feuchtigkeit 32 Grad erreicht. Die neuen Rechtsvorschriften geben den Arbeitnehmer*innen auch das Recht, die Arbeit zu unterbrechen und sich beim Ministerium für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales zu beschweren, wenn sie sich Sorgen angesichts der hohen Temperaturen machen.

Professor David Wegman, ein Experte für Gesundheit und Sicherheit im Baugewerbe, erklärte gegenüber Amnesty, dass das neue Gesetz zwar eine Verbesserung darstelle, aber „weit hinter dem zurückbleibe, was für den Schutz der Arbeiter notwendig sei.“ Die neuen Vorschriften sehen keine obligatorischen Ruhezeiten vor, stattdessen wird den Arbeitnehmern das Recht zugestanden, bei heißem Wetter das Arbeitspensum „in ihrem eigenen Tempo zu verrichten“. In Anbetracht der extrem ungleichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen in Katar ist es laut Expert*innen jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitszeiten selbst einteilen.

Verbesserung des gesetzlichen Schutzes notwendig
Amnesty International fordert Katar auf, in seinen Gesetzen zum Schutz der Arbeiter*innen vor extremer Hitze obligatorische Ruhepausen einzuführen sowie die Untersuchung, Zertifizierung und Entschädigung von Todesfällen unter Arbeitsmigrant*innen zu verbessern.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
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Mag. Eleonore Rudnay
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E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

PA: Afghanistan: Taliban verantwortlich für brutales Massaker an Hazara-Männern – neue Untersuchung

20. August. Nach der Übernahme der Kontrolle über die afghanische Provinz Ghazni im vergangenen Monat haben Taliban-Kämpfer neun Hazara-Männer massakriert, so Amnesty International. Die brutalen Tötungen erinnern an die vergangenen Machenschaften der Taliban und sind ein Beweis dafür, dass ethnische und religiöse Minderheiten unter ihrer neuen Herrschaft weiterhin besonders gefährdet sind.

Ein Recherche-Team von Amnesty International sprach vor Ort mit Augenzeug*innen, die schilderten, wie grausam die Taliban bei den Massakern vorgingen, die sich zwischen dem 4. und 6. Juli 2021 in dem Dorf Mundarakht im Bezirk Malistan ereigneten. Sechs der Männer wurden erschossen und drei zu Tode gefoltert, darunter ein Mann, der mit seinem eigenen Schal erwürgt und dessen Armmuskeln abgetrennt wurden.

Die brutalen Tötungen stellen wahrscheinlich nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Todesopfer dar, die die Taliban bisher zu verantworten hatten, da die Kämpfer in vielen Gebieten, die sie kürzlich eroberten, den Handyempfang unterbrochen haben und so kontrollieren können, welche Fotos und Videos aus diesen Regionen weitergegeben werden.

„Die kaltblütige Brutalität dieser Tötungen erinnert an die Vergangenheit der Taliban und ist ein erschreckender Hinweis darauf, was die Taliban-Herrschaft bringen kann“, sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. „Diese gezielten Tötungen sind ein Beweis dafür, dass ethnische und religiöse Minderheiten auch unter der neuen Herrschaft der Taliban in Afghanistan besonders gefährdet sind.“

„Wir fordern den Uno-Sicherheitsrat auf, eine Dringlichkeitsresolution zu verabschieden, in der die Taliban aufgefordert werden, die internationalen Menschenrechtsnormen zu respektieren und die Sicherheit aller Afghan*innen zu gewährleisten, unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund oder ihrer religiösen Überzeugung.“

„Der UN-Menschenrechtsrat muss einen soliden Untersuchungsmechanismus einrichten, um Beweise für laufende Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in ganz Afghanistan zu dokumentieren, zu sammeln und zu sichern. Dies wird sich als entscheidend erweisen, damit die internationale Gemeinschaft fundierte Entscheidungen treffen kann und um die Straflosigkeit zu bekämpfen, die weiterhin schwere Verbrechen in dem Land begünstigt.“

Folter und Mord im Rahmen eines bewaffneten Konflikts sind Verstöße gegen die Genfer Konventionen und stellen Kriegsverbrechen im Sinne des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs dar, der sich bereits mit Verbrechen im Konflikt in Afghanistan befasst. Nach dem Zusammenbruch der Regierung in den letzten Tagen haben die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen. Amnesty International hat zum Schutz von Tausenden von Menschen aufgerufen, die unmittelbar von Repressalien der Taliban bedroht sind.

Mehr Informationen zu den Massakern in der Provinz Ghazni finden Sie in der internationalen Medienmitteilung (Englisch).

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