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Kommentar: COVID-19 und Bildung: Alte Rezepte gegen neue globale Ungleichheit?

Von Margarita Langthaler (ÖFSE), Jänner 2022. Die COVID-19 Pandemie hat globale Bildungsungleichheit massiv verschärft. Es drohen schwere langfristige soziale und ökonomische Folgen vor allem in den Ländern des Globalen Südens. Der Schlüssel zur Bewältigung der aktuellen Bildungskrise liegt in der Stärkung öffentlicher Bildungssysteme und nicht in verstärkter Privatisierung.

COVID-19 Pandemie verstärkt Bildungsungleichheit

Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Die COVID-19 Pandemie hat Bildungsungleichheit weltweit vergrößert. Dabei hat sie sich in unterschiedlichen Teilen der Welt unterschiedlich auf Bildungssysteme ausgewirkt. Die Gemeinsamkeit ist allerdings, dass die einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen die Auswirkungen am schwersten zu spüren bekommen.

Eine Reihe von Studien (bspw. hier und hier) belegen für OECD-Länder, dass Kinder aus sozioökonomisch schwachen oder benachteiligten Haushalten tendenziell größere Lernverluste in Folge der COVID-19 bedingten Schulschließungen aufweisen als solche aus besser gestellten Familien. Die wesentlichen Gründe hierfür sind fehlender oder eingeschränkter Zugang zu digitalen Hilfsmitteln sowie ungünstige Lernbedingungen und fehlende Unterstützung zu Hause. Dazu kommt der Wegfall von Unterstützungsleistungen wie Lernhilfe oder Schulpsychologie. Mittelfristig zeichnet sich ein massives Ansteigen vorzeitiger Schulabbrüche ab. Die längerfristigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind noch nicht einschätzbar. Allerdings zeigen die Statistiken, etwa in Österreich, einen deutlich steileren Anstieg der Arbeitslosenquote von Personen mit Pflichtschulabschluss als von jenen mit Sekundarabschluss. Eine hohe Zahl an vorzeitigen Schulabbrüchen kann daher längerfristig zu erheblichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen führen.

Globaler Süden besonders stark betroffen

In globaler Perspektive wirkt die ungleiche Verteilung der negativen Effekte auf Bildung in noch viel höherem Maße. Das ist sowohl zwischen einkommensschwachen und -starken Ländern als auch innerhalb einkommensschwacher Länder der Fall. Insbesondere zwei der bereits genannten Gründe, die auch für OECD-Länder gelten, kommen im Globalen Süden viel schwerwiegender zum Tragen. Erstens ist der Zugang zu technischer Ausstattung im Globalen Süden insgesamt stärker eingeschränkt und zudem sehr ungleich verteilt. Das erschwert die Teilnahme am Fernunterricht. Laut eines Berichts von UNICEF, UNESCO und Weltbank haben in West- und Zentralafrika nicht einmal 5% der Schulkinder Zugang zum Internet. In Süd-und Ostafrika sowie in Südasien sind es ca. 12%, in Lateinamerika ca. 52%. Noch niedrigere Prozentsätze zeigen sich dabei für die Landbevölkerungen. In Lateinamerika haben nur ca. 22% der ländlichen Bevölkerung Zugang zum Internet. In den Städten sind es über 60%. Vor allem in Sub-Sahara Afrika stellt sich zudem das Problem, dass nur 47% der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität hat. Dadurch ist die Verwendung von Radio oder Fernsehen für den Fernunterricht ebenfalls eingeschränkt.

Wie in den OECD-Ländern ist der zweite wesentliche Faktor für steigende Bildungsungleichheit die stark unterschiedliche Unterstützungssituation für Lernende in den Haushalten. In vielen Ländern des Globalen Süden betrifft fehlende Unterstützung allerdings nicht eine Minderheit, sondern die Mehrheit der Schulkinder. Grund dafür sind die im Globalen Süden sehr viel niedrigeren Alphabetisierungs- und Sekundarabschlussraten unter Erwachsenen, insbesondere unter Frauen.

Ein weiterer Grund für den Anstieg von Bildungsungleichheit ist, dass die Wirtschaftskrise in Folge der COVID-19 Pandemie die Länder des Globalen Südens ungleich stärker trifft. Dadurch sind die Möglichkeiten der Staaten, die Folgen mit Unterstützungsprogrammen abzufedern, entsprechend geringer. Grundsätzlich ist auch hier zu sehen, dass Menschen in manuellen, informellen und prekären Tätigkeiten von der Wirtschaftskrise am stärksten betroffen sind. Laut Schätzungen der Weltbank sanken im Jahr 2020 in Folge der Pandemie zusätzlich 119-124 Millionen Menschen in extreme Armut ab.

Armut als verstärkender Faktor

Ein Rückgang des Haushaltseinkommens hat jedoch stärkere negative Auswirkungen auf den Bildungsfortschritt von Kindern, wenn das Einkommen davor schon niedrig war. Ökonomische Armut kann verschiedene schädigende Entwicklungen hervorrufen oder verstärken, die das Lernvermögen von Kindern einschränken. Beispiele sind Mangelernährung und Gesundheitsprobleme. Der Bericht von UNESCO, UNICEF und Weltbank zeigt, dass in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen durch die Schulschließungen Ernährungs- und Gesundheitsprogramme um 30% zurückgegangen sind. Entsprechende Prognosen besagen, dass das zu zusätzlich rund 40 Millionen untergewichtigen Kindern führen wird. Paradoxerweise hat in anderen Teilen der Welt der Wegfall von Schulspeisungen eine Zunahme von Fettleibigkeit unter Kindern hervorgerufen.

Kinderarbeit ist ein weiteres Phänomen, das während der Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns insbesondere in einkommensschwachen Haushalten stark zugenommen hat. Dasselbe gilt für Haus- und Pflegearbeit für Mädchen. Vor allem Mädchen leiden auch unter der Zunahme von häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung, Kinderehen und frühen Schwangerschaften. Diese Phänomene führen unter anderem dazu, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen oft nicht mehr in die Schulen zurückkehren, sobald diese nach dem Lockdown wieder öffnen.

Die Chancen, Lernverluste aufzuholen, sind ebenso ungleich verteilt, wie die Lernverluste selbst. Kinder aus finanziell besser abgesicherten Haushalten, die meist gut ausgestattete Schulen besuchen, erhalten in der Regel weit öfter ausreichend Unterstützung, um die erlittenen Rückstände auszugleichen. Hingegen werden Kinder aus ökonomisch ärmeren und benachteiligten Haushalten, insbesondere im Globalen Süden, langfristige, manchmal über Generationen anhaltende, negative Auswirkungen auf ihre Berufs- und Einkommensaussichten sowie auf ihre Gesundheit spüren.

Geringe Resilienz privater Schulen während COVID-19

Die relative Schwäche und Fragmentierung der öffentlichen Bildungssysteme in vielen Ländern des Globalen Südens hat ebenfalls Bildungsungleichheit befördert. In vielen dieser Länder haben sich in den letzten fünfzehn Jahren so genannte ‚low cost private schools‘ massiv ausgebreitet. Ihre Qualität und Bedeutung für die notwendige Bildungsexpansion waren schon vor der Pandemie umstritten. Während der Pandemie hat sich gezeigt, dass diese Schulen die geringste Resilienz aufwiesen, ihre Lehrkräfte nicht mehr bezahlen konnten, nicht in der Lage waren, Ersatzunterricht anzubieten, und am ehesten schließen mussten.

Eine weitere Entwicklung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Aufgrund der Notwendigkeit, kurzfristig auf Fernunterricht umzustellen, hat weltweit der Einfluss privater Unternehmen auf den Bildungssektor stark zugenommen. Dadurch entstehen insbesondere in Ländern mit fragmentierten öffentlichen Bildungssystemen und schwachen Regulierungskapazitäten eine Reihe von bildungspolitischen Risiken, vor denen die UN-Sondergesandte für das Menschenrecht auf Bildung, Koumbou Boly Barry, eindringlich warnt. Private Bildungsakteure könnten staatlichen Bildungsbudgets in unverhältnismäßigem Ausmaß beanspruchen und dadurch die Unterfinanzierung der öffentlichen Schulsysteme weiter verschärfen. Das gilt insbesondere für Länder mit niedrigen Budgets. Die stärkere Rolle privater Akteure birgt auch Risiken hinsichtlich der Beeinflussung von Lehrplänen bzw. -methoden sowie von Datenmissbrauch.

Stärkung öffentlicher Bildungssysteme ist zentral

Nicht zuletzt diese Entwicklungen machen deutlich, dass die Bildungskrise und insbesondere die Bildungsungleichheit nur mithilfe starker öffentlicher Bildungssysteme überwunden werden können. Diese müssen hochwertige Bildung für alle Lernenden garantieren. Diese offensichtliche Lehre aus der Pandemie scheint jedoch bei vielen einflussreichen Akteuren nicht angekommen zu sein. Organisationen wie die Weltbank oder die UNESCO warnen in ihren Politikempfehlungen zwar vor steigender Bildungsungleichheit. Gleichzeitig interpretieren sie die Bildungskrise aber als Chance, durch Partnerschaften mit privaten Akteuren sowohl das Problem der Unterfinanzierung zu lösen als auch pädagogische Innovationen wie etwa breite Digitalisierung zu bewerkstelligen.

Damit wird für die Pandemie und ihre Folgen bzw. das, was viele als die größte weltweite Bildungskrise bezeichnen, ein alt bekanntes Gegenrezept empfohlen: die weitere Liberalisierung eines öffentlichen Sektors für private Anbieter und ein Staat, dessen Rolle vorrangig darin bestehen soll, durch Regulierung die Qualität zu sichern und unerwünschte soziale Probleme, wie Bildungsungleichheit, hintanzuhalten. Zahlreiche Studien und jahrzehntelange Erfahrungen haben die geringe Erfolgsquote dieses Rezepts bewiesen; zumindest, wenn es darum geht, Dienstleistungen für alle, auch von Armut betroffene, bereitzustellen. Die COVID-19 Pandemie hat stattdessen gezeigt, dass sowohl Digitalisierungs- als auch Privatisierungs- und Kommerzialisierungsprozesse gesellschaftliche Asymmetrien tendenziell verstärken, anstatt sie zu mindern

Das Gebot der Stunde zur Überwindung der globalen Bildungsungleichheitskrise kann deswegen nur sein, das Konzept von Bildung als öffentlichem Gut zentral zu setzen. Das bedeutet, resiliente öffentliche Bildungssysteme (wieder)aufzubauen und diese chancengerecht zu gestalten. Auch wenn der Globale Norden diese Aufgabe in den eigenen Ländern bei weitem noch nicht erfüllt hat, kann er zur Bewältigung der viel größeren Herausforderungen im Globalen Süden einiges beitragen. Nicht zuletzt durch gerechte globale Steuer- und Schuldenregulierungen, die es den Staatshaushalten im Globalen Süden ermöglichen würden, adäquate Bildungsbudgets zu erstellen.

Dr.in Margarita Langthaler, Senior Researcher (ÖFSE)
Arbeitsschwerpunkte: Bildungsstrategien in der EZA, Berufliche Bildung und Skills Development, Bildung und die Sustainable Development Goals (SDGs), Entwicklungsforschung in Österreich

PA: Olympia 2022: AMNESTY INTERNATIONAL fordert von China die Einhaltung der Menschenrechte

Die internationale Gemeinschaft muss die Olympischen und Paralympischen Winterspiele in Peking zum Anlass nehmen, um Verbesserungen der Menschenrechtslage in China zu fordern. Das fordert Amnesty International im Vorfeld der Olympischen Spiele, die am 4. Februar 2022 beginnen.

Amnesty kritisiert, dass die Sportveranstaltung vor dem Hintergrund beständiger Menschenrechtsverletzungen im Land stattfindet: „Die Olympischen Spiele in Peking versprechen ein denkwürdiges Sportereignis, doch die Zuschauer*innen aus aller Welt dürfen nicht willentlich die Augen vor den Ereignissen anderswo in China verschließen: die Anwält*innen und Aktivist*innen, die aufgrund ihrer friedlichen Tätigkeiten inhaftiert werden; Überlebende sexualisierter Gewalt, die bestraft werden, weil sie nicht schweigen; Tausende Menschen, die Schätzungen zufolge jedes Jahr hingerichtet werden; die muslimischen ethnischen Gruppen (Uigur*innen), die systematisch und massenhaft inhaftiert, gefoltert und verfolgt werden“, mahnt Alkan Akad, Experte für China bei Amnesty International. „Die Olympischen Spiele dürfen die Aufmerksamkeit nicht von der haarsträubenden Menschenrechtsbilanz der chinesischen Regierung ablenken. Im Gegenteil: Sie sollten Gelegenheit bieten, China in dieser Hinsicht zu Verbesserungen zu bewegen.“

IOC muss die Einhaltung der Zusagen von China einfordern
Die chinesische Regierung machte vor den Olympischen Winterspielen eine Reihe menschenrechtlicher Zusagen. So wurden unter anderem in den Bereichen Medienfreiheit und Arbeitsrechte sowie bei Zwangsräumungen und der Möglichkeit auf friedliche Demonstrationen Verbesserungen zugesichert. Amnesty International fordert nun das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf, die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichtgrundsätze und -praktiken, die es im Vorfeld und während der Olympischen Spiele anwendet, vollständig umzusetzen und öffentlich zu machen. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird in China systematisch mit Füßen getreten. Deshalb ist es so wichtig, dass das IOC und die unterschiedlichen Nationalen Olympischen Komitees es hinreichend respektieren, wenn Athlet*innen und Sportfunktionär*innen sich bei den Spielen zu den Menschenrechten äußern möchten. Dies gilt auch für Themen, die von den Behörden als „politisch sensibel“ eingestuft werden“, so Alkan Akad. „Das IOC muss zudem darauf bestehen, dass die chinesische Regierung ihr Versprechen zur Gewährleistung der Medienfreiheit einhält, was uneingeschränkten Internetzugang für chinesische und internationale Journalist*innen miteinschließt. Darüber hinaus müssen Personen, die während der Olympischen Spiele friedlich protestieren möchten, diese Möglichkeit erhalten.“

Kein Sportswashing – Fehler aus 2008 nicht wiederholen
Amnesty International appelliert an Regierungsvertreter*innen, einschließlich derjenigen, die bei den Olympischen Spielen anwesend sein werden, in ihren Gesprächen mit den chinesischen Behörden den Menschenrechten oberste Priorität einzuräumen. „Die Welt muss aus den Olympischen Spielen 2008 in Peking lernen, denn damals hat China seine menschenrechtlichen Zusicherungen nie umgesetzt“, erinnert Alkan Akad. „Die Olympischen Winterspiele in Peking dürfen den chinesischen Behörden keinen Anlass zum Sportswashing geben, und die internationale Gemeinschaft darf keinesfalls eine chinesische Propagandaübung unterstützen.“

Für  Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56
E-Mail: eleonore.rudnay@amnesty.at

Online-Vortrag: MENSCHEN- UND ARBEITSRECHTE IM ERNÄHRUNGSSYSTEM

Tina Wirnsberger beleuchtet, welche Menschenrechtsverletzungen in unserem Ernährungssystem begangen werden und geht darauf ein, welche Veränderungen es braucht um der globalen Ungleichheit entgegenzusteuern.

Weltweit versuchen Agrar- und Ernährungsindustrie ihre Kontrolle über die Wertschöpfungskette von Nahrungsmitteln auszuweiten. Nicht nur in Europa ist ihr Einfluss auf Agrar- und Handelspolitik deutlich spürbar, sondern auch in neuen Bereichen wie der Entwicklungspolitik wächst der Einfluss des Privatsektors. Auf der Strecke bleiben zumeist die Menschenrechte und die Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Personen, die in ländlichen Bereichen arbeiten. 

Mi, 26.1.2022, 19:00 bis 20:30 Uhr
Moderation: Gudrun Glocker (Südwind OÖ)
Bitte um Anmeldung.

Tina Wirnsberger ist diplomierte Sozialpädagogin und Erwachsenentrainerin und arbeitet als Projektkoordinatorin für FIAN Österreich. Ihre Arbeitsbereiche sind Kleinbäuer*innenrechte, Frauen, Fallarbeit und das Recht auf Nahrung.

Der Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe Denk.Mal.Global 2022 – Herausforderungen der Ernährungswenden von Südwind Oberösterreich.

Online-Veranstaltung: ÖSTERREICH-PRÄSENTATION DES UNESCO-WELTBILDUNGSBERICHTS: NICHT-STAATLICHE AKTEURE IM BILDUNGSWESEN

Die Bildungsagenda 2030 unterstreicht in SDG 4 „Hochwertige Bildung“ die wichtige Rolle nicht-staatlicher Akteure. Doch wie steht es um nicht-staatliche Bildungseinrichtungen in Österreich?

Wie sind nicht-staatliche Bildungseinrichtungen an der Bereitstellung von grundlegenden und unterstützenden Bildungsgütern und -dienstleistungen beteiligt? Welche Auswirkungen hat die nicht-staatliche Bereitstellung von Bildung auf Zugang, Chancengleichheit, Integration, Qualität, Lernen und Effizienz? Welchen Einfluss üben nicht-staatliche Akteure und Bildungseinrichtungen auf Bildungssysteme aus?

Diesen Fragen geht der Global Education Monitoring Report (GEM) 2021/22 nach. Er wird jährlich von einem bei der UNESCO angesiedelten, unabhängigen Team aus Expert*innen herausgegeben und überprüft die Fortschritte bei der Erreichung des internationalen Bildungsziels. Die aktuelle Ausgabe ist dem Thema „Nicht-staatliche Bildungsakteure“ gewidmet.

Am 20. Jänner wird der UNESCO-Weltbildungsbericht zum Thema „Nicht-Staatliche Akteure im Bildungswesen“ online präsentiert und anschließend mit Expert*innen auf globaler und österreichischer Ebene diskutiert.

Online: 20.01.2022, 10:00 – 12:30 Uhr
Liveübersetzung in Deutsch, Englisch und ÖGS
Programm
Anmeldung

Eine Veranstaltung der Österreichischen UNESCO-Kommission in Kooperation mit der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).


Online-Vortrag: Auswirkungen unseres Ernährungssystems auf die Klimakrise und Biodiversität

Die Ernährung zeichnet für 29% der globalen, vom Menschen gemachten Treibhausgase und für einen großen Teil des Artenverlustes verantwortlich. 

Im Vortrag werden die Auswirkungen von Ernährungsstilen auf ihre Klimawirksamkeit und ihren Landverbrauch aufgezeigt, sowie auf die Folgen des Anbaus von Sojafuttermittel und Palmöl auf die Biodiversität und die Menschen in den Anbauregionen im globalen Süden eingegangen.

Martin Schlatzer ist Ernährungsökologe und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) sowie am Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seine Schwerpunkte liegen auf interdisziplinären Forschungsprojekten im Zusammenhang mit Landwirtschaft, Klimawandel und Ernährungssicherung. Er ist Autor des 2010 erstmals erschienen Buches „Tierproduktion und Klimawandel – ein wissenschaftlicher Diskurs zum Einfluss der Ernährung auf Umwelt und Klima“.

Online-Vortrag: 19.01.2022, 19:00 – 21:30 Uhr
Moderation: Birgit Mock (Vorstand Südwind OÖ).
Zur Anmeldung

Der Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe Denk.Mal.Global 2022 – Herausforderungen der Ernährungswenden von Südwind Oberösterreich.

Online Veranstaltung: Dialog für den Wandel – Klimaethik und Generationengerechtigkeit

Die Klimakrise wirft Fragen auf, welche unter anderem die Klimaethik versucht zu beantworten: Nach welchen Prinzipien sollen die aus der Klimakrise erwachsenden Lasten verteilt werden? Wie können die normativen Forderungen begründet werden? Und was ist unter „Klimagerechtigkeit“ zu verstehen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Klimaethiker*innen. Die Antworten hängen sehr eng damit zusammen, wie über Generationengerechtigkeit nachgedacht wird.

Online-Diskussion mit Angela Kallhoff (Professorin für Ethik, am Institut für Philosophie der Universität Wien), Hubert Malin (Forstbetriebsleiter Forstfonds Montafon) & Florian Sturm (Moderator Klimajugendrat). Im Anschluss wird im Dialog der philosophische Zugang zu Fragen der Klimagerechtigkeit mit Beispielen aus der Praxis vervollständigt und begreifbar gemacht.

20.01.2022, 18:00 – 19:30 Uhr, online
Anmeldung bis Donnerstag 20. Jänner um 9 Uhr möglich unter diesem Link.

Alle angemeldeten Personen erhalten am Tag der Veranstaltung einen Link des Postgraduate Centers der Universität Wien, um an der Online Veranstaltung teilnehmen zu können. Für die Teilnahme ist keine Softwareinstallation nötig.


Die Plattform Dialog für den Wandel versammelt Mitwirkende aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft.

PA: Jahresbilanz der Pressefreiheit: 488 Journalistinnen und Journalisten in Haft

Laut der heute veröffentlichten Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen (RSF) wird derzeit weltweit eine Rekordzahl von 488 Journalisten, darunter 60 Frauen, inhaftiert, während weitere 65 als Geiseln festgehalten werden. Die meisten Gefangenen, die wegen Arbeit für die Presse festgenommen wurden, hat China mit 127. Es folgen Myanmar mit 53, Vietnam mit 43, Belarus mit 32 und Saudi-Arabien mit 31.

Gleichzeitig ist die Zahl der im Jahr 2021 getöteten Journalisten mit 46 so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Die Zahl der Journalistinnen, die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit inhaftiert wurden, war noch nie so hoch, seit RSF 1995 begann, seine jährliche Übersicht zu veröffentlichen. Die RSF verzeichnete Mitte Dezember 2021 insgesamt 488 inhaftierte Journalistinnen und Medienschaffende, das sind 20 % mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.

Dieser außergewöhnliche Anstieg willkürlicher Verhaftungen ist vor allem auf drei Länder zurückzuführen: Myanmar, wo das Militär am 1. Februar 2021 durch einen Staatsstreich die Macht zurückerobert hat, Weißrussland, wo seit der umstrittenen Wiederwahl von Alexander Lukaschenko im August 2020 hart durchgegriffen wird, und das China von Xi Jinping, das seinen Griff um Hongkong, die Sonderverwaltungsregion, die einst als regionales Vorbild für die Achtung der Pressefreiheit galt, verschärft.
RSF hat auch noch nie zuvor so viele Journalistinnen im Gefängnis registriert. Insgesamt sind derzeit 60 Journalistinnen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit inhaftiert – ein Drittel (33 %) mehr als zu diesem Zeitpunkt im letzten Jahr.

China, das im fünften Jahr in Folge die meisten Journalisten inhaftiert, ist auch das Land mit den meisten inhaftierten Journalistinnen, von denen 19 derzeit inhaftiert sind. Darunter befindet sich auch Zhang Zhan, die RSF-Preisträgerin für Pressefreiheit aus dem Jahr 2021, die derzeit schwer erkrankt ist.

In Weißrussland sind derzeit mehr Journalistinnen (17) als Journalisten (15) inhaftiert. Darunter sind auch zwei Reporterinnen des in Polen ansässigen unabhängigen belarussischen Fernsehsenders Belsat – Daria Chultsova und Katsiaryna Andreyeva -, die wegen der Live-Berichterstattung über eine nicht genehmigte Demonstration zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Von den 53 in Myanmar inhaftierten Journalisten und Medienschaffenden sind neun Frauen.

Die extrem hohe Zahl von Journalistinnen, die willkürlich inhaftiert sind, ist das Werk dreier diktatorischer Regimes. „Zweifellos haben all diese Vorgehensweisen das Ziel, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der Versuch, kritischen Journalismus über den verlängerten Arm der Regierung zu unterbinden ist untragbar. Das ist Diskriminierung und Missachtung der Pressefreiheit“, so Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich-Präsidentin Rubina Möhring.

Dabei steigt die Gewalt zunehmend und die Unterdrückungsmethoden werden immer brutaler“, das ist erschreckend. Pressefreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht. Doch die Häufung schwerer Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten bei zugleich hoher Straflosigkeit ist alarmierend. Es ist an der Zeit, dass Staaten zur Rechenschaft gezogen werden“, so Möhring weiter. Ein weiteres auffälliges Merkmal der diesjährigen Übersicht ist der Rückgang der Zahl der Journalistinnen, die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden – 46 im Zeitraum vom 1. Januar bis 1. Dezember 2021. Man muss bis 2003 zurückgehen, um ein weiteres Jahr mit weniger als 50 getöteten Journalistinnen zu finden. Der diesjährige Rückgang ist vor allem auf die nachlassende Intensität der Konflikte in Syrien, im Irak und im Jemen zurückzuführen, sowie auf die Kampagnen von Organisationen für Pressefreiheit, darunter RSF, die sich für die Umsetzung internationaler und nationaler Mechanismen zum Schutz von Journalistinnen einsetzen.

Doch trotz dieses bemerkenswerten Rückgangs wird immer noch durchschnittlich fast ein Journalist pro Woche im Zusammenhang mit seiner Arbeit getötet. RSF hat festgestellt, dass 65 % der im Jahr 2021 getöteten Journalist*innen absichtlich ins Visier genommen und eliminiert wurden. Mexiko und Afghanistan sind erneut die beiden Länder mit den meisten Todesopfern: sieben Journalisten wurden in Mexiko und sechs in Afghanistan getötet. Jemen und Indien teilen sich den dritten Platz mit jeweils vier getöteten Journalisten.

Zusätzlich zu diesen Zahlen werden in der Übersicht 2021 auch einige der besorgniserregendsten Fälle des Jahres erwähnt. Die längste Haftstrafe dieses Jahres, 15 Jahre, wurde sowohl gegen Ali Aboluhom in Saudi-Arabien als auch gegen Pham Chi Dung in Vietnam verhängt. Die längsten und kafkaeskesten Prozesse werden gegen Amadou Vamoulké in Kamerun und Ali Anouzla in Marokko geführt. Die ältesten inhaftierten Journalisten sind Jimmy Lai in Hongkong und Kayvan Samimi Behbahani im Iran, die 74 und 73 Jahre alt sind.

Der französische Journalist Olivier Dubois war der einzige ausländische Journalist, der in diesem Jahr entführt wurde. Er befindet sich seit dem 8. April in Mali in Geiselhaft. Ebenfalls zählt dazu der Wikileaks-Gründer Julian Assange, dem im Falle einer Auslieferung in die USA bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft drohen.

Die gesamte Jahresbilanz finden Sie hier: https://drive.google.com/file/d/12UHW8X1DribkfgCmZO6qCT-9MJ76h-ab/view?usp=sharing

Rückfragehinweis:
Mag.a Christin Edlinger
Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich
Helferstorferstraße 5, 1010 Wien
+43 676 6706623
info@rog.at
www.rog.at@pressefreiheit

PA: ADA – Eine Welt ohne Hunger

Seit Jahrzehnten bemüht sich die internationale Staatengemeinschaft darum, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Trotzdem steigt seit einigen Jahren die Zahl der Menschen, die unter- oder fehlernährt sind, wieder stetig an. Wo die Ursachen für diese Entwicklung liegen und wie sie zu bekämpfen sind – das steht im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe der Weltnachrichten, des Magazins der Austrian Development Agency (ADA).

Wien, 15. Dezember 2021 – Schon die Welternährungsgipfel in den 1970er- und 1990er-Jahren hatten vor allem ein Ziel: eine Welt ohne Hunger. Mit Ziel 2 der Globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) erneuerte die internationale Staatengemeinschaft 2015 diese Absicht. Tatsächlich steigt die Zahl der Hungernden, Unterernährten und Fehlernährten seit einigen Jahren aber wieder an. Laut Welternährungsbericht der FAO aus 2021 hungerten 2020 weltweit knapp 811 Millionen Menschen, vor allem in Asien und Afrika. Weitere 1,25 Milliarden leiden an Unterernährung. Die COVID-19 Pandemie wird die Zahl der Hungernden zusätzlich um geschätzte 83 bis 132 Millionen erhöhen.
 
Schuld sind nicht vorrangig die Produktionssysteme, weltweit werden ausreichend Nahrungsmittel produziert. Viel eher müssen die globalen Ernährungssysteme kritisch hinterfragt werden. Die meisten Hungernden leben in ländlichen Regionen. Bäuerliche Familienbetriebe machen weltweit 70 Prozent der Hungernden aus. Oft haben sie keinen sicheren Zugang zu Land oder Saatgut, diese Ressourcen konzentrieren sich häufig in den Händen einiger weniger. Ländliche Räume werden von der Politik vernachlässigt, es gibt daher dort auch keine Infrastruktur. Außerdem fehlt es in vielen Teilen der Welt an Sozialhilfe-Gesetzen.
„In der Landwirtschafts- und Ernährungssicherheitspolitik einzelner Länder werden Kleinbäuerinnen und -bauern merklich vernachlässigt. Dabei sind sie in Ländern des Globalen Südens die tragende Säule der Nahrungsmittelproduktion“, betont Botschafter Friedrich Stift, Geschäftsführer der Austrian Development Agency (ADA), der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. „Ihre Rahmenbedingungen müssen dringend verbessert werden.“
 
Ein weiteres Problem der globalen Ernährungssysteme: Sie treiben durch bestimmte Formen der Landnutzung oder intensive Tierhaltung den Klimawandel an: wenn etwa für die Fleisch- oder Futtermittelproduktion große Flächen Urwald gerodet, natürliche Ressourcen zerstört oder übernutzt werden. Etwa ein Drittel der Treibhausgas-Emissionen geht auf das Konto der Ernährungssysteme. Hinzu kommt, dass weltweit ein Drittel der Nahrungsmittel verschwendet wird oder verloren geht.
 
Schwieriger Weg
2020 hatte weltweit beinahe einer von drei Menschen keinen Zugang zu genügend Nahrungsmitteln, so der Welternährungsbericht der FAO. Das waren um 320 Millionen mehr als 2019. Alle zehn Sekunden stirbt laut UNICEF ein Kind unter fünf Jahren an Hunger. Dabei wären nur rund 45 Milliarden Euro jährlich erforderlich, um den Hunger bis 2030 weltweit zu beenden.
 
Die Transformation der Ernährungssysteme ist schwierig. Weshalb das so ist und welche Hungertreiber die Welt belasten, erläutert Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in seinem Kommentar. Warum so viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Entwicklungsländern hungern, erklärt Ousseini Ouedraogo, Exekutivsekretär der Bauern- und Produzenten-Organisation ROPPA (Westafrika), im Interview. Wieso Frauen besonders häufig von Ernährungsunsicherheit betroffen sind und weshalb die Klimaveränderung die Situation gerade im Globalen Süden zusätzlich verschlechtert, sind ebenfalls Themen dieser Ausgabe.
 
Außerdem in den Weltnachrichten 4/2021 zu lesen:

  • Heilsbringer Hybridsaatgut? Ein zweischneidiges Schwert im Kampf gegen Hunger.
  • Insekten auf dem Speiseplan: Können sie die Ernährungssicherheit erhöhen?
  • Die verheerenden Folgen einer Heuschreckeninvasion am Horn von Afrika.

Die Weltnachrichten berichten vierteljährlich über entwicklungspolitische Themen. Herausgeber ist die Austrian Development Agency. Alle Beiträge, Reportagen, Interviews und Geschichten sind auch online nachzulesen. Die Weltnachrichten sind kostenlos. Bestellungen unter oeza.info@ada.gv.at.

Austrian Development Agency
Die Austrian Development Agency, die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, unterstützt Länder in Afrika, Asien, Südost- und Osteuropa bei ihrer nachhaltigen Entwicklung. Gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen setzt die ADA derzeit Projekte und Programme mit einem Gesamtvolumen von über 550 Millionen Euro um.

Rückfragehinweis:
Austrian Development Agency (ADA),
die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit
Mag. (FH) Dagmar Achter
Tel.: +43 (0)1 90399-2413
Mobil: +43 (0)676 839 03 413
dagmar.achter@ada.gv.at 
www.entwicklung.at

PA: AMNESTY-Bericht zu Afghanistan: „Endloses Blutvergießen und Kriegsverbrechen auf allen Seiten“

Im Kampf um die Vorherrschaft in Afghanistan wurden im ersten Halbjahr 2021 Tausende Zivilist*innen getötet. Die Taliban verübten vor dem Fall Kabuls diverse Kriegsverbrechen, doch auch das US-Militär und die afghanischen Streitkräfte waren für Angriffe verantwortlich, die zu großem Leid unter der Zivilbevölkerung führten. Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.

WIEN/LONDON, 15.12.2021 – Der Bericht No Escape: War Crimes and Civilian Harm During The Fall Of Afghanistan To The Taliban dokumentiert Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Tötungen durch die Taliban vor dem Sturz der afghanischen Regierung im August 2021. Er zeigt außerdem, dass es auch bei Boden- und Luftoperationen der afghanischen Streit- und Sicherheitskräfte und des US-Militärs (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) zahlreiche zivile Opfer gab.

„Die Monate vor dem Zusammenbruch der Regierung in Kabul waren geprägt von zahlreichen Kriegsverbrechen und endlosem Blutvergießen durch die Taliban. Doch auch durch afghanische und US-Streitkräfte kamen Zivilpersonen zu Tode“, sagte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. „Häuser, Krankenhäuser, Schulen und Geschäfte wurden zu Tatorten, an denen wiederholt Menschen verletzt oder getötet wurden.“

Nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) wurden im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 1.659 Zivilpersonen getötet und 3.524 verletzt. Dies ist ein Anstieg von 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Taliban folterten gezielt Mitglieder ethnischer Minderheiten
Im aktuellen Bericht wird dokumentiert, wie Mitglieder der Taliban im Zuge ihrer fortschreitenden Offensive im Juli und August 2021 gezielt Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, ehemalige Soldaten der afghanischen Streitkräfte sowie Personen, die als Sympathisant*innen der Regierung galten, folterten und bei Vergeltungsanschlägen töteten. Am 6. September 2021 griffen Taliban-Kräfte die Stadt Bazarak in der Provinz Panjshir an und nahmen etwa 20 Männer gefangen. Sie wurden zwei Tage lang festgehalten, wobei sie zeitweise in einem Taubenschlag eingesperrt waren, wurden gefoltert, erhielten keine Nahrung, kein Wasser und keine medizinische Versorgung. Wiederholt wurde ihnen mit der Hinrichtung gedroht. Später am selben Tag griffen die Taliban auch das nahe gelegene Dorf Urmaz an, wo sie Hausdurchsuchungen durchführten, um Personen ausfindig zu machen, die verdächtigt wurden, für die ehemalige Regierung zu arbeiten. Die Taliban richteten innerhalb von 24 Stunden mindestens sechs zivile Männer außergerichtlich hin, hauptsächlich durch Schüsse in den Kopf, die Brust oder das Herz. Solche Tötungen stellen Kriegsverbrechen dar. Bereits in der Vergangenheit hat Amnesty International Massaker der Taliban an ethnischen Hazaras in den Provinzen Ghazni und Daykundi dokumentiert.

Zivile Opfer nach Luftangriffen und Bodenkämpfen durch afghanische Sicherheitskräfte und US-Militär
Der jüngste Bericht von Amnesty International dokumentiert auch vier Luftangriffe in den letzten Jahren, von denen drei höchstwahrscheinlich von US-Streitkräften und einer von der afghanischen Luftwaffe durchgeführt wurden. Bei den Angriffen wurden insgesamt 28 Zivilpersonen getötet (20 Erwachsene und acht Kinder) und sechs weitere verletzt. Sämtliche Angriffe hatten den Tod von Zivilpersonen zur Folge, da die USA ihre Bomben in dicht besiedelten Gebieten abwarfen. Amnesty International hat bereits in zahlreichen anderen Konflikten ähnliche Auswirkungen von schweren Sprengstoffwaffen dokumentiert und unterstützt die Eindämmung ihres Einsatzes auch auf politischer Ebene. Außerdem werden in dem Bericht acht Fälle von Bodenkämpfen dokumentiert, bei denen insgesamt zwölf Zivilpersonen getötet (sechs Erwachsene und sechs Kinder) und 15 weitere verletzt wurden. Aus Nachlässigkeit und unter Missachtung der Gesetze führten die von den USA ausgebildeten ANDSF-Kräfte häufig Mörserangriffe durch, bei denen Wohnhäuser beschädigt oder zerstört und auch Zivilpersonen getötet wurden, die sich dort versteckten. Der Einsatz von Mörsern, der in bewohnten Gebieten naturgemäß wahllos erfolgt, kann ein Kriegsverbrechen darstellen.

Ruf nach Aufarbeitung möglicher Kriegsverbrechen und Entschädigung für die Opfer
Amnesty appelliert in diesem Zusammenhang an den Internationalen Strafgerichtshof, die Ermittlungen zu US-amerikanischen und afghanischen Militäroperationen wieder aufzunehmen. „Der Strafgerichtshof muss allen Hinweisen zu möglichen Kriegsverbrechen nachgehen, egal zu wem sie führen“, so Callamard. „Die afghanische Bevölkerung hat zu lange gelitten. Die Opfer müssen jetzt Zugang zur Justiz erhalten und entschädigt werden.“

Mehrere Familienangehörige von Opfern militärischer Angriffe berichteten Amnesty International, dass sie von der Regierung bisher keine oder nur unzureichende Entschädigung erhalten hätten. Amnesty International fordert die Taliban und die US-Regierung auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und klare und stabile Mechanismen für die Beantragung von Wiedergutmachungsleistungen für Zivilpersonen einzurichten. „Die Taliban-Behörden haben nun die gleiche rechtliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung wie die frühere Regierung. Sie müssen sich mit den Fragen im Zusammenhang mit der Schädigung der Zivilbevölkerung ernsthaft befassen“, sagte Agnès Callamard. „Die Betroffenen und ihre Familien müssen Entschädigungsleistungen erhalten, und alle, die für die begangenen Verbrechen als strafrechtlich verantwortlich gelten, müssen in fairen Verfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor reguläre Zivilgerichte gestellt werden.“

Hintergrund:
Amnesty International recherchierte vom 1. bis 15. August 2021 vor Ort in Kabul und führte von August bis November 2021 Interviews mit Opfern und Zeug*innen mittels sicherer Video- und Sprachanrufe. Insgesamt hat Amnesty International 65 Personen in Kabul persönlich befragt und weitere 36 Personen aus insgesamt zehn Provinzen über verschlüsselte mobile Anwendungen. Das Crisis Evidence Lab der Organisation überprüfte außerdem Satellitenbilder, Videos und Fotos sowie medizinische und ballistische Informationen und befragte einschlägige Expert*innen.

Für Interviewanfragen und Rückfragen wenden Sie sich bitte an presse@amnesty.at.

Presseteam Amnesty International Österreich
Mag. Eleonore Rudnay
+43 664 400 10 56

PA: Tag der Menschenrechte: Zivilgesellschaftlicher Bericht über Österreichs extraterritoriale Staatenpflichten erscheint

Gemeinsam mit einer Gruppe von Nichtregierungsorganisationen veröffentlicht FIAN Österreich heute, am dem Tag der Menschenrechte, einen zivilgesellschaftlichen Parallelbericht über Österreichs extraterritoriale Staatenpflichten.

Mit der Ratifizierung des UN-Sozialpakts im Jahr 1978 hat sich Österreich dazu verpflichtet, wirtschaftliche, soziale und kulturelle (WSK) Rechte auch in anderen Ländern zu achten, zu schützen und Maßnahmen zu setzen, damit diese Rechte weltweit verwirklicht werden. Ein Bericht an die Vereinten Nationen dient in regelmäßigen Abständen dazu dies zu überprüfen. Auf einen solchen Staatenbericht wartet man bei den Vereinten Nationen in Genf nun bereits seit drei Jahren.

„Österreich ließ den für 2018 angesetzten Termin zur Staatenprüfung verstreichen und kommt seiner Verpflichtung zur Berichtslegung bei den Vereinten Nationen seither nicht nach. Mit der Entscheidung, den Parallelbericht dennoch zu veröffentlichen, richten wir einen dringenden Appell an die österreichische Bundesregierung, den Staatenbericht vorzulegen“, so Angelina Reif, Vorsitzende von FIAN Österreich.

Zivilgesellschaft veröffentlich Parallelbericht

In den vergangenen Jahren sind diese wesentlichen Rechte weltweit verstärkt unter Druck geraten. So hat sich die Zahl der von extremer Armut betroffenen Menschen weltweit ebenso erhöht wie die Zahl der von Hunger und Mangelernährung betroffenen Menschen.

„Hunger ist die häufigste Menschenrechtsverletzung der Welt, rund 811 Millionen Menschen sind aktuell davon betroffen. Die Verantwortung der Staaten für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und der anderen Menschenrechte macht nicht an Grenzen halt. Die Bundesregierung ist gefordert, die strukturellen Ursachen von Hunger und Mangelernährung stärker in den Fokus zu nehmen, indem sie die Rechte von Kleinbäuer*innen sowie Lieferkettenverantwortung in der nationalen Gesetzgebung verankert und sich auch auf EU- sowie UN-Ebene dafür einsetzt“, erklärt Lukas Schmidt, Geschäftsleiter von FIAN Österreich.

Angesichts der Dringlichkeit dieser Entwicklungen, hat sich ein zivilgesellschaftliches Bündnis dazu entschlossen, einen Parallelbericht über die extraterritorialen Staatenpflichten Österreichs zu veröffentlichen, obwohl Österreich seinen Staatenbericht nicht abgegeben hat.

In den Beiträgen berichten die mitwirkenden Organisationen von den Auswirkungen ausgewählter österreichischer Politiken wie der Entwicklungs-, Steuer-, Rohstoff-, Agrar- und Ernährungs- und der Klimapolitik auf die WSK-Rechte in Ländern des Globalen Südens und geben Empfehlungen ab, wie die Regierung bestmöglich zur weltweiten Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte beitragen kann.

Folgende Organisationen haben den Parallelbericht gemeinsam verfasst: AG Globale Verantwortung, Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar (DKA), FIAN Österreich, Licht für die Welt, Netzwerk Soziale Verantwortung, SOS Kinderdorf, VIDC, Welthaus Graz, WIDE.

Der Parallelbericht kann hier abgerufen werden

Rückfragen: lukas.schmidt@fian.at